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DONAUWÖRTH
Klinik-Skandal in Donauwörth: Betroffene spricht
Von Barbara Wild
 |  aktualisiert: 15.07.2024 08:59 Uhr

In der Nacht ist es am schlimmsten. Wenn sie wach liegt, zu einer Uhrzeit, in der die ganze Welt zu schlafen scheint. Der Wecker zeigt 2 Uhr. Elke S. fühlt sich erschöpft und ausgelaugt. Aber sie kann nicht schlafen.

Schon durch den Tag quält sie sich kraftlos und müde. Wenn sie dann abends die Bettdecke bis zur Nasenspitze zieht und die Augen schließt, tauchen die Bilder im Kopf auf. „Es ist wie ein Film, der vor meinem inneren Auge abläuft.“

Es sind Szenen, die sie nie gesehen hat. Ihr Bewusstsein hat sich die Bilder zusammengesucht und zu einem Albtraum geformt. Weil es nach Antworten sucht, weil Elke S. die Frage umtreibt, wie ein Narkosearzt sie bei ihrer Operation im März an der Donau-Ries-Klinik Donauwörth mit dem gefährlichen Virus Hepatitis C angesteckt haben könnte. Einer Infektion, die ihr bis heute zu schaffen macht und ihr Leben aus den Angeln hebt.

Elke S. war einer der ersten gemeldeten Fälle

Als alles ans Licht kam, war Elke S. eine der ersten gemeldeten Fälle. Sie ist Teil eines medizinischen Skandals, der bundesweit Schlagzeilen macht und eine ganze Region schockt. Weil es um Menschenleben geht, die in Gefahr geraten, wenn Infektionen unentdeckt bleiben. Und um einen Berufsstand, dem die Menschen vertrauen müssen, wenn sie am meisten Hilfe brauchen: dem der Ärzte.

Elke S. sieht sich selbst wieder im Operationssaal liegen. Sie denkt an Nadeln und Spritzen. Sie sieht die Schwestern, sogar das Gesicht des Arztes vor sich. Sie kennt ihn.

Er hat ihr schon öfter in der Notaufnahme geholfen, wenn sie selbst oder eines ihrer Kinder am Wochenende medizinische Versorgung gebraucht haben. Sie erinnert sich, dass sie ihn immer für sehr gut aussehend gehalten hat. Allein der Gedanke, dass sie während ihrer Operation mit dem Blut des medikamentenabhängigen Mannes in Berührung gekommen ist, „macht mich einfach nur fertig“, sagt Elke S. „Ich fühle mich beschmutzt“, bricht es aus ihr heraus.

Sie will ihren richtigen Namen nicht in den Medien finden und sie will sich auch nicht fotografieren lassen. Aber sie erzählt ihre Geschichte.

Eine Routineuntersuchung brachte die Infektion ans Licht

Elke S. weiß seit Juni, dass sie mit Hepatitis C infiziert ist. Sie wusste es schon, bevor der Skandal die Zeitungen füllte und Fernsehsender darüber berichteten. Bevor der Brief des Gesundheitsamtes Donau-Ries in ihrem Briefkasten lag und sie aufforderte, sich testen zu lassen.

Eine Routineuntersuchung bringt ihre Infektion ans Licht. Weil sie Probleme mit der Schilddrüse hat, lässt sie einmal im Jahr bei ihrem Hausarzt ein großes Blutbild machen. Der stellt bei ihr extrem hohe Leberwerte fest. Er macht einen zweiten Bluttest. Elke S. sitzt gerade zufällig im Wartebereich der Donau-Ries-Klinik, als ihr Hausarzt sie am Handy erreicht. „Er hat mich aufgefordert, sofort zu ihm in die Praxis zu kommen“, erzählt sie.

Als sie vor ihrem Hausarzt sitzt, ist sie erst einmal geschockt. Sie hat zwar nun eine Erklärung dafür, warum sie sich auch gut sechs Wochen nach ihrem Eingriff noch so schlecht fühlt. Doch sie weiß nicht, was die Diagnose bedeutet. Sie begreift schnell, dass selbst ihr Hausarzt mit der Situation nur schwer umgehen kann und sie deshalb sofort stationär ins Krankenhaus einweist. Eine eigentlich übertriebene Maßnahme, aber im Rückblick ein Zeichen, wie weit die Unsicherheit im Umgang mit dieser Infektion reicht.

„Ich hatte keine Ahnung, ob ich ansteckend bin“

Für Elke S. folgen harte Tage und Wochen. Im Krankenhaus wird ihr mehrfach Blut abgenommen, die Schwestern tragen Handschuhe und Mundschutz, wenn sie zu ihr ins Einzelzimmer kommen. Die Ärzte fragen sie, ob sie sich im Ausland habe operieren lassen. Ob sie einen Liebhaber habe. Ob sie sich erklären könne, wie sie sich mit diesem Virus angesteckt hat. „Ich fühlte mich bloßgestellt und vorgeführt“, sagt sie. „Und ich fühlte mich mit all dem alleingelassen.“

Freunde und Familie reagieren distanziert. „Ich hatte ja selbst keine Ahnung, ob ich ansteckend bin“, sagt die zweifache Mutter. Heute weiß sie, dass im Alltag eine Ansteckung unwahrscheinlich ist. Das Virus wird fast ausschließlich von Blut zu Blut weitergegeben. Eine Infektion über Speichel oder beim Geschlechtsverkehr ist zwar nicht ausgeschlossen, aber sehr selten.

Nach fünf Tagen im Krankenhaus wird S. zu einem Internisten überwiesen, der ihr schließlich ihre bohrende Frage beantwortet: Wie wird sie das Virus wieder los? Hepatitis C ist mittlerweile gut heilbar. Seit 2014 gibt es mehrere Präparate, die eine Heilungschance von fast 95 Prozent versprechen. Hepatitis C ist lebensbedrohlich, wenn es unerkannt bleibt. Dann kann die Leber massiv Schaden nehmen. Die Folge: Leberzirrhose oder Leberkrebs.

Über zwölf Wochen nimmt Elke S. jeden Morgen um zehn eine große, rosafarbene Tablette. Und doch verstärken sich die Symptome: Gelenkschmerzen, Kopfweh, Müdigkeit, Kreislaufbeschwerden. „Ich brauche alle zwei Stunden eine Pause. Egal, was ich mache, ich bin einfach nicht belastbar.“ Das ist bis heute so, auch wenn ihre Behandlung seit einem Monat abgeschlossen und das Virus im Blut nicht mehr nachweisbar ist. Sie gilt als geheilt. Die Folgeerscheinungen werden verschwinden, sagen die Ärzte.

Der Narkosearzt war bei ihrer OP Pausenvertretung

Elke S. ist schon in der Endphase ihrer Therapie, als sie endlich erfährt, woher sie das Virus wohl hat. Im Internet liest sie, dass ein Narkosearzt Patienten angesteckt haben könnte. Er war bei ihrer OP als Pausenvertretung eingeteilt. „Von mir ist eine enorme Last abgefallen“, sagt sie. „Die Ungewissheit, wo ich mich infiziert haben könnte, hat mich einfach nur fertiggemacht.“

Mittlerweile sind dank einer groß angelegten Suche 55 Patienten ermittelt, die der Arzt bei Operationen wohl mit dem Virus angesteckt hat. Diese Zahl wird steigen, denn von den 1281 Briefen, die das Gesundheitsamt verschickt hat, fehlen noch gut 250 Antworten mit Testergebnissen. 1281 – das ist die Zahl der Patienten, bei deren Operationen der Mediziner eingeteilt war oder eine Vertretung übernommen hatte. Dass er die Infektionsquelle ist, ist zwar nicht zweifelsfrei bewiesen, doch Indizien sprechen dafür.

Eine genetische Analyse lieferte den Beweis

Als im Oktober ein Hausarzt aus dem Landkreis Donau-Ries dem Krankenhaus Donauwörth meldet, dass er bei drei Patienten in seiner Praxis Hepatitis C diagnostiziert hat und alle drei in der Klinik operiert worden waren, kommt der Fall ins Rollen. Alle Mitarbeiter des Krankenhauses werden auf das Virus getestet, alle Abläufe und Steril-Einheiten überprüft. Das Gesundheitsamt kann keine Mängel feststellen. „Dann kam der Anruf des ehemaligen Narkosearztes“, sagt Jürgen Busse, Vorstandschef des Klinikverbundes gkU, zu dem auch das Donauwörther Haus gehört. Der Mediziner, dessen Arbeitsvertrag mittlerweile aufgelöst wurde, gesteht ein, dass er Träger des Virus war. Und bei den gemeldeten Fällen der zuständige Narkosearzt. Zudem zeigt eine genetische Analyse des Robert-Koch-Instituts, dass die infizierten Patienten den gleichen Hepatitis-C-Typus aufweisen wie er.

Doch der Arzt, bei Kollegen sehr beliebt, zehn Jahre in Donauwörth tätig und mit besten Abschlüssen an bayerischen Universitäten, streitet ab, die Infektionsquelle gewesen zu sein. Das lässt er über seine Anwälte mitteilen. Er steht zu seiner Medikamentensucht, bezeichnet sie als „Hilferuf“. Er habe dem Druck seiner Arbeit nicht standgehalten. Während seiner Operationen habe er sich selbst die starken Schmerzmittel gespritzt, die für Narkosen verwendet werden. Die sogenannten Opioide haben hohes Suchtpotenzial, wirken wie Stimmungsaufheller. Pflegeschwestern erinnern sich auch, dass der Mediziner an guten Tagen gerne mal ein Lied im OP angestimmt hat.

Dass er ein Problem hat, sei aufgefallen, heißt es in der Klinik. Jürgen Busse bestätigt, dass der Suchtbeauftragte des Krankenhauses den Arzt direkt auf eine mögliche Abhängigkeit angesprochen hat. „Er hat den Vorwurf verneint, und dann hatten wir keine Chance, unseren Verdacht zu belegen.“

Nach dem Auflösungsvertrag arbeitete der Arzt in Ellwangen

Doch als ihn am 24. April eine Pflegeschwester im OP-Saal mit einer gefüllten Spritze im Arm erwischte, gab es augenscheinlich keinen Zweifel mehr. Der Arzt musste gehen, ein umstrittener Auflösungsvertrag verschaffte ihm die Möglichkeit, im Oktober in der St.-Anna-Virngrund-Klinik in Ellwangen erneut als Anästhesist anzufangen. Bei der zuständigen Ärztekammer war der Mann nicht gemeldet worden. Inzwischen praktiziert er auch nicht mehr.

Wie aber hat er Patienten, die narkotisiert vor ihm auf dem OP-Tisch lagen, angesteckt? Kleinste Mengen an Blutbeimischungen reichen wohl aus, um das Virus weiterzugeben, erklärt Dr. Bernd Salzberger. Er ist Infektionsmediziner an der Universitätsklinik Regensburg. Seit 30 Jahren beschäftigt er sich mit der Frage, wie Viren in den menschlichen Organismus gelangen. Die Vorfälle in Donauwörth verfolgt er mit hohem Interesse.

Denn dass Anästhesisten Patienten mit Hepatitis C anstecken oder auch selbst infiziert werden, ist für ihn nicht neu. „Es reichen kaum sichtbare Blutbeimengungen aus, um das Virus weiterzugeben“, sagt er. Wenn Spritzen für den eigenen Gebrauch direkt neben Nadeln des Patienten aufgezogen und verwendet werden, könne eine Übertragung stattfinden. Diese Hypothese zu belegen, ist nun Aufgabe der Staatsanwaltschaft Augsburg. Sie ermittelt wegen vorsätzlicher Körperverletzung gegen den ehemaligen Narkosearzt.

Auch Elke S. hat sich an einen Anwalt gewandt, der gleich mehrere Betroffene juristisch berät. Sie hofft zumindest auf Schadenersatz. Seit ihrer Operation ist sie krankgeschrieben, hat massive finanzielle Einbußen. „Das Virus ist zwar aus meinem Blut verschwunden“, sagt sie. „Aber abschließen kann ich damit noch lange nicht.“

Das ist Hepatitis C

Übertragung: Das Virus wird über infiziertes Blut übertragen. Ansteckungsgefahr besteht durch gemeinsames Spritzbesteck in der Drogenszene, Nadelstichverletzungen bei medizinischem Personal sowie Hygienemängel bei Operationen, Tätowierungen, Piercings oder Akupunkturen. Eine sexuelle Übertragung ist möglich, aber seltener. Das Risiko steigt während der Menstruation, bei gleichzeitiger HIV-Infektion sowie bei verletzungsträchtigen sexuellen Praktiken.

Verlauf: Die akute Infektion heilt bei rund einem Fünftel der Betroffenen von selbst aus. Meistens wird sie jedoch chronisch. Nach 20 bis 30 Jahren kommt es bei bis zu einem Drittel der Betroffenen zu Spätfolgen wie Zirrhose und Leberkrebs. Durch heutige Therapien kann die Infektion heilbar sein. Es gibt keine Schutzimpfung.

Formen: Es gibt noch weitere Formen der Hepatitis: A, B, D und E. Eine Heilung hängt vom jeweiligen Virustyp und vom Stadium der Erkrankung ab. dpa

 
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