
Sehr geehrter Herr Ecke,
seit Sie beim Wahlplakate-Kleben in Dresden brutal angegriffen und verprügelt worden sind, haben Sie viele Solidaritätsbekundungen und Genesungswünsche bekommen. Auch ich möchte Ihnen auf diesem Wege gute Besserung wünschen! Ich hoffe, dass Sie die Kraft haben, sich von dieser gewaltsamen Attacke nicht in Ihrem politischen Engagement einschüchtern zu lassen.
Denn wir alle können uns in inhaltlichen politischen Fragen gerne hart auseinandersetzen. Gewalt darf dabei aber nie ein Mittel sein! Gerade in einer Zeit wachsender Unsicherheit brauchen wir deshalb Demokraten wie Sie, die sich allen Widerständen zum Trotz weiter für einen zivilen politischen Diskurs einsetzen.

Der Angriff auf Sie, wie auch ähnliche Angriffe auf andere Politikerinnen und Politiker in den letzten Wochen und Monaten, bewegt mich auch deshalb sehr, weil diese Attacken ein sich gefährlich verschärfendes gesellschaftliches Klima widerspiegeln: Die Gewalt und Zügellosigkeit in Worten, die sich schon seit Jahren etwa in den sogenannten sozialen Medien verfestigt hat, schlägt offenbar zunehmend auch in die reale Welt durch.
Leider stimmt es wohl: Aus gewaltsamen Worten werden schnell gewaltsame Taten
Respekt und Anstand gehen dabei mehr und mehr verloren – auch bei der bewusst aggressiven Wortwahl mancher Spitzenpolitiker selbst aus demokratischen Parteien. Und leider stimmt es wohl, dass aus gewaltsamen Worten schnell auch gewaltsame Taten werden können.
Gewaltsame Angriffe gegen Politikerinnen und Politiker sind längst keine Einzelfälle mehr. Diese Gewalt ist auch kein Phänomen der östlichen Bundesländer, wie der Angriff auf Sie in Dresden, auf die Berliner SPD-Senatorin Franziska Giffey oder auf Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckart von den Grünen kürzlich in Brandenburg vermuten lassen könnten.
Nur eine schnelle, unvollständige Aufzählung: Im bayerischen Landtagswahlkampf droht ein Mann dem Schweinfurter Grünen-Kandidaten Paul Knoblach mit einer "Kugel in den Kopf". Das Grünen-Spitzenduo Katharina Schulze und Ludwig Hartmann wird in Neu-Ulm mit einem Stein beworfen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wird im Winter von wütenden Bauern in Schleswig-Holstein am Verlassen einer Fähre gehindert. In Stuttgart werden in dieser Woche zwei AfD-Abgeordnete an einem Wahl-Infostand vor dem Landtag körperlich attackiert.
Zunehmende Gewalt auch gegen Landräte, Bürgermeister, Kommunalpolitiker
Laut Bayerischem Justizministerium kam es 2023 in Bayern zu 1013 Straftaten gegenüber Amts- und Mandatsträgern. Und solche Gewalt betrifft längst auch Kommunalpolitiker: Im Streit um eine Flüchtlingsunterkunft kann der Miesbacher CSU-Landrat Olaf von Löwis im Februar eine Bürgerversammlung nur unter Polizeischutz verlassen. Und der parteilose Bürgermeister der oberbayerischen Gemeinde Markt Schwaben, Michael Stolze, wird Ende Mai wegen Hass, Beleidigungen und Beschimpfungen sogar sein Amt niederlegen.
Bereits im Sommer 2019 berichteten in einer Umfrage dieser Redaktion unter den 124 unterfränkischen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern 14 Prozent von Bedrohungen an Leib und Leben. Vier Prozent der Befragten waren sogar schon tätlich angegriffen worden.
Diese anhaltende Gewalt vergiftet nicht nur das demokratische Ringen um bestmögliche Lösungen. Die Verrohung im Umgang miteinander bedroht auch die Bereitschaft zum gesellschaftlichen Engagement: Wer sich für die Gemeinschaft einsetzen will, dafür aber beschimpft und bedroht wird, fragt sich mit gutem Grund: Warum tue ich mir das an? Nicht wenige Gemeinden tun sich deshalb schwer, überhaupt noch Bewerber etwa für das Bürgermeisteramt zu finden.
Es gibt Gesetze, die nur konsequent umgesetzt werden müssten
Was können wir also tun, um den Strudel der Gewalt zu stoppen? Zweifellos müssen Rechtsstaat und Justiz entschieden handeln. Reflexhafte Forderungen nach härteren Strafen helfen dabei weniger als die konsequente Durchsetzung bestehender Gesetze – etwa mit beschleunigten Verfahren wie bei Klimaklebern.
Ich finde es jedenfalls unerträglich, sehr geehrter Herr Ecke, dass die in Ihrem Fall ermittelten mutmaßlichen Schläger vorerst auf freiem Fuß die Dresdner Frühlingssonne genießen - während Sie nach der Operation im Krankenhaus Ihre Wunden heilen müssen.
Alle sind überall gefragt: Gewaltfantasien sind kein Kavaliersdelikt
Gefragt ist aber nicht nur der Staat. Gefragt ist jede Bürgerin, jeder Bürger. Gleich ob im Internet, auf Demos, am Stammtisch, im Sportverein oder am Arbeitsplatz: Vermeintlich harmlose Sprüche und politische Gewaltfantasien sind kein Kavaliersdelikt. Sie sind die Grundlage dessen, was Sie, Herr Ecke, nun erleiden mussten.
Deshalb muss für alle und überall gelten: Klare Kante gegen jede Form von Gewalt!
Mit freundlichen Grüßen und besten Genesungswünschen,
Henry Stern, Landtagskorrespondent
Gewalt ist sicher keine Lösung und strikt zu verurteilen.
Die Dämonen die ich rief....