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WÜRZBURG/UFFENHEIM
Volksmusik ist nicht gleich Volksmusik
Es ist zum Heulen: Was ist denn nun echte Volksmusik? Die Gruppe „Haisd'n'daisd vomm mee“ (Foto) jedenfalls spielt mit ihr satirisch?
Foto: Stadt Marktheidenfeld, S. Heimbuchner | Es ist zum Heulen: Was ist denn nun echte Volksmusik? Die Gruppe „Haisd'n'daisd vomm mee“ (Foto) jedenfalls spielt mit ihr satirisch?
Angelika Becker
Angelika Becker-Völker
 |  aktualisiert: 07.04.2020 10:47 Uhr

Die Volksmusik soll Abschied nehmen vom herkömmlichen UKW-Radio und ins Digitale umziehen. So möchte es der Bayerische Rundfunk. Der Sender bestimmte die Entwicklung der Volksmusik und ihrer verschiedenen Strömungen von traditionell über volkstümlich bis anarchisch-experimentell maßgeblich mit. Ein Gespräch über das Wesen der Volksmusik mit dem Leiter der Forschungsstelle für fränkische Volksmusik in Uffenheim (Mittelfranken), dem Volkskundler Dr. Armin Griebel.

Frage: Vom fröhlichen Musikantenstadl bis zum anarchischen Volx-Metall – was ist denn eigentlich Volksmusik?

Armin Griebel: Tja, es ist die Frage, ob Volksmusik in Kriterien fassbar ist, die zu jeder Zeit die gleichen sind. Johann Gottfried Herder prägte im 18. Jahrhundert den Begriff und sammelte Lieder aus ganz Europa. Seine Idee: Das Volkslied entsteht aus Volksgeist und -kultur. Er war dabei offen für die verschiedene Musik der Länder. Im 19. Jahrhundert hatte man sich von dem Gedanken entfernt und befasste sich eng mit alten, deutschen Liedern aus der ländlichen Kultur.

Das klingt nach einem nostalgischen Blick gebildeter Städter aufs Landleben der guten, alten Zeit.

Griebel: Ja, Volksmusik ist eigentlich ein geistesgeschichtliches Konstrukt. Es gab damals feste Vorstellungen, wie sie klingen musste oder welcher Ästhetik sie folgen musste. Gleichzeitig wurde bis zum ersten Weltkrieg mit Volksmusik locker umgegangen. Das war auch Unterhaltungsmusik in Tanzsälen oder beim Oktoberfest. Und die „Oberlander“ konnten aus Berlin stammen.

Lederhose und Dirndl kennzeichneten eine Kapelle als Volksmusikanten?

Griebel: Das war damals ein Spiel mit Requisiten und Typenklischees, die später, in den 1920er und -30er Jahren, als „echt“ missverstanden wurden.

Und jetzt läuft allerhand Verschiedenes unter dem Begriff „Volksmusik“, von Hansi Hinterseers Schlager „Du hast mich heut' noch nicht geküsst“ bis zum Stück „Einen Scheiß muss ich!“ von der fränkischen Volxmusik-Band Kellerkommando.

Griebel: Jetzt ist ganz viel Kreativität zu beobachten. Die jungen Gruppen wie Kellerkommando, Boxgalopp oder Rohrfrei gehen mit viel Freiheit und Anarchie an die Volksmusik heran. Sie parodieren die Musikantenstadl. Ein Begriff, der als altbacken und peinlich galt, bekommt für sie so wieder einen Wert.

Wann begann denn diese Entwicklung?

Griebel: Sie begann in den späten 1970er Jahren mit der oberbayerischen „Biermösl Blosn“ der Brüder Well. Die haben die Volksmusik mit aktuellen, kritischen Texten neu aufgerollt.

Aber sind nicht Spottlieder ohnehin eine Tradition in der Volksmusik?

Griebel: In den bayerischen Gstanzln und den fränkischen Krewaliedern (Kirchweihliedern, d. Red.) ist sie noch lebendig. Sie haben auch eine Rügefunktion. Und in der Nachkriegszeit kommentierte der bayerische Volkssänger Roider Jackl mit seinen Liedern auch die aktuelle Politik. Damit war er ein Vorbild für die Biermösl Blosn.

Politische Lieder gab es ja schon viel früher. Im Mittelalter haben sie Minnesänger wie Walther von der Vogelweide verfasst.

Griebel: Ja, des gehört auch in die Tradition.

Wie gehören dazu die Stubenmusik-Gruppen, die traditionelle Stücke spielen und singen?

Griebel: Das Gemeinsame sind die Stilmittel, die Melodik und die Harmonien. Die Texte sind oft in Vierzeilern verfasst und meist in Dialekt. Die Musik ist meist Tanzmusik von vorgestern. Die Rhythmen werden sonst nicht mehr verwendet, wie Galopp, Dreher, Rheinländer und Zwiefacher, bei dem Walzer und Dreher abwechseln. Die Melodien sind einfach und folgen Mustern, die variiert werden.

Auf diesen Mustern bauen auch die Musikgruppen auf, die bei Veranstaltungen wie dem „Antistadl“ auftreten, und sich gerne laut, frech und schräg gebärden?

Griebel: Sie nehmen die alten Tänze, vermischen sie mit Rap oder Punk und internationaler Musik, gerne vom Balkan.

Da gibt es doch wieder eine Verbindung zur volkstümlichen Schlagermusik. Waren es nicht die slowenischen Oberkrainer, die in den 1950er Jahren die Balkanklänge in Deutschland bekannt machten und die volkstümliche Gute-Laune-Musik in die Medien brachten.

Griebel: Fred Rauch vom Bayerischen Rundfunk entdeckte sie in den 1950er Jahren und machte sie groß. Die Musik kam bei der Nachkriegsgeneration gut an. Sie war flott, spannend, medial gut zu präsentieren und hatte doch die traditionellen Wurzeln, die das Publikum wollte.

Wie unterscheiden sich die Oberkrainer denn von anderen Vertretern der volkstümlichen Musik, etwa den Kastelruther Spatzen heute.

Griebel: Die Oberkrainer-Musik war noch handgemacht, ohne Elektrik, live. Die volkstümliche Musik ist Kommerz, vorproduziert, Play-back. Sie verbindet Stilmittel der Volksmusik mit Popmusik. Die Texte sind einfach und sprechen ein breites Publikum an.

Sie beschwören ein heile Welt-Gefühl, wird oft kritisiert...

Griebel: Die heile Welt wollen sie alle. Die einen grenzen sich als „echte“ Volksmusiker ab und halten an alten Traditionen fest. Die anderen brauchen die Biermösl-Verpackung.

Also auch diejenigen, die anarchisch mit der Volksmusik experimentieren?

Griebel: Jeder, der sich auf Tradition beruft, sieht darin etwas Gutes. Die Rückbesinnung auf die Region passt zu der momentanen Retrobewegung, dient vielleicht als Halt in der globalisierten Welt. Die Volksmusikanarchisten mögen es nur nicht zu sentimental, lieber ironisch gebrochen. Aber das Gebrochene gehört zur Volksmusik. Die Sänger haben sich schon immer gerne am Rande des Tabubruchs bewegt und über die Stränge geschlagen.

Ist das die Gemeinsamkeit der verschiedenen Spielarten: Alle wollen aus dem Alltag ausbrechen – die einen in die heile Welt, wollen leichtverdaulichen Frohsinn; die anderen singen und spielen sich in die Stimmung der Vergangenheit und die nächsten suchen das Heil in der Anarchie?

Griebel: Und letztlich kommt alles aus der gleichen Tradition und passt sich nur den verschiedenen Milieus an.

BAYERN 3 Clubtour 2015 Alpendorf mit Moonbootica und Gestört aber GeiL       -  Armin Griebel
Foto: Simon Heimbuchner (BR/Redaktion Telemedien) | Armin Griebel
 
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