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WÜRZBURG
PRISM: Schaar spricht von "dringendem Klärungsbedarf"
Bundesdatenschutzbeauftragter Peter Schaar spricht im Interview über das US-Internet-Spähprogramm PRISM, das in den vergangenen Tagen für Furore gesorgt hat.
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Angelika Kleinhenz
 |  aktualisiert: 22.06.2022 09:27 Uhr

Seit der 29-jährige Insider Edward Snowden das US-Internet-Spähprogramm PRISM aufgedeckt hat, wachsen Empörung und Verunsicherung sowohl in den USA als auch in Europa. Wir befragten Peter Schaar, den Bundesbeauftragten für Datenschutz per E-Mail zu dem Thema.

Frage: Kurz vor dem Besuch Barack Obamas sind viele Menschen hierzulande beunruhigt, inwieweit die USA den weltweiten Verkehr im Internet überwachen. Ist der US-Speicherwahn gefährlich?

Peter Schaar: Wie umfassend die Überwachungsmaßnahmen wirklich waren und wie tief sie in die Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen, ist dringend klärungsbedürftig. Nur wenn die Faktenlage klar ist, können die rechtlichen Folgen einschätzt werden. US-Behörden dürfen nicht schrankenlos auf Daten außeramerikanischer Nutzer von Facebook, Google oder anderen Diensten zugreifen. Hier sehe ich dringenden Klärungsbedarf.

Laut Geheimdienstchef Keith Alexander habe die Überwachung Dutzende von Terrorattacken verhindert. Sind Sicherheit und Freiheit ein Widerspruch?

Schaar: Auf jeden Fall gibt es ein Spannungsverhältnis. Freiheit und Sicherheit stehen dann im Widerspruch, wenn sie nicht ausbalanciert werden. Behauptungen, dass Überwachung Terrorattacken verhindere, sind ja nicht neu. Vielfach blieben Vertreter der Sicherheitsbehörden aber den Beweis schuldig, welche konkrete Maßnahme wie zur Verhinderung welches Anschlags beigetragen hat. Aber selbst wenn es solche Fälle gegeben hat, würde dies eine Totalüberwachung nicht rechtfertigen. Wichtig ist auch zu erfahren, wie viele Unschuldige durch Überwachung zu Verdächtigen wurden und welche Konsequenzen der falsche Verdacht für sie hatte.

Viele sagen: „Ich habe ja nichts zu verbergen, mich geht das nichts an.“ Was antworten Sie darauf?

Schaar: Jeder Mensch hat ein gutes Recht, etwas zu verbergen – und vielfach gibt es sogar gute Gründe. Dafür muss sich niemand rechtfertigen. Privatsphäre ist ein wichtiges Gut, das sich die Menschen über Jahrhunderte erarbeitet haben. Der moderne Rechtsstaat basiert darauf, dass niemand befürchten muss, Opfer von Willkür und ungesetzlichen staatlichen Zwangsmaßnahmen zu werden. Wer diesen Grundsatz in Zeichen der Terrorbekämpfung außer Kraft setzen will, richtet unübersehbaren Schaden an. Ich halte es daher für unerträglich, dass von der Überwachung betroffene Europäer in den USA nicht einmal das Recht haben, die Rechtmäßigkeit der Überwachungsmaßnahme überprüfen zu lassen.

Was halten Sie von der These: „Wenn ich mich im Internet bewege und freiwillig Daten von mir preisgebe, bin ich selbst schuld, wenn andere viel über mich wissen.“

Schaar: Außerhalb des Internets würde wohl niemand befürworten, dass ihm ein privater oder staatlicher Überwacher auf Schritt und Tritt folgt. Gerade weil aber immer mehr alltägliche Kommunikation über das Internet erfolgt, ist es wichtig, auch hier dafür zu sorgen, dass eine derartige Rundumüberwachung unterbleibt. Auch wenn es jeder ein Stück weit in der Hand hat, wie viele Daten er etwa in ein soziales Netzwerk einstellt, hielte ich es für falsch, dem Einzelnen die alleinige Verantwortung für den Umgang mit seinen Daten aufzubürden. Hier braucht es eine gesellschaftliche Debatte und effektive Regelungen, die festlegen, welche Daten Unternehmen und staatliche Stellen erfassen und auswerten dürfen.

Welche Konsequenzen könnte das Datensammeln für jeden von uns haben?

Schaar: Auch Normalbürger können ins Blickfeld von ausländischen Sicherheitsdiensten geraten, ohne sich in irgendeiner Weise schuldig gemacht zu haben. Ich fände es beispielsweise nicht erträglich, wenn bei der Einreise der Grenzbeamte erst mal meine Facebook-Freunde, Mail-Kontakte, Suchanfragen bei Google und Amazon-Bestellungen checken würde.

Welche Folgen könnte es für Unternehmen haben?

Schaar: Ich bin überzeugt, dass die betroffenen Unternehmen schon jetzt einen großen Imageverlust erlitten haben. Privatpersonen und Unternehmen werden sich zukünftig sehr genau überlegen, welche Daten sie US-amerikanischen Konzernen anvertrauen, ob sie etwa deren Cloud-Dienste nutzen werden.

Das globale Internet – Welche Rolle spielt es in einer Demokratie und warum ist Vertrauen in diese Technologie wichtig?

Schaar: Genauso, wie sich ohne Vertrauen in der Internet-Ökonomie auf Dauer keine Geschäfte machen lassen, kann die Demokratie ohne Vertrauen in den Rechtsstaat nicht bestehen. Nur durch umfassende Transparenz und Kontrolle lässt sich der durch exzessive Überwachung bewirkte Vertrauensschaden begrenzen.

Internetriesen wie Google und Facebook haben dementiert, ohne richterliche Anordnung Daten herausgegeben zu haben. Ist das beruhigend?

Schaar: Nun, dementiert wurde, dass kein direkter Zugriff auf die Unternehmensserver erfolgt sei. Bedeutet dies, dass die NSA auf die Daten über eigene Server zugreifen kann? Die US-Regierung – aber auch die Unternehmen – müssen hier für Klarheit sorgen. Klarheit brauchen wir auch darüber, ob auch Daten herausgegeben wurden, die auf europäischen Servern gespeichert waren.

Was fordern Sie nach der PRISM-Affäre?

Schaar: Wichtig ist zunächst die umfassende Aufklärung. Welche Daten wurden auf welcher rechtlichen Grundlage durch welche Behörden erhoben? Aber es müssen auch Maßnahmen ergriffen werden, um die Daten von Europäern besser zu schützen, auch und gerade vor dem Zugriff ausländischer Sicherheitsbehörden. Die entsprechenden Rechtsänderungen sollten vor allem auf europäischer Ebene erfolgen. Nicht zuletzt müssen die Internetnutzer in die Lage versetzt werden, ihre Daten wirksam gegen Ausspähung und Missbrauch zu schützen, etwa durch das Angebot einfacher, handhabbarer und gleichwohl effektiver Verschlüsselungssoftware.

Peter Schaar

Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Peter Schaar, wurde 1954 in Berlin geboren. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre war er in der Verwaltung in Hamburg tätig. Für den Datenschutz auf Bundesebene ist Schaar seit 2003 zuständig. Er ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. Schaar ist verheiratet und hat zwei Kinder. Für sein Buch „Das Ende der Privatsphäre“ erhielt er 2008 den Preis der Friedrich-Ebert-Stiftung "Das politische Buch".

 
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