Interview bei Außentemperaturen von mehr als 35 Grad Celsius? Matthias Heese, Würzburger Fachanwalt für Arbeitsrecht, bewahrt dabei einen kühlen Kopf. Er arbeitet in klimatisierten Räumen. Doch bei vielen anderen Arbeitsplätzen gibt es oft nur die "Durchzug"-Möglichkeit: Fenster auf, Türe auf, Ventilator an, Jalousie runter. Was ist mit "hitzefrei" an den tropisch-heißen Tagen, an denen sich viele Büros und Innenräume zunehmend in eine Backstube verwandeln? So einfach ist das nicht, sagt Heese. Aber es ist möglich.
Frage: Können Beschäftigte hitzefrei bei ihrem Chef beantragen?
Matthias Heese: So einfach geht das leider nicht. Aber es gibt Richtlinien, auf die sich Arbeitnehmer berufen können - die Arbeitsstättenregel, kurz ASR A 3.5. Sie legt fest, dass Arbeitsräume nicht wärmer als 26 Grad Celsius werden sollen. Falls diese Raumtemperatur erreicht wird, dann soll der Arbeitgeber laut dieser Vorschrift Maßnahmen ergreifen, die ausgleichend wirken. Das heißt: Bei 26 Grad ist noch nichts erzwingbar. Und diese Temperatur gibt mir als Arbeitnehmer auch kein Recht, ohne weiteres die Leistung zu verweigern.
Was schreibt die Arbeitsstättenregel bei Temperaturen über 26 Grad vor?
Heese: Das System ist gestaffelt. Ab 26 Grad gilt die Soll-Vorschrift. Ab 30 Grad müssen Maßnahmen ergriffen werden. Dann muss zum Beispiel in den frühen Morgenstunden gelüftet oder müssen Bekleidungsregeln gelockert werden. Erst ab 35 Grad Celsius können Arbeitnehmer gegebenenfalls sagen: Ich halte meine Arbeitskraft zurück, ich komme erst wieder, wenn die Temperatur im Raum unter 35 Grad gefallen ist. Der juristische Begriff lautet: Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung. Dieses Recht greift aber nur, wenn die Raumtemperatur dauerhaft über 35 Grad ist und der Arbeitnehmer nichts unternimmt. Notfalls muss der Arbeitnehmer den Vorgesetzten abmahnen und die Zurückbehaltung androhen.
Wie sieht die Praxis aus?
Heese: Man muss das gesamtheitlich betrachten. Es gibt grundsätzlich die Verpflichtung des Arbeitgebers, auf den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zu achten. Und im Rahmen des Gesundheitsschutzes müssen Arbeitgeber für jeden Arbeitsplatz eine Gefährdungsbeurteilung bezüglich Hitze oder Kälte erstellen. Wenn ein Büro sich zum Beispiel auf der Südseite eines Gebäudes befindet und es keine besonderen Schutzvorschriften gibt, dann müsste in dieser Gefährdungsbeurteilung stehen, dass der Arbeitsplatz besonders warm werden kann. Und man müsste daraus dann gegebenenfalls die Maßnahmen abzuleiten, die dazu führen, dass die Temperaturen nicht mehr so hoch sind. Das können Klimaanlagen sein, Ventilatoren oder Abschirmungen von außen wie Jalousien an den Fenstern.
Und wenn der Chef nicht mit sich reden lässt?
Heese: Es ist natürlich eine Frage der Durchsetzbarkeit. Für den einzelnen Beschäftigten ist das immer schwierig. Gut ist es, wenn es Mitarbeitervertretungen gibt. Betriebsräte haben beim Gesundheitsschutz ein Mitbestimmungsrecht und können Regeln durchsetzen. Dennoch wird es auch dem Betriebsrat nicht gelingen, bei Temperaturen um die 30 Grad hitzefrei für die Arbeitnehmer durchzusetzen. Aber er kann dafür sorgen, dass der Arbeitsplatz so gestaltet wird, dass die Hitze draußen bleibt.
Welche Möglichkeiten haben Arbeitnehmer, wenn es keine Mitarbeitervertretung gibt?
Heese: Wenn der Chef nichts unternimmt und auf nichts reagiert, dann kann der Arbeitnehmer eigentlich nur das Rückbehaltungsrecht anmahnen. Das ginge in diesem Fall schon bei Temperaturen ab 30 Grad, wenn der Arbeitgeber überhaupt keine Abhilfe schafft, spätestens aber ab 35 Grad. Diese Androhung ist jedoch nötig. Riskant ist, einfach so zu Hause zu bleiben. Das würde ich niemanden raten. Das kann umgekehrt dann zur Abmahnung führen, sogar als Arbeitsverweigerung ausgelegt werden.
Haben gefährdete Personen die Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten?
Heese: Bei besonders gefährdeten Personen greifen unter Umständen auch schon bei 26 Grad Muss-Maßnahmen. Dazu gehören Schwangere, Personen mit Atemwegserkrankungen wie Asthma oder mit Kreislauferkrankungen. Hier könnte auch ein Heimarbeitsplatz als erforderliche Maßnahme eingerichtet werden.
Wie sieht es mit den Kleidervorschriften bei Hitze aus?
Heese: Hohe Temperaturen können sicher dazu führen, dass man zum Beispiel von der Anzugspflicht abweichen muss. Vom Grundsatz her kann man aber sagen, dass der Arbeitgeber eine angemessene Kleidung verlangen kann. Er muss nicht dulden, dass ich in Shorts komme. Der Dresscode, der in vielen Unternehmen gilt, ist in der Regel nie genau festgeschrieben. Er darf, ja muss sogar ab 26 Grad gelockert werden. Und wenn Vorgesetzte Dienstkleidung anordnen, dann muss sie bei Hitze ablegbar sein.
Manche können der Hitze nicht ausweichen - etwa auf einer Baustelle.
Heese: Wenn dauerhaft über 35 Grad Celsius erreicht wird, dann kann das gefährlich werden, nicht nur auf Baustellen. Dort sollte zum Beispiel überlegt werden die Arbeitszeit zu verlagern, also früher anfangen oder in zwei Schichten arbeiten: früh vier Stunden und am Nachmittag vier Stunden. Es ist nicht so, dass auf Baustellen über 35 Grad immer gearbeitet werden darf. Auch dort ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, die Gesundheit der Mitarbeiter im Auge zu haben.