Bodo Ramelow, einziger Linker unter den 16 deutschen Länderchefs, ist ein unkomplizierter Typ. Er macht nicht viel Aufhebens um seine Person beim Wahlkampfbesuch in Würzburg. Und den Ministerpräsidenten aus Thüringen scheint es auch nicht zu bekümmern, dass seiner Rede in der Mittagshitze nicht gerade viele Leute folgen. Zeit für ein Interview am Rande bleibt auch.
Frage: Herr Ministerpräsident, worum beneiden Sie die Bayern?
Bodo Ramelow: Was ich spannend finde, ist tatsächlich dieses besondere Verhältnis, das immer beschrieben wird: „Laptop und Lederhose“. Die Entwicklung von einem agrarisch geprägten Bundesland, einem Netto-Nehmerland, zu einem Netto-Geberland. Ich würde mir das auch für Thüringen wünschen.
Laptop und Lederhose – was wären die Thüringer Pendants für einen Werbespruch?
Ramelow: Wir haben einen eigenen Slogan: „Das ist Thüringen“. Immerhin stammen aus unserem Bundesland viele Innovationen, die weltweit Karriere gemacht haben. Das wissen viele Menschen gar nicht. Kindergärten, Weihnachtskugeln, das Glasauge und vieles, was im Weltraum umherfliegt, stammen aus Thüringen. Jenoptik, Carl Zeiss und Schott lassen grüßen.
Um was bedauern Sie die Bayern dann?
Ramelow: Um das Stammtischgerede in der Politik und die Hemdsärmeligkeit, mit der man manchmal Themen setzt. Themen, die oftmals nur dazu führen, dass man den Falschen das Wasser auf die Mühlen gießt. Ich finde das schade. Worum ich Bayern beneide, das sind der Nockherberg und das – katholisch und auch fränkisch-protestantisch geprägte – Kabarettistische. Und großartig finde ich, was es in den Dörfern an Musikalität gibt, wie auch von der Bevölkerung heute noch Tradition gelebt wird.
Was können die Thüringer besser?
Ramelow: Die Transformation. Der Umbau von einer Staatswirtschaft hin zu einer breit aufgestellten, mittelständisch getragenen Wirtschaft – das war ein weiter Weg. Den hätte ich vor 25 Jahren nicht für möglich gehalten. Jeder vierte Thüringer war direkt oder indirekt von der Massenarbeitslosigkeit betroffen! Jeder zweite musste seinen Lebensweg ändern. Als junger Mann dachte ich, das Land wird lange brauchen, um sich davon zu erholen. Das Gegenteil ist der Fall.
Sie waren einfach zu pessimistisch oder haben dem Land nichts zugetraut?
Ramelow: Ich bin froh, dass ich mich als Gewerkschafter vor 25 Jahren in diesem Punkt geirrt habe. Ein Großteil junger Menschen ist damals nach Bayern gegangen. Es zeigte sich: Thüringen bildet aus, Bayern stellt ein. Wir haben die Abiturienten geliefert, die Bayern stark gemacht haben. Wir haben diese Entwicklungshelfer in den Westen geschickt. Heute werben wir wieder in München: Kommt zurück, wir bieten euch qualifizierte Arbeit, preiswerte und bezahlbare Wohnungen und eine Kinderbetreuung, von der man in Bayern nur träumen kann. Wir bieten für 96 Prozent aller Kinder im Vorschulalter die komplette Betreuung an, und zwar ganztägig.
Also angenommen, Sie wären bayerischer Ministerpräsident – was würden Sie anders machen?
Ramelow: Im bayerischen Wahlkampf nehme ich teils eine Tonalität wahr, die mir, ehrlich gesagt, nicht immer gefällt, die mich zum Teil auch ängstigt. Ich habe einen hohen Respekt vor Horst Seehofer. Ich habe intensiv mit ihm zusammengearbeitet und sehr bedauert, dass die Auseinandersetzung zwischen CDU und CSU derart eskalierte. Wir stehen vor einer Problemlage, bei der wir als Politiker Lösungen schaffen müssen, statt der Bevölkerung irgendwelche großen, leeren Worthülsen zu präsentieren und am Ende den Flüchtlingen für alles Negative die Schuld zuzuschieben.
Sie spielen auf den Konflikt Seehofer/Merkel in der Migrationspolitik und den Asylstreit an.
Ramelow: Um es offen und ehrlich auf den Punkt zu bringen: Es gibt Menschen, die wir nicht abschieben können, die kein volles Asylrecht bekommen, die die deutsche Sprache gelernt haben, sich in Ausbildung befinden und irgendwo längst im Betrieb integriert sind – ich finde es unerträglich, diesen Menschen nicht einen Arbeitsvertrag zu geben und eine Bleibeperspektive. Wir brauchen jeden, der willens ist, bei uns zu arbeiten.
Ein lauter Ruf nach Zuwanderung?
Ramelow: Im Jahr 2015 wurden in Thüringen fast 30 000 Flüchtlinge registriert, seitdem gehen die Zahlen massiv zurück. 2017 gab es noch 5000 und von Januar bis Juli 2018 nur noch 2500 Registrierungen. Auf der anderen Seite stehen über 20 000 Wohnungen leer und waren Mitte Juli noch über 5000 Ausbildungsplätze unbesetzt. Hinzu kommt, dass wir auf 340 000 Verrentungen in den kommenden drei Jahren zugehen. Kurzum: Wir haben weit mehr Arbeit, als wir Menschen haben. Wir müssen die Asylfrage und Zuwanderung endlich trennen. Wir brauchen eine faire Debatte über Zuwanderung.
Fair ist schwierig bei diesem Thema.
Ramelow: Das hängt mit dem Stammtischgerede zusammen, das gefährlich ist. Bei der AfD bin ich?s gewohnt. Aber man sollte sich hüten, die Tonart zu übernehmen und zu glauben, dass man damit das Problem löst.
Stichwort Wahlkampf. Sie haben hier in Würzburg vor einem Häuflein von vielleicht 40 Leuten geredet. Mal im Ernst, das ist doch vergebene Liebesmühe.
Ramelow: Ganz im Gegenteil! Das ist hoch spannend, das sage ich als der Fusionsbeauftragte, als jemand, der die Linke damals hat entstehen lassen. Und aus der Erkenntnis, die ich als Bundeswahlkampfleiter gewonnen habe: In keinem anderen Bundesland wird es Vertretern meiner Partei so schwergemacht wie in Bayern.
Da müssen Sie bitte ein Beispiel nennen.
Ramelow: Ja, nehmen Sie jemanden, der in einer bayerischen Volkshochschule tätig ist. Und sei es, wenn er nur einen Stundenvertrag hat: Er muss angeben, ob er Mitglied unserer Partei ist. Er muss nicht angeben, ob er CSU-Mitglied ist. Wenn ein Staat so verfährt, dann wird es gefährlich. Ich fände es spannend, wenn diese Fragen durch das bayerische Verfassungsgericht geklärt werden könnten.
Aber das ist nicht der Grund, warum die Linke in Bayern so schwach ist, oder? 2,1 Prozent bei der letzten Landtagswahl . . .
Ramelow: Naja, das ist eine ganz einfache Geschichte. Eine Art traditioneller Antikommunismus ist tief verankert in den Herzen vieler Menschen. Ich bin nun auch noch evangelisch. Hier ist außerhalb Frankens ja immer die Frage, was ist schlimmer: Gewerkschaftsmitglied zu sein, SPD-Mitglied oder evangelisch? Es ist gut, dass die Linken in Bayern mittlerweile eine Stabilität haben, dass uns derzeit überhaupt vier Prozent zugemessen werden. Heute haben wir die Chance, über die Fünf-Prozent-Hürde zu gelangen.
Warum sollte in Bayern jemand die Linke wählen?
Ramelow: Weil es ein Korrektiv braucht im Landtag, weil wir kontroverse Debatten brauchen. Die Frage „Wie gehen wir mit Menschen um?“ ist nicht nur eine Frage nach deren Nutzen, sondern eine Gesellschaftsfrage. Ich gönne der CSU Argumente von links im Landtag.
Haben Sie eigentlich ein Kreuz im Büro hängen?
Ramelow: Ich habe ein Zeichen im Büro hängen, das aus dem Halbmond, dem Davidstern und dem Kreuz zusammen besteht. Der Künstler wollte damit ein Zeichen setzen, dass die abrahamischen Religionen zusammenarbeiten müssen. Gerade war ich mit meinem Amtskollegen Daniel Günther aus Schleswig-Holstein (CDU) in Auschwitz. Er begleitete eine jüdische Jugendgruppe, ich eine muslimische.
Ist das der Grund, weshalb Sie Daniel Günthers Idee einer CDU-Linken-Koalition sympathisch finden?
Ramelow: Ich habe einfach gesagt, man sollte den Kalten Krieg im Kopf beenden. Ich strebe keine Koalition mit der CDU an, auch nicht in Thüringen. Aber im Bundesrat sitzen wir nebeneinander und stimmen gemeinsam ab. Ich sehe, wie durchdacht und pragmatisch Kollege Günther mit den Themen umgeht und habe Respekt.
Apropos durchdacht: Wieso sollte man „aufstehen“? Um mit Sahra Wagenknecht zu reden . . .
Ach wissen Sie, das mache ich jeden Morgen um kurz vor Sieben, immer, weil ich kurz nach Sieben meine erste Telefonkonferenz habe. Dazu brauche ich niemanden, der mir dazu eine Internetseite bastelt. Um es anders zu sagen: Ich komme aus einer außerparlamentarischen Bewegung. Mein Weg in die Politik in den Parlamenten begann mit der Erfurter Erklärung als Appell an PDS, Bündnis 90 und SPD. Ich bin überzeugt, eine Bewegung entsteht nie in einer Partei, sie entsteht außerhalb.
Also eine Absage . . .
Wir brauchen parlamentarische Mehrheiten, deshalb führe ich die erste Dreier-Koalition in Deutschland - aus eigener Entscheidung und nicht nur als Abwehr gegen die AfD. Wenn man die AfD bekämpfen will, darf man nicht ihre Sprache und ihre Bilder übernehmen, sondern man muss die Angst der Menschen bekämpfen.