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MAIN-SPESSART
Nationalpark als "einmalige Chance für Mensch und Wald"
Eine mächtige Buche im Spessartwald bei Lohr: Ex-Nationalparkleiter Karl-Friedrich Sinner begrüßt die Pläne für einen Buchennationalpark in Franken, kritisiert jedoch das Vorgehen der Staatsregierung.
Foto: Johannes Ungemach | Eine mächtige Buche im Spessartwald bei Lohr: Ex-Nationalparkleiter Karl-Friedrich Sinner begrüßt die Pläne für einen Buchennationalpark in Franken, kritisiert jedoch das Vorgehen der Staatsregierung.
Johannes Ungemach
 |  aktualisiert: 27.04.2023 02:19 Uhr

Kommt der dritte Nationalpark in Bayern? Kommt er nach Franken? Und wenn ja, wohin? Seit der Ankündigung der Bayerischen Staatsregierung, einen solchen dritten Park schaffen zu wollen, kocht in der Region die Diskussion hoch. München sieht den Steigerwald aus dem Rennen, favorisiert stattdessen die Rhön und vor allem den Spessart. Karl-Friedrich Sinner stammt aus dem Spessart. Der Forstmann leitete viele Jahre den Nationalpark Bayerischer Wald. Ein Gespräch über Ängste und Erfahrungen.

Seehofer stellte einst als Landwirtschaftsminister die Weichen

Frage: Herr Sinner, die Bayerische Staatsregierung hat mit ihrer Ankündigung eines dritten Nationalparks alle überrascht. Sie auch?

Karl-Friedrich Sinner: Ja. Allerdings muss man wissen, dass Horst Seehofer einmal Bundeslandwirtschaftsminister war und mit seiner Zustimmung 2007 die Biodiversitätsstrategie des Bundes ausgearbeitet wurde. Sie sieht vor, dass in Deutschland bis 2020 zehn Prozent der öffentlichen Wälder der natürlichen Entwicklung überlassen werden. In Bayern ist seither nichts passiert. Irgendwann muss also auch im Freistaat mal eine Reaktion auf dieses gemeinsame Ziel erfolgen.

Überraschungseffekt als die falsche Strategie

Halten Sie diesen Überraschungseffekt für die richtige Strategie?

Sinner: Ich sehe dieses Vorgehen kritisch. In Regionen wie dem Hunsrück oder dem Schwarzwald, wo es heute neue Nationalparks gibt, stand zu Beginn aller Diskussion eine ausführliche Information durch die jeweilige Staatsregierung. Man hat ein Grobkonzept vorgelegt, die nach fachlichen Kriterien ausgewählten möglichen Regionen benannt und den aus einem Nationalpark entstehenden Mehrwert dargelegt.

Es wurde gleich zu Beginn mit allen Kommunen und Landkreisen gesprochen und deren Meinung abgefragt. Dieses Vorgehen vermisse ich in Bayern.

Was sagen Sie generell zur Idee eines dritten Nationalparks?

Sinner: Ich freue mich darüber. Ein so großes Flächenland wie Bayern mit einem solch reichhaltigen Repertoire an naturnahen Wäldern, insbesondere in Franken, kann sich mit Fug und Recht einen dritten Nationalpark auf die Fahnen schreiben.

Steigerwald noch eine Chance geben

Im Steigerwald wird schon lange darum gerungen, doch die Staatsregierung wehrt sich vehement, womöglich, weil die Initiative dort nicht von ihr ausging. Stattdessen bringt sie nun den Spessart ins Spiel. Wäre der aus naturschutzfachlicher Sicht nur die zweite Wahl?

Sinner: Nein. In der bundesweiten Liste der Gebiete, die für den Prozess „Weltnaturerbe Buchenwälder“ begutachtet wurden, hat der Spessart eine sehr hohe Bewertung. Der Steigerwald lag zwei Plätze davor. Hinter dem Spessart lagen Gebiete, die heute bereits Weltnaturerbe sind. Unter den Prämissen der Staatsregierung ist der Spessart erste Wahl.

Welche Eigenschaften des Spessarts machen ihn als Nationalpark tauglich?

Sinner: Es soll ein Buchennationalpark werden. Im Spessart dominiert die Buche, begleitet von der Eiche. Die Buche hat im Spessart eine lange, ungebrochene Tradition. Das gibt dem Wald seinen Artenreichtum und macht den Spessart einzigartig.

Auch im Steigerwald dominiert die Buche. Sehen sie ihn dennoch aus dem Rennen?

Sinner: Ich denke, man sollte nirgendwo den Menschen und Akteuren vor Ort die Möglichkeit verbauen, nach entsprechender Information und einem offiziellen Angebot durch das Ministerium die bislang ablehnende Meinung zu ändern. Die Staatsregierung sollte für alle drei im Gespräch befindlichen Regionen Konzepte entwerfen, diese vor Ort vorstellen und die Reaktionen aufnehmen.

10.000 Hektar sind die Mindestgröße

Wie groß sollte beziehungsweise müsste ein Nationalpark überhaupt sein?

Sinner: Das Bayerische Naturschutzgesetz gibt eine Mindestgröße von 10 000 Hektar vor. Mehr Fläche würde das System, das bei ungestörter Waldentwicklung entsteht, stabiler machen.

Förster stehen Nationalparkplänen häufig eher skeptisch gegenüber. Woran liegt das?

Sinner: Das ist eine schwierige Frage, bei der vielleicht auch das Berufsverständnis eines jeden entscheidet. Ich habe mich als Forstmann zunächst immer für den Wald als solchen verantwortlich gefühlt. Schon im Studium ging es darum, dass man die Abläufe in Urwäldern verstehen muss, um Wirtschaftswälder vernünftig bewirtschaften zu können. Manche Kollegen fühlen sich offenbar ihrer Berufsgrundlage entzogen, wenn Wälder aus der Nutzung genommen werden.

Angst vor Arbeitsplatzverlusten unbegründet

Die Angst vor Arbeitsplatzverlusten in der Forstwirtschaft wird stets als ein Argument von Nationalparkgegnern genannt. Zu Recht?

Sinner: Der Nationalpark Bayerischer Wald beschäftigt rund 200 Menschen, etwa doppelt so viele wie die angrenzenden staatlichen Forstbetriebe auf gleicher Fläche. Dieses Argument greift also überhaupt nicht.

Welchen Einfluss hat ein Nationalpark auf Wertschöpfung und Entwicklung einer Region?

Sinner: Das ist für alle deutschen Nationalparks untersucht worden. Ein Nationalpark bringt einer Region die Wertschöpfung, die 200 bis 1000 Vollarbeitsplätzen entspricht. Für den Bayerischen Wald hat eine Studie ergeben, dass der Nationalpark spürbar mehr wirtschaftlichen Ertrag bringt als es die forstliche Nutzung tun würde. Hinzu kommt, dass bei einem Nationalpark die Wertschöpfung in der Region bleibt, während sie bei der forstlichen Nutzung des Staatswaldes zum Großteil nach München abfließt.

Auch im Spessart regt sich dennoch Widerstand aus Bevölkerung und Interessengruppen. Was ist der Grund dieser weit verbreiteten Ablehnung?

In der Diskussion dominieren fragwürdige Argumente

Sinner: Sicher spielt die Angst vor Veränderung eine Rolle, vor dem Bruch mit Gewohntem. Daneben herrscht eine große Unkenntnis darüber, welche Einschränkungen ein Nationalpark überhaupt mit sich bringt. Ich habe den Eindruck, dass manchmal sogar absichtlich behauptet wird, dass im Nationalpark alle ausgesperrt werden, dass man nicht mehr wandern und keine Pilze mehr sammeln darf und auch an kein Brennholz mehr kommt.

All diese Aussagen sind jedoch nachweislich falsch.

Holzeinschlag schrittweise reduziert

Wobei zumindest Holz ja nicht mehr eingeschlagen würde.

Sinner: Das stimmt. Im Bayerischen Wald wurde der Einschlag zehn Jahre lang um jeweils zehn Prozent gesenkt, um Holzkäufern die Möglichkeit zur Umstellung zu geben. Die Versorgung mit Holz wird aber durch einen Nationalpark nirgendwo gefährdet. Der Einschlagsverlust auf der relativ kleinen Nationalparkfläche kann problemlos in umliegenden Wäldern kompensiert werden, weil der Zuwachs überall über dem Einschlag liegt. Auch im Spessart würde ein Nationalpark keinen nennenswerten Einfluss auf die regionale Holzversorgung nehmen. In anderen Parks wurden Konzepte entwickelt, dass Brennholzrechte durch angrenzende Staatsforsten unvermindert abgedeckt werden.

Der Spessartbund fürchtet Einschränkungen bei den Wanderwegen und Betretungsrechten.

Sinner: Jeder Nationalpark hat den Auftrag, Naturschönheiten erlebbar zu machen. Im Bayerischen Wald gibt es ein im Vergleich zum früheren Zustand deutlich verbessertes Wanderwegenetz von 330 Kilometern und 180 Kilometer Radwege – alles von der Parkverwaltung gepflegt und unterhalten. Das Wegenetz wird konzipiert mit Kommunen und regionalen Vereinen, wozu im Spessart sicher der Spessartbund zählen würde.

Jeder will Nationalparke, aber keiner will sie vor der eigenen Haustüre

Als der Nationalpark Bayerischer Wald vor fast fünf Jahrzehnten gegründet wurde, gab es vor Ort große Proteste. Wie ist der Park heute von der Bevölkerung gelitten?

Sinner: Die Akzeptanz liegt dort heute zwischen 60 und 80 Prozent. Grundsätzlich ist es oft so, dass bei der Diskussion um einen neuen Nationalpark die Akzeptanz zunächst immer dort am niedrigsten ist, wo er geschaffen werden soll. Das klassische Sankt-Florians-Prinzip eben. Viele wollen Nationalparke, aber keiner will sie vor der eigenen Türe. Im Bayerischen Wald ist es heute jedoch so, dass die Akzeptanz gerade im Kernbereich des Nationalparks am höchsten ist. Die Menschen dort sind stolz auf ihre Waldwildnis.

Die Diskussion um das Für und Wider eines Nationalparks kann tiefe Gräben aufreißen. Was muss passieren, dass das nicht geschieht?

Schnelle und umfassende Information hätte nun Priorität

Sinner: Mich hat beeindruckt, wie diese Diskussion im Hunsrück geführt wurde, die Klugheit der dortigen Kommunal- und Regionalparlamente. Sie haben von Anfang an gesagt: Wir fassen keine Beschlüsse, bevor wir vom Ministerium die Informationen zu Konditionen, Rahmenbedingungen und Entwicklungsperspektiven eines Nationalparks haben. Dort wollte man nicht mit Vorurteilen arbeiten, sondern auf Grundlage von klaren Informationen und Fakten.

Im Fall von Spessart oder Rhön ist das Umweltministerium diese Informationen bislang schuldig geblieben.

Sinner: Das Ministerium ist jetzt in der Pflicht, sehr rasch und klar zu sagen, wie die Konzepte aussehen könnten. Mit den Informationen muss man in die Region und zu den Kommunen gehen. Das wäre das erste, dringend erforderliche Signal an die Menschen im Spessart und in den anderen diskutierten Regionen. Ich erwarte, dass das noch in diesem Jahr anläuft. Man darf eine solche Diskussion nicht so lange im Schwebezustand halten.

Wie lange dauert es üblicherweise von der ersten Idee bis zur Realisierung eines Nationalparks?

Sinner: Das ist ganz unterschiedlich. Im Schwarzwald hat es rund 30 Jahre gedauert, im Hunsrück waren es knapp drei Jahre.

Glauben Sie, dass Sie den „Nationalpark Spessart“ noch erleben werden?

Sinner: Ich denke schon, dass ich zumindest den dritten Nationalpark in Bayern noch erleben werde. Wo er kommt, das möchte ich für mich offenhalten. Das ist ein so großes und tolles Projekt, das muss vom Fachlichen stimmen, auch von der Akzeptanz, vom gesamten Prozess her. Umso besser kann ein Nationalpark dann funktionieren. Für die Menschen im Spessart und den Spessartwald wäre es eine einmalige Entwicklungschance.

Karl-Friedrich Sinner

Der 70-Jährige wurde in Aschaffenburg geboren. Sein Vater war Forstamtsleiter. Aufgewachsen ist Sinner in Waldaschaff und Lohr. Nach dem Studium der Forstwissenschaft in München trat er 1974 in den Staatsforstdienst ein, wo er unter anderem bis 1998 das Forstamt Nürnberg leitete. Von 1998 bis 2011 war Sinner Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald. Die emotionale Diskussion um dessen Erweiterung 1997 erlebte er in dieser Funktion hautnah mit.

Sinner ist Mitglied im Vorstand von Europarc Deutschland, dem Dachverband der nationalen Naturlandschaften. Er ist involviert in die Evaluierung von Nationalparken im In- und Ausland. Außerdem arbeitet er in einem internationalen Gremium zum Aufbau eines Nationalparksystems in China mit. Er war beratend eingebunden bei der Ausweisung von Nationalparken im Schwarzwald und im Hunsrück durch die dortigen Landesregierungen.

Sinners Bruder Eberhard ist ebenfalls Forstmann, bekannter aber wurde der CSU-Politiker als Staatsminister und Staatskanzleichef.

Nationalpark Bayerischer Wald       -  Karl-Friedrich Sinner.
Foto: Weigl/DPA | Karl-Friedrich Sinner.
 
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