Nach dem Steigerwald nun also der Spessart oder die Rhön. Die Debatte um die Einrichtung eines dritten Nationalparks in Bayern lässt Unterfranken nicht los. Ministerpräsident Horst Seehofers Ankündigung, ein weiteres Schutzgebiet einzurichten, hat Spekulationen neu entfacht, wonach diesmal der nördliche Teil des Freistaats zum Zuge kommen könnte.
Für den Bund Naturschutz (BN) ist die Ansage der Staatsregierung, einen dritten Nationalpark auszuweisen, „ziemlich überraschend“, erklärt der BN-Waldreferent in Bayern, Ralf Straußberger. Gleichwohl unterstützt der BN das Ansinnen, mehr Wälder in Bayern unter Schutz zu stellen, „um das bestehende Defizit auszugleichen“. Laut Straußberger habe es Bayern als einziges Bundesland nicht geschafft, die deutschlandweit geforderten zehn Prozent der öffentlichen Wälder naturnah zu gestalten. In Bayern seien es nur etwa 2,5 Prozent.
Straußberger hält daran fest, dass „der Steigerwald die beste Fläche“ für einen dritten Nationalpark stellen würde. Weil die kontroverse Diskussion dort aber auch nach einem Jahrzehnt nicht zum Ziel geführt habe, so unterstellt der BN-Waldreferent, würde nun „das eine Gebiet gegen das andere ausgespielt“, um die Debatte um den Steigerwald „abzuwürgen“. Positiv findet Straußberger, „dass die Verweigerungshaltung der Staatsregierung, Naturwälder stärker zu schützen, nun der Vergangenheit angehört“.
Der Spessart sei als „prominentes Laubwald-Gebiet“ fraglos schützenswert. Alte Baumbestände mit 400 Jahre alten Eichen und 200 Jahre alten Buchen, wie sie zum Beispiel im „Heisterblock“ bei Rothenbuch zu finden sind, könnten im Nationalpark besser geschützt werden, sagt Erwin Scheiner, BN-Kreisvorsitzender Main-Spessart. Vielerorts sei der Spessart nur noch als „Spargel-Wald“ erlebbar, mit Bäumen, die 50 bis 100 Jahre alt seien, um dann geerntet zu werden. Scheiner wünscht sich mehr alte Riesen, „für die es mindestens drei Männer braucht, um sie zu umfassen“.
Die Biodiversität im Spessart mit seinen Lichtungen, Tälern und Bächen „hätte es verdient, Nationalpark zu werden“, findet er.
Zugleich müsse man der Bevölkerung sagen, dass man sie nicht ausschließen wolle. Daher solle schon zu Beginn der Diskussion die Sorge ernst genommen werden: „Dann darf ich ja den Wald nicht mehr betreten.“ Das sei vor allem für die rund 30 bayerischen Spessart-Gemeinden wichtig, die sich im Verband der Spessartforstberechtigten zusammengeschlossen haben. Ein seit 1570 verbrieftes Recht gewährt ihren Bürgern nämlich, sich im Staatsforst kostenfrei mit Brennholz zu versorgen. Dabei handelt es sich um einen Ausgleich für die Bevölkerung, der aus der Zeit stammt, als die Mainzer Kurfürsten den Spessart vor allem als ihr Jagdrevier nutzten. Eine Verschlechterung bei der Nutzung dürfe es nicht geben, fordert daher selbst der BN-Kreisvorsitzende.
Dass längst nicht alles nur Natur ist, was danach aussieht, erklärt der Leiter des Forstbetriebs Rothenbuch, Jann Oetting, der uralte Eichenbestände in seinem Revier unterhält. Mit dem Klischee der naturnah wachsenden Spessarteiche will Oetting aufräumen: „Die jahrhundertealten Eichen im Spessart sind von Menschen gemacht.“ Seit 1000 Jahren arbeite der Mensch im Wald und sorge dafür, dass die Eiche sich gegen die dominierende Buche durchsetzen könne. Denn normalerweise würden die schattenwerfenden Buchen die Eichen schnell verdrängen. „Ohne Forstwirtschaft keine Eiche“, gibt Oetting daher zu bedenken.
Die offizielle Haltung der Bayerischen Staatsforsten erläutert Pressesprecher Philipp Bahnmüller: Die Entscheidung über den Standort eines dritten Nationalparks werde in einem offenen Prozess getroffen, an dem Bürger, Kommunen und Interessenverbände beteiligt seien. Dabei sprächen Gründe für den Spessart wie für die Rhön, sagt er mit Blick auf die beiden Kandidaten aus Unterfranken. Main-Spessart-Landrat Thomas Schiebel, zugleich Vorsitzender des Naturparks Spessarts, will erst die Vor- und Nachteile unvoreingenommen prüfen. Einen ersten Vorteil sieht er darin, „dass man nun über den Spessart als naturnahen Wald spricht“.
Ähnlich abwartend verhält sich die Stadt Lohr, zweitgrößter kommunaler Waldbesitzer in Bayern. „Die Stadt sieht Chancen und Risiken“, fasst Hauptamtsleiter Dieter Daus das erste Stimmungsbild zusammen. Für eine Beurteilung müsste man die Lage und die Grenzen des möglichen Nationalparks kennen. „Die Stadt erwartet, dass die Staatsregierung auf sie zukommt, sobald es konkreter wird.“ Für den Moment könne man „keine Nachteile für die Bewirtschaftung des Stadtwalds“ erkennen. Vielmehr erwarte man sich „positive Impulse für den Tourismus“. Daus prägt für Lohr, das „Tor zum Spessart“, schon den denkbaren neuen Slogan „Tor zum Nationalpark“.
Noch größere Erwartungen setzt der Verband Tourist-Information Spessart-Mainland in die Zukunft: Geschäftsführer Michael Seiterle sähe in einem Nationalpark „einen deutlichen Schub für die Region“. Sowohl Tagestouristen aus dem Großraum Rhein/Main als auch Mehrtagesgäste ließen sich mit dem Prädikat Nationalpark in den Spessart locken. „Das wäre eine ganz wertvolle Förderung“, fasst Seiterle zusammen.
Er könnte sich Besucherzentren, Infohäuser und geführte Touren durch den Nationalpark vorstellen, nennt er Beispiele künftiger touristischer Infrastruktur. Dieser Titel führe zu einer höheren Aufmerksamkeit und somit zu einem Wettbewerbsvorteil im Vergleich mit Konkurrenz-Regionen in Deutschland. Noch ist die Entscheidung lange nicht in Sicht, aber die Diskussion in vollem Gange.
Die Rhön ist mit im Rennen, aber eher mit Außenseiterchancen
Dass auch die Rhön neben dem Spessart als möglicher Nationalpark im Gespräch ist, wird vor Ort mit Genugtuung, Hoffnung aber auch mit einiger Skepsis registriert. Seine Genugtuung, dass die Rhön als Naturraum inzwischen die Bedeutung hat, in die Auswahl für ein solches Projekt zu kommen, bringt beispielsweise der Bad Kissinger Landrat und derzeitige Vorsitzende des Vereins Naturpark und Biosphärenreservat Rhön, Thomas Bold, zum Ausdruck. Wie Umweltministerin Ulrike Scharf sieht auch Bold die Chancen für die wirtschaftliche und touristische Entwicklung der Region durch die Ausweisung eines Nationalparks.
Rhön-Grabfeld-Landrat Thomas Habermann widerspricht dem nicht. Er sieht ein solches Projekt aber deutlich skeptischer. Für Habermann ist das Biosphärenreservat mit dem dort geforderten nachhaltigen Wirtschaften die entscheidende Schutzkategorie für die Region. Die wertvollsten Wiesenflächen in der hohen Rhön mit ihrem einzigartigen Artenreichtum seien das Ergebnis extensiver Landwirtschaft. Während das Gebiet eines Nationalparks weitgehend sich selbst überlassen bleibe, sei die Rhön eine von Menschen geprägte Kulturlandschaft. Habermann verwirft den Nationalpark aber ausdrücklich nicht: Man müsse jetzt in intensive Gesprächen einsteigen. Er will nun erst einmal Kontakt mit dem Umweltministerium und Ministerpräsident Horst Seehofer aufnehmen, um die Rahmenbedingungen zu klären. Eventuell vorstellbar wäre es für ihn, große Staatswaldflächen in Rhön-Grabfeld wie im Salzforst und Waldflächen im Landkreis Bad Kissingen zu berücksichtigen. Entscheidende Voraussetzung ist dabei allerdings für Habermann und Bold, diesen Prozess im Dialog mit allen Beteiligten, der Bevölkerung und den Kommunen zu führen.
Bei den Rhönern herrscht verhaltenes Abwarten gegenüber den möglichen Plänen der Staatsregierung. Wie immer bei Naturschutzvorhaben werden Einschränkungen befürchtet: „Die in München bekommen kein großes Schutzgebiet in Südbayern mehr durch; da muss eben der Norden herhalten“, heißt es mancherorts hinter vorgehaltener Hand. Das häufig geäußerte Argument, in einem Biosphärenreservat könne kein Nationalpark ausgewiesen werden, ist allerdings falsch. Das belegt das Beispiel der Alpen-Nationalpark Berchtesgaden. Mit etwa 208 Quadratkilometern umfasst dieser etwa ein Viertel des 840 Quadratkilometer großen Biosphärenreservats Berchtesgadener Land.
Das Biosphärenreservat Rhön existiert seit 1991, es ist rund 2430 Quadratkilometer groß, davon liegen gut 1350 in Bayern, der Rest in Hessen und Thüringen.
Und die Rhön? Eine zweifellos faszinierende Landschaft. Doch das Zentrum, die Hochrhön, ist weitgehend waldlos. Ja, das ist eine Kulturlandschaft und kein Naturwald! Fazit: Wenn man Buchenwälder auf größerer und zusammenhängender Fläche (nicht nur an Bergkuppen wie in der Rhön) schützen will, kommt man einfach am Steigerwald nicht vorbei.