Für rund eine halbe Stunde herrschte auf dem Rastplatz Wasserhauskurve Kreißsaalhektik. Normalerweise machen dort Autofahrer eine Pause. Manchmal übernachten hier auch Fernfahrer in ihren Lastwagen. Das jedoch, was in den Abendstunden des 27. Juni geschah, hat der Parkplatz in der „Wasserhauskurve“ neben der B26 zwischen Lohr und Rechtenbach wohl noch nicht gesehen: eine Geburt.
Felix Riethmann hatte es einfach zu eilig. Er wollte nicht warten, bis sein Vater den Wagen, auf dessen Beifahrersitz seine Mutter mit ihm im Bauch saß, von Sendelbach bis zum Klinikum Aschaffenburg gesteuert hatte. Und so nahm eine Geschichte ihren Lauf, von der sich alle Beteiligten noch lange erzählen werden.
Dabei war der Tag anfänglich unspektakulär verlaufen. Sicher, Eva Riethmann war hochschwanger, stand einen Tag vor dem errechneten Geburtstermin ihres zweiten Kindes. Doch von ernst zu nehmenden Wehen war so recht nichts zu spüren. Ein „leichtes Ziehen“ habe sie tagsüber verspürt, erzählt die 29-jährige Physiotherapeutin. Mehr war nicht.
Am Nachmittag wurde das Ziehen etwas stärker. Die werdende Mutter rief im Klinikum Aschaffenburg an und fragte die Hebamme um Rat. Dieser lautete: Abwarten. Für den nächsten Tag sei ja ohnehin ein Untersuchungstermin in der Klinik terminiert. Also wartete Eva Riethmann ab. Gegen Abend war sie sich jedoch sicher, dass es nun nichts mehr abzuwarten gibt. Das Ziehen wurde immer stärker. Also machten sich die Riethmanns auf den Weg.
Als im Treppenhaus vor der Sendelbacher Wohnungstür die erste richtig heftige Wehe einsetzte, ahnte Eva Riethmann bereits: „Das schaffen wir nicht mehr.“
Auf die Idee, das nahe Lohrer Kreiskrankenhaus anzusteuern, kamen sie und ihr Mann Nico in der Ausnahmesituation nicht, was wohl auch an dem Gedanken lag, dass es dort ja schon seit vielen Jahren keine Entbindungsstation mehr gibt. Stattdessen steuerte Nico Riethmann den Wagen also Richtung Aschaffenburg.
Noch in Lohr, an der Ampel in der Rechtenbacher Straße, platzte die Fruchtblase. In diesem Augenblick befiel Eva Riethmann Panik: „Ab da wusste ich definitiv, dass wir es nicht mehr bis in die Klinik schaffen.“ Ihr Mann hingegen konnte das, was sich da gerade neben ihm im Auto abspielt, noch nicht recht fassen: „Das kann doch alles gar nicht sein“, habe er sich zu diesem Zeitpunkt gedacht, sagt der 31-Jährige heute.
Nach einem Telefonat mit ihrer Mutter stand für Eva Riethmann fest, dass sie den Notarzt alarmieren muss. Zu diesem Zeitpunkt, um Punkt 19.09 Uhr, befand sich der Schwangerentransport schon auf der B26 zwischen Lohr und Rechtenbach. „Mir haben die Ohren geklingelt“, erinnert sich Nico Riethmann an die von den Schmerzensschreien seiner Frau begleitete Fahrt.
Heute können beide lachen, wenn sie über die Situation sprechen. Doch damals war ihnen nicht danach zumute. Kein Wunder: Denn die Lage spitzte sich dramatisch zu. Mittlerweile war beiden wirklich bewusst, dass sie es nicht mehr bis nach Aschaffenburg schaffen würden. Deswegen stoppte Nico Riethmann den Wagen auf dem zu diesem Zeitpunkt menschenleeren Parkplatz in der Wasserhauskurve.
Schon kurz darauf traf der Notarzt ein. „Der arme Mann muss jetzt hier mein Kind auf die Welt bringen“, war der mitleidsvolle erste Gedanke, den Eva Riethmann beim Anblick des Arztes hatte. Der wirkte jedoch sehr ruhig und besonnen, weswegen auch sie sich etwas beruhigte.
„Die Hose muss raus“, lautete die erste Ansage, nachdem sich der Notarzt die Lage kurz betrachtet hatte. Eva Riethmann stieg aus, zog die Hosen aus und setzte sich wieder auf den Beifahrersitz. Dann ging es richtig los. Eine Wehe später war bereits Felix' Köpfchen zu sehen. Dann eine zweite Wehe. „Und schon war er da, der Kleine“, lacht Eva Riethmann.
Es folgte eine Open-Air-Erstversorgung des Neugeborenen. Der Notarzt durchtrennte die Nabelschnur und sah auch sonst nach dem Rechten. Wenig später traf der Krankenwagen ein, in den Eva Riethmann mitsamt Söhnchen umstieg. Rund 25 Minuten nach dem Nothalt der Riethmanns auf dem Parkplatz verließen Mutter und Sohn den Ort der Geburt im Krankenwagen nach Aschaffenburg.
Die Fahrt verlief ausgesprochen entspannt. Der kleine Felix betrachtete sich aus den Armen seiner Mama heraus die Szenerie. Wie die Mutter waren auch die Sanitäter erleichtert. Endlich mal ein Einsatz, bei dem es nicht um die Versorgung von Unfallopfern oder Herzinfarktpatienten ging.
Währenddessen hatte der auf dem Parkplatz zurückgeblieben Nico Riethmann ein Problem: die Geburt hatte im Auto Spuren hinterlassen. „Gott sei Dank: Lederausstattung. Einen normalen Sitz hätte man wegwerfen können“, beschreibt der 31-Jährige die Hinterlassenschaften der Entbindung. Doch mit den Feuchttüchern, die ihm die Sanitäter dagelassen hatten, gelang ihm die Grundreinigung.
Danach fuhr er seiner Frau und dem frischgeborenen Sohn hinterher. Im Aschaffenburger Kreißsaal war unterdessen die Erstuntersuchung von Felix nahezu beendet: 52,5 Zentimeter und 3500 Gramm.
Doch in einer anderen Frage herrschte Uneinigkeit: Was ist der Geburtsort von Felix? Die Aschaffenburger Hebamme vertrat gegenüber den Eltern die These, dass der Geburtsort Aschaffenburg lauten müsse, schließlich sei hier die Nachgeburt erfolgt. Der Protest der Eltern verhallte. Sie fanden sich damit ab.
Als es eine Woche später darum ging, im Aschaffenburger Rathaus die Geburtsurkunde abzuholen, wurde die dortige Beamtin stutzig, als die Riethmanns ihr die kuriose Geschichte der Geburt im Auto erzählten. Wenn der Knabe auf einem Parkplatz zwischen Lohr und Rechtenbach zur Welt gekommen sei, sei das kein Fall für die Stadt Aschaffenburg, beschied sie schließlich.
Also wandten sich die Riethmanns an die Stadt Lohr. Diese teilte nach kurzer Prüfung mit, dass der Parkplatz auch nicht in ihrem Zuständigkeitsgebiet liege. Die Eltern mögen sich doch bitte an die Verwaltungsgemeinschaft Lohr wenden, der Rechtenbach angehöre.
Doch auch in der Verwaltungsgemeinschaft war nicht gleich zu klären, wo Felix nun eigentlich geboren worden war. Erst nach ausgiebiger Prüfung der Örtlichkeit stand fest: Der Knabe ist ein gebürtiger Rechtenbacher. Die Geburtsurkunde konnte ausgestellt werden. Es war die erste, die die Verwaltungsbeamtin nach längerer Zeit ausstellen durfte. Hausgeburten sind eben selten, Straßengeburten noch seltener.
Heute können Eva und Nico Riethmann schmunzeln über die bürokratische Verwirrung, die vor der Geburtsurkunde stand. Auch sonst sind sie froh, dass die Geburt unter erschwerten Bedingungen am Ende gut ausgegangen ist. „Was hätte da alles passieren können? Wir hatten wirklich großes Glück“, sagt Eva Riethmann. Ihr Mann sieht es ähnlich, fügt aber lachend hinzu: „Früher haben die Geburten ja auch geklappt – ohne Intensivstation.“
Die Frage, ob sie sich beim nächsten Mal vielleicht doch etwas früher auf den Weg machen, stellt sich für Eva und Nico Riethmann unterdessen nicht. Für das Paar steht fest: „Es gibt kein nächstes Mal.“
Alles Gute für die Eltern und diesen kleinen Jungen und ich würde mir hier auch etwas weniger Bürokratie wünschen. Muss man vom bürokratischen Standpunkt her alles so kompliziert machen?? Warum geht es bei dieser Bürokratie nicht auch mal unkompliziert??