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SCHWEINFURT
Gebührenbeauftragter: Ein undankbarer Job
Ab 2013 wird die Abgabe für Radio und Fernsehen auf ein Beitragsmodell umgestellt. Einen Tag lang haben wir den Gebührenbeauftragten Reinhard Kohl bei seiner Arbeit begleitet.
Wohnungsbesuch: Nur wenige öffnen Reinhard Kohl die Tür.
| Wohnungsbesuch: Nur wenige öffnen Reinhard Kohl die Tür.
Von unserem Redaktionsmitglied HENRIKE FISCHER
 |  aktualisiert: 08.01.2016 17:36 Uhr

Misstrauen, Beschwerden, zugeschlagene Türen und Tränen: Für Reinhard Kohl (57) gehören all jene Reaktionen zum Arbeitsalltag dazu. Er ist hauptberuflich Rundfunkgebührenbeauftragter des Bayerischen Rundfunks (BR). Und hat damit einen der wohl undankbarsten Jobs in Deutschland. Zu Unrecht, wie er findet.

14 Uhr, Schweinfurt. Ein Mann mit weißem Haar, schwarzem langen Mantel, Schiebermütze auf dem Kopf und Aktentasche unterm Arm drückt den Klingelknopf. „Guten Tag, mein Name ist Reinhard Kohl vom Bayerischen Rundfunk. Kann ich Sie bitte einmal kurz sprechen?“ Kohl ist ein ungebetener Gast an Unterfrankens Haustüren. Menschen begegnen ihm mit Skepsis. „Umso wichtiger ist es, sofort klare Verhältnisse zu schaffen“, sagt er. „Ich will die Menschen nicht übers Ohr hauen. Also versuche ich, vernünftig mit ihnen zu reden und sage immer gleich, wer ich bin und was ich möchte.“ Nur so könne das Bild vom schrecklichen Mann verschwinden.

Kohl ist heute in einem „Mischviertel“ unterwegs. Viele Privatwohnungen, aber auch Firmen stehen auf dem Tagesplan. Ein Getränkeshop macht den Anfang. Ein Blick auf seine Karteikärtchen: „keine Geräte gemeldet“, stellt Kohl fest. Er klopft kurz an, dann treten wir ein. „Ich bin hier, weil Sie keine Rundfunkgeräte angemeldet haben. Das wollte ich nur kurz mit Ihnen abklären.“ Eine Frau mittleren Alters steht uns gegenüber. Sie zögert nicht lange und fängt zu weinen an. Erst kürzlich sei ihr Mann verstorben, der sich um solche Angelegenheiten gekümmert habe.

Situationen wie diese sind keine Seltenheit. Kohl muss sich viel anhören und oft auch den Frust der Leute ertragen. „Ich komme in die unterschiedlichsten Haushalte, wo es teilweise schlimm aussieht und die Menschen nicht mehr in der Lage sind, ihr Leben zu führen.“ Menschen, die kaum Geld haben. Es sind jene Tage, an denen Kohl seinen Beruf mit gemischten Gefühlen ausübt. „Es ist kein leichter Job. Man muss gut mit Menschen können.“ Ohne Menschenkenntnis und Freundlichkeit und Respekt den Leuten gegenüber wird man die Arbeit nicht lange durchhalten, ist er überzeugt.

Zwei Hausnummern weiter: eine Schreinerei. Nach mehrmaligem Klopfen öffnet der Besitzer – nur widerwillig – die Tür. „Wir sind nicht zum Fernsehgucken hier. Holen Sie sich Ihre Auskünfte von wem Sie wollen, aber nicht von uns.“ Tür zu. Gespräche wie diese nimmt Kohl lange nicht mehr persönlich. Er blickt kurz ins Auto, entdeckt ein Autoradio, notiert es und wirft anschließend einen Fragebogen in den Briefkasten. Und weiter.

Eine Privatwohnung. Der Mann, der uns die Tür öffnet, blickt uns misstrauisch an. Kohl bedankt sich für die Rundfunkgebühren, die der Herr seit 1976 bezahlt. „Ich klingel auch bei Leuten, wo alles in Ordnung ist. Ich muss das nicht machen, aber es tut den Leuten gut, es ist positiv für den Rundfunk und mir gibt es auch ein gutes Gefühl.“ Es gibt auch Fälle, in denen die Leute gar nicht wissen, dass noch weitere Geräte anzumelden sind. „Dann informiere und berate ich.“

Reinhard Kohl grast seine Gebiete mehrmals ab. So lange, bis er alle Namen auf der Liste überprüft hat. „Meine Arbeit ist wie ein Aquarium mit 100 Fischen darin“, sagt er. „Beim ersten Mal keschert man noch viele Fische, beim zweiten und dritten Mal wird es schon weniger.“ Das frustriert. „Es gibt Tage, an denen ich kaum Leute antreffe.“ 30 Prozent gehen überhaupt an die Sprechanlage. Nur die Hälfte davon öffnet Kohl die Tür. Ist jemand nicht zu einem Gespräch bereit oder zum wiederholten Male nicht erreichbar, wirft er einen Fragebogen in den Briefkasten. Mit diesem können die Menschen ihre Rundfunkgeräte auch ohne persönliches Gespräch anmelden.

Nächstes Ziel: eine Blocksiedlung. Eine Ukrainerin bittet Kohl in ihre Wohnung, dabei spricht sie kaum deutsch. Kohl ist manchmal selbst noch erstaunt, mit welchem Vertrauen die Menschen ihm begegnen. „Man muss Mensch sein mit den Menschen. So wie man die Leute behandelt, will man auch selbst behandelt werden.“ Die Frau reicht ihm ein Handy ans Ohr, die Anmeldung wird mit der Schwägerin geklärt.

In einem Teppichgeschäft führen die Mitarbeiter Kohl freudestrahlend uralte Computer vor. Das Internet werden diese Geräte nicht mehr kennenlernen. Ab dem kommenden Jahr ist das egal: Obwohl das Geschäft weder Internet, noch Firmenwagen besitzt, werden die Betreiber ab 2013 abkassiert. Jedes Unternehmen zahlt dann eine Pauschale für die Anzahl der Beschäftigten. Das wussten die Mitarbeiter schon. Trotzdem wird Kohl mit netten Worten verabschiedet. „Kein leichter Job bei diesem Wetter“, so die Mitarbeiterin. Nicht jeder Besuch verläuft so freundlich. „Einmal hat jemand sein Radio aus dem Auto gerissen und mit dem Hammer zerklopft und seinen Fernseher aus dem Fenster geworfen. Ein anderer ist mit der Eisenstange auf mich los und hat mich richtig angeschrien“, erzählt Kohl. „Und ich werde natürlich viel angelogen. Meistens merke ich das aber.“

Trotz dieser Vorfälle kann er sich keinen schöneren Beruf vorstellen. Denn er bedeutet vor allem eins: Abwechslung. „Ich liebe meinen Job, weil jeder Tag anders ist und weil ich viel mit Menschen zu tun habe.“ Darauf aufmerksam geworden ist er durch eine Zeitungsannonce des BR: „Suchen Sie eine interessante Aufgabe und haben gern Kontakt mit Menschen?“ Es folgten ein Bewerbungsgespräch, drei Ausbildungstage in München und zwei in der Region. Er begleitete einen Gebührenbeauftragten, „um zu schauen, ob mir das Ganze überhaupt liegt.“ Schließlich die Einstellung. Seit 2007 ist Kohl für den BR tätig – hauptsächlich im Außendienst. Momentan arbeitet er in Schweinfurt. Seine Einsatzgebiete erstrecken sich aber in ganz Unterfranken. Wo und wie lange er eingesetzt wird, darf er selbst mitbestimmen. „Mein Chef versucht, auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Mitarbeiter einzugehen. Zum Beispiel, ob wir lieber in Industriegebieten oder Wohngebieten arbeiten wollen.“

Ab 2013 wird Kohl nur noch Firmen nach Terminabsprache besuchen. Er ist dann als „Beitragsberater“ unterwegs. Für Privathaushalte sind zunächst keine Besuche mehr vorgesehen. Denn ab Januar zahlt jeder Haushalt – unabhängig davon, wie viele Geräte er besitzt. „Die Leute werden durch ein neues Gesetz aber nicht ehrlicher“, glaubt Kohl. Der Rundfunkbeitrag ist daher für alle erstmal ein „Sprung ins kalte Wasser.“

Nur in seinem Wohnort Bad Kissingen wird Reinhard Kohl seinen Dienst nicht antreten, „damit wir auch mal in Ruhe in die Kneipe gehen können“, so die Begründung des Chefs. Diesen trifft er nur alle drei bis vier Wochen im Bad Neustädter Regionalbüro an, um sich mit neuen Adresslisten zu versorgen. Wie viele Firmen und Wohnungen er an einem Tag schafft, ist unterschiedlich. „Mal dauert ein Gespräch zwei Minuten, mal eine viertel oder auch eine halbe Stunde.“

18 Uhr, inzwischen ist es dunkel geworden. „Je düsterer es ist, desto ängstlicher werden die Menschen.“ Nach vier Stunden heißt es daher: Schluss für heute.

 


Die wichtigsten Änderungen ab 2013 auf einen Blick:

Firmen: Unternehmen und Institutionen zahlten bislang eine Gebühr für die Anzahl ihrer Rundfunkgeräte. Ab dem 1. Januar 2013 wird ein Beitrag nach der Zahl ihrer Betriebsstätten, Beschäftigten und Kraftfahrzeuge bemessen.

Haushalte: Für Radio und Internet bezahlte bislang jeder Bürger eine Gebühr von 5,76 Euro, für die Nutzung eines Fernsehgerätes waren 17,98 Euro fällig. Ab 2013 gilt: Jeder Haushalt zahlt den vollen Beitrag von 17,98 Euro. Wer bislang keine Rundfunkgebühren gezahlt hat, muss sich bis zum 1. Januar 2013 für den Rundfunkbeitrag bei der GEZ anmelden.

Befreiungen: Menschen mit einem Behinderungsgrad von mindestens 80 oder einer 60-prozentigen Seheinschränkung konnten sich bislang von der GEZ-Gebühr befreien lassen. Ab 2013 haben nur noch taubblinde Menschen und Empfänger von Blindenhilfe einen Anspruch auf die Befreiung von der Beitragspflicht. Menschen mit dem Merkzeichen „RF“ (Befreiung von Radio- und Fernsehgebühren) im Schwerbehindertenausweis bezahlen einen ermäßigten Beitrag von 5,99 Euro im Monat. Wer bisher aus gesundheitlichen Gründen befreit war, wird automatisch auf den ermäßigten Beitrag umgestellt. Sozialhilfe- oder Hartz-IV-Empfänger sowie Bezieher von Ausbildungsförderung können eine Befreiung beantragen. Text: hfi

 
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