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Lichtenberg
Peggys Hölle
Lichtenberg ist ein düsterer Ort. Hier lebte Peggy, bis sie 2001 missbraucht und ermordet wurde. Der Mord ist noch nicht geklärt. Das liegt auch am Schweigen in der Stadt.
Einen Gedenkstein mit Peggys Porträt gibt es auf dem Friedhof in Nordhalben.
Foto: David-Wolfgang Ebener, dpa | Einen Gedenkstein mit Peggys Porträt gibt es auf dem Friedhof in Nordhalben.
Holger Sabinsky-Wolf
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:00 Uhr

Es ist ein düsterer Tag in diesem düsteren Ort. Lichtenberg liegt über dem Höllental. Auf dem Weg dorthin kommt man durch Gegenden mit Namen wie „Torfmoorhölle“, eine verlassene Kneipe heißt „Höllenwolf“. Ein bisschen viel Hölle für einen Landstrich.

Der Marktplatz von Lichtenberg ist, wie immer mittags, menschenleer. Eine Tür öffnet sich einen Spalt. Ein Gruß wird nicht erwidert. Stattdessen ein feindseliger Blick. Die Katze wird ins Haus gerufen. Als ob nicht einmal sie Kontakt zu Reportern haben soll. Die Menschen in Lichtenberg sind scheu und misstrauisch gegenüber Fremden. Sie mögen es nicht, dass seit 17 Jahren Journalisten kommen und in einem Fall herumstochern, der an der Stadt klebt wie schwarzes Pech. Sie geben den Polizisten und den Medien die Verantwortung dafür, dass ihr Ort so in Verruf gekommen ist. Aber womöglich sind sie ja auch selbst mit schuld daran.

Eine düstere Burg in einem düsteren Ort

Der Weg vom Marktplatz hinauf führt zur ebenso düsteren Burg. Irgendwo im Schatten dieser Ruine hat das Verhängnis seinen Lauf genommen. Am 7. Mai 2001 verschwand hier die neunjährige Peggy Knobloch. Das fröhliche Mädchen mit den strahlend blauen Augen wohnte mit seiner Mutter in einem blauen Haus am Marktplatz. Peggy streunte viel in der Gegend herum. Für unbedarfte Kinder kann Lichtenberg mit seinen Ruinen und engen Gassen wie ein Abenteuerspielplatz sein. Susanne Knobloch ließ ihre Tochter gewähren. Alle kannten Peggy. Jeder kennt jeden in der Kleinstadt mit 1000 Einwohnern. Gefährlich ist es hier nicht. Dachten alle. Bis Peggy nicht mehr heimkam.

Von da an wurde der Ort in Oberfranken praktisch nur noch in Verbindung mit einem der spektakulärsten Mordfälle Bayerns genannt. Und die Leute zogen sich zurück. War Lichtenberg vorher ein ruhiges Dorf mit vielen Vereinen, wo Kinder allein durch die Stadtgärten an der Festungsmauer streiften, wurde auf einmal ein Bild gezeichnet von einem beengten mittelalterlichen Ort mit verhaltensgestörten Menschen und düsteren Wäldern rings herum. Das wollten die Bewohner nicht mehr. Daher schwiegen sie. Doch das Schweigen ist vielleicht eines der größten Probleme im Mordfall Peggy. Das Schweigen dürfte dazu beigetragen haben, dass heute, 17 Jahre nach Peggys Verschwinden, immer noch kein Täter rechtskräftig verurteilt ist. Das Schweigen - und das Versagen der Ermittler.

2014 wurde im Grab einer alten Frau nach Peggy gesucht

Es gibt ein Foto vom Friedhof in Lichtenberg, das den ganzen Wahnsinn im Fall Peggy recht gut symbolisiert. Es stammt vom 8. Januar 2014. Darauf zu sehen sind Kripobeamte und Bayreuther Staatsanwälte, die in das Grab einer 81-jährigen Frau starren. Sie hatten es öffnen lassen, weil sie es für möglich hielten, dass bei der Beerdigung dieser Frau im Mai 2001 der Leichnam der kleinen Peggy mit in dieses Grab gelegt worden war. Wurde er aber nicht. Und so blickten die Ermittler nicht nur auf einen Haufen Erde und Knochen, sondern vor allem auf die Trümmer ihrer Arbeit.

Im Grab einer alten Frau suchten die Ermittler 2014 in Lichtenberg (Bayern) nach der Leiche von Peggy - vergeblich.
Foto: David Ebener, dpa | Im Grab einer alten Frau suchten die Ermittler 2014 in Lichtenberg (Bayern) nach der Leiche von Peggy - vergeblich.

Lange fanden sie weder Peggys Leiche noch einen Täter. Dann gab es einen Verdächtigen, den geistig behinderten Ulvi K., der 2004 sogar wegen Mordes an ihr verurteilt wurde. Zu Unrecht, wie sich Jahre später herausstellte. 2014 wurde K. aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Als imSommer 2016 Peggys Skelett in einem Waldstück in Thüringen, nur 15 Kilometer von Lichtenberg entfernt, gefunden wurde, schien die Aufklärung eines der mysteriösesten Verbrechen wieder greifbar. Und als an dem Fundort auch noch DNA des NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt entdeckt wurde, lag für kurze Zeit Unglaubliches in der Luft. Doch es stellte sich heraus, dass ein Gerät der Spurensicherung verunreinigt war. Der Fall blieb ungelöst.

War Manuel S. "Täter oder Mittäter"?

Nun ist am Dienstag Manuel S.auf seinem abgelegenen Bauernhof in Marktleuthen (Lkr. Wunsiedel) festgenommen worden. Ein Ermittlungsrichter hat Haftbefehl gegen ihn erlassen. Der 41-jährige Bestatter soll nach Angaben der Staatsanwaltschaft „Täter oder Mittäter“ gewesen sein. An den sterblichen Überresten des Mädchens haben die Ermittler mikroskopisch kleine Pollen entdeckt, die sie als Bestandteile von Torf identifizierten - so ergab sich ein Bezug zu Pflanzarbeiten von Manuel S. am Tattag. Außerdem fanden die Spurensicherer bei den Knochen Farbreste aus Renovierungsmüll. S. hatte zu jener Zeit sein Haus in Lichtenberg umfangreich renoviert.

Peggys Hölle
Foto: dpa-Grafik

Ist das die entscheidende Wende im Fall Peggy? Wird das Verbrechen nach 17 Jahren endlich geklärt? Holger Knüppel hofft dies inständig. Er ist seit viereinhalb Jahren Bürgermeister von Lichtenberg und will, dass sein Ort endlich zur Ruhe kommt. „Auch wenn mir klar ist, dass wir diesen Fall nie ganz loskriegen werden“, sagt er. Knüppel ist ein besonnener, nachdenklicher Mann. Er weiß, dass es erst einmal gilt, einen Prozess abzuwarten. Und er hat Restzweifel, denn er kennt Manuel S. Ein ruhiger Typ, sagt er über den Verdächtigen. Die Vorstellung, dass er etwas mit Peggys gewaltsamem Tod zu tun haben könnte, fällt dem Bürgermeister nicht leicht. Wie ihm auch der Gedanke zu schaffen macht, dass es „einer aus den eigenen Reihen war“.

Die Ermittler glauben an einen Täter aus Lichtenberg

Mit diesem Gedanken ist Bürgermeister Knüppel nicht allein, das ist normal in einem kleinen Ort. Aber die Ermittler sind sehr früh im Fall Peggy davon ausgegangen, dass der oder die Täter aus Lichtenberg stammen. Daran änderten auch Zeugenaussagen und Hypothesen nichts, die auf eine Entführung nach Tschechien und mögliche Kinderhändler hindeuteten. In Polizeikreisen ist man sicher: Der Mörder ist im Fall Peggy bereits in den Akten. Einen unbekannten Serientäter, der plötzlich von irgendwoher auftaucht, halten die Ermittler für sehr unwahrscheinlich. Haben sich die Lichtenberger schwergetan mit der Einsicht, dass einer der Ihren Peggys Mörder sein dürfte? Kommt daher auch das Misstrauen und das Schweigen, das sich wie Mehltau über den Ort gelegt hat?

Es gibt einen extrem heiklen Punkt in dieser Geschichte, der erklären könnte, warum keiner darüber redet. Es geht um den sexuellen Missbrauch von Kindern. „Es gab Missbrauchsfälle in Lichtenberg, das finde ich erschütternd“, sagt Bürgermeister Knüppel. Er ist selbst Vater zweier Kinder und hat sich Sorgen gemacht. Steht der Mord an Peggy in einem direkten Zusammenhang mit einer Clique von Männern in Lichtenberg, die Kinder missbrauchten? Und wer wusste etwas davon in diesem kleinen Ort, in dem jeder jeden kennt?

Der Fall Ulvi K.

Tatsache ist: Es gibt mehrere Hinweise. Schon in der ersten offiziellen Version vom Mord an Peggy taucht das Thema auf. Ulvi K., der in einer betreuten Wohneinrichtung in Himmelkron (Lkr. Kulmbach) lebt, soll Peggy laut Urteil von 2004 sexuell missbraucht haben. Vier Tage später habe er sich bei Peggy entschuldigen und sichergehen wollen, dass sie niemandem etwas erzählt. Doch Peggy rannte weg, auf einem Weg um den alten Ortskern herum. Ulvi hinterher. An einer Weggabelung am Fuß der Burgruine rutschte das Mädchen auf einem bemoosten Stein aus. An der Treppe hoch zur Burg bekam Ulvi die Kleine zu fassen. Er soll Peggy mit bloßen Händen erstickt haben.

Mit dem Freispruch für den minderbemittelten Ulvi K. (42) war diese Version zunächst vom Tisch. Doch Fragen blieben. Denn hinter vorgehaltener Hand berichten Menschen aus Lichtenberg, dass Ulvi sich öfter Kindern genähert habe und sich vor diesen auch entblößt hat. Viele im Ort haben das gewusst. Hat man es abgetan als fehlgeleitetes Sexualverhalten eines „Dorftrottels“? War da mehr? Und könnte es sein, dass Manuel S. seinem Kumpel Ulvi geholfen hat, Peggys Leiche verschwinden zu lassen? „Täter oder Mittäter“ soll S. laut Staatsanwaltschaft sein.

Manuel S. gehörte schon früh zu den Verdächtigen

Möglicherweise sollte mit dem Mord eine zuvor begangene Straftat verdeckt werden, erklären die Ermittler diese Woche. Schon frühere Ermittlungen haben ergeben, dass Peggy sexuell missbraucht worden ist. Auch Manuel S. gehörte bereits kurz nach Peggys Verschwinden zum Kreis der Hauptverdächtigen. Schon damals vermuteten die Ermittler, er habe bei der Beseitigung von Peggys Leiche mitgeholfen. Sie durchsuchten den Keller seines Hauses, das in der Nähe von Peggys Wohnhaus stand. Damals ohne Erfolg, sie hatten ja nicht die Spuren an der Leiche. Und es gibt noch eine weitere pikante Verbindung zwischen den beiden: In einer der rund 40 Vernehmungen durch die Sonderkommission belastete Ulvi K. Manuel S. mit seiner Aussage schwer.

In einem Waldstück bei Rodacherbrunn in Thüringen wurden die sterblichen Überreste von Peggy schließlich 2016 gefunden.
Foto: Bodo Schackow, dpa | In einem Waldstück bei Rodacherbrunn in Thüringen wurden die sterblichen Überreste von Peggy schließlich 2016 gefunden.

Als sich die Ermittlungen immer mehr auf S. konzentrierten, kam plötzlich dessen Mutter zur Polizei und sagte, sie habe Ulvi am Tag von Peggys Verschwinden mittags mitten in Lichtenberg auf einer Bank sitzen sehen. Die Ermittler fragten sich zwar, warum sie das nicht ein Jahr früher ausgesagt hatte, doch letztlich war dies eine der entscheidenden Aussagen, die zu Ulvi K.s Verurteilung führten. Und dann sind da noch die Stiefbrüder Holger E. und Jens B. aus Peggys Nachbarhaus. Auch sie waren immer wieder ins Visier der Ermittler geraten. B. hatte zwar immer behauptet, am 7. Mai 2001 den ganzen Tag am Computer gesessen zu haben. Dieses Alibi ist aber widerlegt. Und E. ist inzwischen als Kinderschänder verurteilt. Er hat seine Tochter missbraucht.

Peggys Grab in Nordhalben ist leer

Ist Peggy Opfer einer Gruppe von pädophilen Männern geworden? Ein schauderhafter Gedanke. Und hat wirklich niemand in Lichtenberg etwas von solchen Umtrieben gewusst oder geahnt oder bemerkt? Es ist ein seltsames Gefühl, vor Peggys Grab auf dem evangelischen Friedhof von Nordhalben (Lkr. Kronach) zu stehen. Das Grab ist leer. Am Grabstein hängt ein Foto der lebensfrohen Peggy. Darunter steht: „Wer nicht an Engel glaubt, der ist dir nie begegnet“. Von den vielen Spielzeugfiguren, die einst auf dem Grab lagen, ist nur noch der blaue Delfin aus Glas da. Er ist beschädigt.

Ein einsamer, trostloser Ort, obwohl er Peggys Mutter Trost geben sollte. Der evangelische Pfarrer in Nordhalben hatte ihr angeboten, das Grab als Gedenkstätte einzurichten, obwohl es keinen Leichnam gab. Peggys Mutter lebt heute in Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt. Die neue Festnahme will sie nicht kommentieren. 2011 hätte sie Peggy für tot erklären lassen können. Stattdessen meldete sie ihre Tochter bei jedem Umzug mit um. Zur Bundestagswahl 2013 erhielt Peggy eine Wahlbenachrichtigung. „Sie kommt nicht mehr“, sagte die Mutter da dem Wahlvorsteher. Peggy wäre heute 26. Wird ihr Mörder, werden ihre Mörder noch gefasst?

Verteidiger glaubt nicht an die Schuld von Manuel S.

Manuel S. hat im September bei einer Vernehmung gestanden, die tote Peggy in seinem Auto in den Wald gebracht zu haben. Getötet habe er sie nicht. Doch dieses Teilgeständnis hat S. nun nach der Verhaftung widerrufen. Sein Anwalt Jörg Meringer sagt, sein Mandant sei stark unter Druck gesetzt worden und habe irgendwann das gesagt, was die Polizisten von ihm hören wollten, um seine Ruhe zu haben. „Ich bin fest davon überzeugt, dass er weder mit der Tötung von Peggy noch mit der Verbringung der Leiche etwas zu tun hat“, betont der Verteidiger. Gudrun Rödel, die Ulvi K. seit 2004 betreut, ist überzeugt, dass auch Ulvi nichts mit Peggys Tod zu tun hat. „Völlig ausgeschlossen“, sagt sie. Rödel rät den Ermittlern, das Umfeld von Peggys Familie genauer zu untersuchen. Gründe für diese Empfehlung nennt sie nicht. Doch auch wenn das viele nicht so recht wahrhaben wollen: Irgendjemand muss Peggy Knobloch umgebracht haben.

 
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Kommentare
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  • Arcus
    Lichtenberg....Erlabrunn....und dann bricht die ländliche, idyllische Fassade zusammen.
    70% der Morde passieren im persönlichen Umfeld. Und da sprechen wir nur von den Fällen die strafrechtlich verfolgt werden. Von der hohen Dunkelziffer wollen wir gar nicht sprechen.
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