Als Whistleblower Edward Snowden Anfang Juni Überwachungsprogramme der US-Geheimdienste öffentlich machte, schien die Empörung zunächst messbar: In einer Umfrage von CNN/ORC International bezeichneten erstmals 50 Prozent der Amerikaner Präsident Barack Obama als nicht vertrauenswürdig. Bald stellte sich aber heraus, dass das womöglich mehr mit anderen Affären zusammenhing: Mindestens so viele Menschen, nämlich 54 Prozent, sagten bei einer Erhebung von Pew/USA Today, dass Snowden bestraft gehöre.
Die Diskussion in den USA ist vielfältig, aber in zwei Punkten gehen breite Teile konform: Snowden ist kein Held. Und bei der Nutzung des weltweiten Datenaufkommens ist es zu spät, um über das „Ob“ zu sprechen – allenfalls um das „Wie“ kann es noch gehen.
Was Obama angeht, so dämpft selbst der enttäuschte Bürgerrechtsflügel der Demokraten seine Empörung: Immerhin habe der Präsident seine ererbten Sicherheitsprogramme regelmäßig vom Kongress absegnen lassen und das Ganze einem Richtergremium unterstellt. Diese Kontrolle, wie unbefriedigend sie im Einzelnen auch sein mag, gibt auch für Snowdens Gegner den Ausschlag: Parlamente behandeln viele Dinge vertraulich, auch dafür werden ihre Mandatsträger entsandt. Wenn ein demokratisch gewählter Präsident mit einem ebensolchen Kongress ein legales Anti-Terror-Programm beschließt – was berechtigt im Gegenzug eigentlich einen Computertechniker, es zu enthüllen? Wohlwollende Kritiker betrachten Snowden als Narr, der weltfremden Ideen folgt – die „Los Angeles Times“ sieht in ihm eine Art Diogenes in der Tonne.
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In einem am Sonntag veröffentlichten Interview der „South China Morning Post“ berichtete Snowden, der US-Abhördienst habe Millionen chinesischer Mobilfunknachrichten und wichtige Datenübertragungsleitungen an der Tsinghua-Universität in Peking ausspioniert. Auch habe es 2009 amerikanische Hackerattacken auf Pacnet in Hongkong gegeben, die seither aber eingestellt worden seien. Pacnet betreibt eines der größten Glasfasernetze in der Asien-Pazifik-Region und wickelt auch Internetverkehr mit den USA ab.
Am Wochenende hatte die britische Zeitung „Guardian“ unter Berufung auf Unterlagen Snowdens berichtet, der britische Geheimdienst GCHQ betreibe ein noch viel umfangreicheres Abhörprogramm als die USA. Neben E-Mails, Einträgen im sozialen Netzwerk Facebook oder auch Telefongesprächen werden laut „Guardian“ für das britische Spionageprogramm „Tempora“ auch persönliche Informationen der Nutzer 30 Tage lang gespeichert.
Deutschland verlangt umfassende Aufklärung über die Internet-Abhörprogramme des britischen Geheimdienstes. „Treffen die Vorwürfe zu, wäre das eine Katastrophe“, sagte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Unionsfraktionschef Volker Kauder forderte, Großbritannien müsse seine europäischen Partner „umfassend und schnell“ aufklären. „Wenn das berichtete Ausmaß der Datenüberwachung so stimmt, wäre dies nicht akzeptabel“, sagte Kauder. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte, der Kampf gegen den Terrorismus rechtfertige keine „systematische und flächendeckende Überwachung unser aller Kommunikation durch Geheimdienste, egal ob amerikanische oder britische“.
Mit Informationen von dpa
Der britische Datensauger Tempora
Der Skandal um die Überwachung des Internets durch westliche Geheimdienste kam mit Bekanntwerden des US-Programms PRISM ins Rollen. Doch während immer noch nicht ganz klar ist, wie PRISM funktioniert, weiß man jetzt über das britische Gegenstück Tempora deutlich mehr. Laut Unterlagen, die der US-Informant Edward Snowden dem „Guardian“ übergab, zapft der britische Abhördienst GCHQ in großem Stil die Glasfaserleitungen an, über die der transatlantische Datenverkehr läuft. Die Operation mit dem Codenamen Tempora, bei der riesige Datenmengen für bis zu 30 Tage gespeichert und ausgewertet werden, läuft seit 18 Monaten.
Das Ausmaß ist beeindruckend: Täglich seien 600 Millionen „Telefon-Ereignisse“ erfasst worden. 200 Glasfaserstränge seien angezapft worden, dabei habe der GCHQ Informationen aus 46 davon gleichzeitig absaugen können. Damit habe man theoretisch jeden Tag 192 Mal den Inhalt der British Library aufnehmen können. Die Leitungen seien auf britischem Gebiet angezapft worden. Offenbar war dafür Kooperation aus der Wirtschaft notwendig. In den von Snowden übergebenen Dokumenten ist aber stets nur von „Partnern“ die Rede; die Namen der Unternehmen bleiben geheim. Sie seien zur Zusammenarbeit verpflichtet worden. TEXT: dpa