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Nürnberg
Kandidaten-Casting in Nürnberg: Die SPD feiert sich selbst
Und wer wird nun Chef und Chefin werden? Das Rennen in der SPD ist weiter offen, auch wenn ein Paar in Nürnberg ganz besonders viel Applaus einheimst.
Die Kandidaten für den SPD-Parteivorsitz beim Auftritt in Nürnberg (von links): Norbert Walter-Borjans, Saskia Esken, Dierk Hirschel, Hilde Mattheis, Ralf Stegner, Boris Pistorius, Petra Köpping, Christina Kampmann, Michael Roth, Olaf Scholz, Klara Geywitz, Karl Lauterbach und Nina Scheer. Gesine Schwan und Karl-Heinz Brunner waren beim Fototermin bereits auf dem Weg zum Zug.
Foto: Daniel Karmann, dpa | Die Kandidaten für den SPD-Parteivorsitz beim Auftritt in Nürnberg (von links): Norbert Walter-Borjans, Saskia Esken, Dierk Hirschel, Hilde Mattheis, Ralf Stegner, Boris Pistorius, Petra Köpping, Christina Kampmann, ...
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:27 Uhr

Martin Eisenmann ist eigens aus der Rhön nach Nürnberg gefahren. Der Vorsitzende des 19 Mitglieder starken ("wir wachsen") SPD-Ortsvereins in Oberweißenbrunn (Lkr. Rhön-Grabfeld) hat das Flugblatt mit den Köpfen der 15 Kandidaten, die sich um den Vorsitz seiner Partei bewerben und zum Casting vor der Basis antreten, in der Hand. "Ich bin gespannt", sagt er.

Mit Eisenmann sind über 700 Genossen zur achten von 23 Regionalkonferenzen gekommen. Die Kleine Meistersingerhalle platzt aus allen Nähten. Im Foyer hat man extra eine zusätzliche Leinwand und Stühle aufgebaut. "Die SPD, sie lebt", dieser Satz ist häufig zu hören an diesem Abend. Die zuletzt so arg gebeutelte Partei feiert sich selbst. "Einfach cool", findet Eva-Maria Weimann das Format, "das hat uns vorher keiner zugetraut". Die 32-jährige Juso-Frau aus Dettelbach (Lkr. Kitzingen) ist seit Januar Mitglied im SPD-Landesvorstand.

Das Konzept passt – dank Klaus Tovar

Mann des Abends ist Klaus Tovar. Wer gedacht hatte, so ein Vorstellungsmarathon mit 15 Bewerbern und einem engagierten Publikum, der muss doch mehr oder weniger im Chaos enden, den belehrt der Leiter der SPD-Parteischule in Berlin eines Besseren. Freundlich, aber bestimmt führt Tovar durchs eng getaktete Programm, die Stoppuhr für die Redezeiten stets im Blick. Da traut sich kein Kandidat verbal auszuscheren und auch die Fragesteller von der Basis üben sich unter Tovars strengem Blick in Disziplin. Nach zweieinhalb Stunden ist pünktlich Schluss.

Beim Beschwören der SPD-Geschichte, beim Lob der Basis, da sind sich die sieben Duos und der bayerische Einzelkandidat Karl-Heinz Brunner ("ihr kennt mich aus der Heute-Show") einig. Inhaltliche Unterschiede sind aber doch klar auszumachen: Die Paare vom linken Flügel – Nina Scheer/Karl Lauterbach, Hilde Mattheis/Dierk Hirschel oder Sakia Esken/Norbert Walter-Borjans –rechnen unter Beifall ab mit der Vergangenheit, vor allem mit Hartz IV ("wir haben Menschen, die lange gearbeitet haben, eine Treppe heruntergeschubst"), mit der GroKo ("wir müssen da raus"). Die SPD sei ein "Depp", weil sie es sich mit den Gewerkschaften verdorben habe, raunt Verdi-Mann Hirschel in Anspielung an die alte Nürnberger Fußball-Weisheit "Der Club ist ein Depp". Und auch Ralf Stegner, der mit Gesine Schwan das Senior-Duo bildet, ist diesmal gar nicht gut gelaunt. "Die CDU braucht es nicht nochmal", tritt der Partei-Vize den Regierenden ans Schienenbein. 

Für viele Sieger der Herzen an diesem Abend: Christina Kampmann und Michael Roth.
Foto: Daniel Karmann, dpa | Für viele Sieger der Herzen an diesem Abend: Christina Kampmann und Michael Roth.

Nach vorn gerichtet hingegen der Auftritt von Christina Kampmann und Michael Roth. "Wir sind bereit. Wir wollen diese wunderbare SPD wieder zur Heimat der Weltverbesserer und Mutmacher machen", rufen sie den Zuhörern zu. Balsam für die Seele der Genossen. Für einen höheren Spitzensteuersatz, für Vermögens- und höhere Erbschaftssteuer sind alle Kandidaten, bei den beiden Youngsters fallen zum ersten Mal auch Stichworte wie "Digitalisierung" und Geschlechtergerechtigkeit. Und sie plädieren am Lautesten für das "Friedensprojekt Europa". Kampmann und Roth bekommen – gefühlt – den meisten Beifall an diesem Abend. Ein wenig dürfen sich die beiden – Selbstbeschreibung: "Christina und Michael: das klingt wie ein Schlager-Duo" – als Sieger der Herzen fühlen.

Olaf Scholz wird nie Sieger der Herzen werden. Und er weiß das. Ruhig und sachlich bilanziert der Finanzminister, was die SPD in Berlin zuletzt in Sachen Sozialstaat und Verteilungsgerechtigkeit erreicht hat. Dass der Soli für die ganz Reichen erhalten bleibt, das würdigen auch die, für die der Finanzminister ein Teil der SPD-Probleme ist. "Ich finde es gut, dass wir regieren", sagt Scholz. Das schafft Klarheit.  Unterschätzen darf man das bekannteste Gesicht auf dem Kandidaten-Karussell und seine Partnerin Klara Geywitz bei aller Sehnsucht nach SPD pur an der Basis nicht.

"Mehr auf die Kommunalpolitik hören"

Als bodenständige, erfahrene Macher präsentieren sich auch Petra Köpping und Boris Pistorius. "Wir müssen mehr auf die Kommunalpolitik hören", so ein Satz verfängt bei den vielen engagierten Vertretern aus den Ortsvereinen in Franken. Schließlich werden im März hierzulande Bürgermeister, Landräte und Gemeindeparlamente gewählt. 

 

Die inhaltlichen Unterschiede zwischen den Kandidaten werden bei der Regionalkonferenz deutlich. Was fehlt, ist die direkte Konfrontation zwischen Realos und Fundis. Zuhörer dürfen ihre Frage, egal ob es um Klimaschutz oder Rüstungsexporte geht, immer nur an einen Bewerber richten. Dabei wüsste man manches Mal auch gern, was die Kontrahenten zu sagen haben. Und wie sie die Flügel nach einer erfolgreichen Wahl unter einem Dach vereinen wollen. Doch dafür ist an diesem Abend keine Zeit.

 

Ein linkes Duo - oder am Ende doch Olaf Scholz

 

Hat die Veranstaltung dennoch bei der Meinungsbildung geholfen? Eva-Maria Weimann weiß noch nicht genau, wem sie ihre Stimme geben wird. Fest steht für sie nur: "Es wird ein linkes Duo sein." Die SPD müsse raus aus der GroKo und sich neu auf ihre Werte und eine linke Programmatik besinnen. Die 32-Jährige hofft, dass vor der entscheidenden  Abstimmung der 430 000 Mitglieder noch der eine oder andere Kandidat seine Bewerbung zurückzieht. "Sonst nehmen sich die Linken gegenseitig die Stimmen weg. Und Olaf Scholz gewinnt."

 

 

Martin Eisenmann hat sich auf dem Kandidaten-Prospekt viele Notizen gemacht. Weiß er denn nun, wen er wählen wird? "Das Duo Kampmann/Roth fand ich gefühlsmäßig am Besten", sagt der 53-Jährige. "Aber vielleicht ist es besser für die SPD, sich am Verstand zu orientieren." Und das heißt? "Köpping/Pistorius haben mich zwar positiv überrascht, der Auftritt von Olaf Scholz war aber schon der souveränste." Wie der Finanzminister "mit breitem Kreuz" die Regierungspolitik verteidige, das imponiere ihm, sagt Eisenmann. Der Genosse aus der Rhön will auch in der GroKo bleiben. "Die SPD hat dort doch viel für Normalverdiener erreicht."  

 

Das sind die Kandidaten für den SPD-Vorsitz
Gesine Schwan (76), Vorsitzende der SPD-Grundwerte-Kommission, und Ralf Stegner (59), Fraktionschef im schleswig-holsteinischen Landtag
Petra Köpping (61), Integrationsministerin von Sachsen, und Boris Pistorius (59), Innenminister von Niedersachsen
Hilde Mattheis (64), Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg, und Dierk Hirschel (48), Chefökonom der Gewerkschaft Verdi 
Christina Kampmann (39), ehemalige Familienministerin in NRW, und Michael Roth (49), Staatsminister im Auswärtigen Amt
Klara Geywitz (43), Ex-Landtagsabgeordnete aus Brandenburg, und Olaf Scholz (61), ehemaliger Bürgermeister von Hamburg und Bundesfinanzminister
Nina Scheer (47), Bundestagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein, und Karl Lauterbach (56), Gesundheitsexperte der SPD-Bundestagsfraktion
Saskia Esken (58), Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg, und Norbert Walter-Borjans (66), ehemaliger NRW-Finanzminister 
Karl-Heinz Brunner (66), Bundestagsabgeordneter aus Neu-Ulm
 
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