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Fürth
Inferno in Fürth: "Es fühlte sich an wie ein Amoklauf"
Er rammte 31 Autos, ein Haus brannte: Nach dem verheerenden Lkw-Unfall in Fürth ist das Entsetzen unter den Anwohner noch groß. Eindrücke vom Ort des Unglücks.
Eine Spur der Verwüstung hinterließ ein betrunkener Lastwagenfahrer in Fürth. Mit seinem Fahrzeug rammte er mehrere Autos, einige fingen dabei Feuer.
Foto: Augenzeuge/vifogra/dpa | Eine Spur der Verwüstung hinterließ ein betrunkener Lastwagenfahrer in Fürth. Mit seinem Fahrzeug rammte er mehrere Autos, einige fingen dabei Feuer.
Claudia Ziob und Katja Kiesel
 |  aktualisiert: 08.02.2024 20:09 Uhr

Es war der Lärm, der die Menschen in der Fürther Hardstraße am Dienstagabend aufschreckte, der sie an ihre Fenster und vor die Haustüren treten ließ. Sie berichten von Scheiben, die wackelten, vom Schlafzimmerfenster, das "weggefahren" wurde. "Ich hab’ den Krach nicht einordnen können", sagt eine Anwohnerin, "das war, als wenn ein Flugzeug abstürzt".

Es sind unfassbare Bilder: Ein Lkw, der den Hardberg offenbar ungebremst hinunterrast; viel Platz hat er hier nicht, denn auf beiden Seiten der Straße parken Autos der Anwohner. 31 Fahrzeuge werden von dem 40-Tonner gerammt, ineinandergepresst, auf Hauswände gedrückt. Ein paar Autos schiebt der Lkw noch vor sich her, ehe er endlich zum Stehen kommt.

Anwohner berichten, es habe ausgesehen wie im Krieg.
Foto: Berufsfeuerwehr Fürth/dpa | Anwohner berichten, es habe ausgesehen wie im Krieg.

Es sprühen Funken, schnell steht ein Auto in Flammen, dann weitere – auch auf ein Haus greift das Feuer über. "Das ging sehr schnell", sagt Canan Bozdogan, die gegenüber wohnt. Ihre Kinder holt die junge Mutter lieber weg vom Fenster, dann geht sie nach draußen, falls jemand Hilfe benötigt. Die Polizei nimmt derweil den Fahrer fest: Er hat zwei Promille im Blut.

Glück, dass niemand überfahren wurde

Es sei ein riesiges Glück, dass niemand überfahren wurde, sagt Bozdogan am Mittwochmorgen. Wie viele andere Nachbarn hat es sie erneut nach draußen gezogen, sie blickt auf die verrußte Fassade, auf die Scherben und Blechteile, die die Straße säumen. Die meisten der demolierten Autos wurden noch in der Nacht abgeschleppt. Der Lkw aber steht am Vormittag noch an Ort und Stelle, vorne dran kleben die zerquetschten Autos, die er mit sich gerissen hatte. Die Reifen stecken noch im Löschschaum vom Abend.

Schwerstarbeit hatten die Feuerwehrkräfte nach der Chaosfahrt eines Lkws in Fürth. 31 Fahrzeuge zermalmte der Lastwagen bei seiner unkontrollierten Fahrt.
Foto: Berufsfeuerwehr Fürth/dpa | Schwerstarbeit hatten die Feuerwehrkräfte nach der Chaosfahrt eines Lkws in Fürth. 31 Fahrzeuge zermalmte der Lastwagen bei seiner unkontrollierten Fahrt.

Ein 64-jähriger Passant konnte offenbar im letzten Moment zur Seite springen, er wurde nur leicht verletzt. Glück hatte auch jene Anwohnerin, die in ihrem Auto eigentlich noch ein Telefonat führen wollte, doch sie stieg aus – weil die Blase drückte. Als sie sich die Hände wusch, hörte sie von draußen ein ohrenbetäubendes Geräusch. Später wird sie sagen: "Es hat ausgesehen wie im Krieg, die Leute haben geschrien."

Eine 74-jährige Frau erlitt schwerere Verletzungen

Schwerere Verletzungen erlitt indes eine 74-jährige Frau, sie muss im Krankenhaus behandelt werden: Sie saß in dem Auto, mit dem der Laster kurz vor 19 Uhr zusammenstieß, als der betrunkene Fahrer an der Kreuzung Hard-/Berlinstraße eine rote Ampel übersah. Anstatt stehen zu bleiben, fuhr er weiter – es war der Anfang der Chaosfahrt. "Sekundenschlaf oder ein Herzinfarkt – das würde man noch irgendwie verstehen", sagt Canan Bozdogan. "Aber dass sich jemand mit zwei Promille in einen Lkw setzt!?"

Auch Inci Ball, eine junge Mutter, ist am Mittwoch noch geschockt von den Ereignissen des Vorabends: "Das hat sich angefühlt wie ein Amoklauf", sagt sie. "Richtig grausam. Wie ist das erst, wenn wirklich Menschen am Boden liegen und sterben?"

Oberbürgermeister Thomas Jung (Mitte) besichtigt die Unglückstelle in dem Fürther Wohngebiet.
Foto: Löb Daniel, dpa | Oberbürgermeister Thomas Jung (Mitte) besichtigt die Unglückstelle in dem Fürther Wohngebiet.

Auch Fürths Oberbürgermeister Thomas Jung fühlt sich an "Szenen von amerikanischen Amok- und Terroreinsätzen" erinnert, als er sich noch am Dienstagabend ein Bild vom Geschehenen macht: überall Verwüstung, überall Blaulicht. Aufgeschreckt "von unzähligen Martinshörnern" war er zum Unglücksort geeilt.

Weil Fürth einen Unfall solchen Ausmaßes noch nicht erlebt hat, ist Jung am Mittwoch erneut in der Hardstraße, zusammen mit Polizei und Feuerwehr beantwortet er Fragen der Journalisten. Heilfroh ist der Rathauschef, dass es keine Toten gab. Erschüttert ist er dennoch: "Das Ausmaß der Gewalt, die ein einziger Lkw anrichten kann, ist erschreckend."

Für die Einsatzkräfte vor Ort war in den ersten Minuten vieles unklar: Handelt es sich um eine Amokfahrt? Einen Anschlag? Er kenne die Hardstraße, sagt Feuerwehr-Einsatzleiter Christian Rieck. Einen 40-Tonner im Wohngebiet – das habe er sich nicht vorstellen können. "Wir sind da wirklich mit mehr als einem blauen Auge davongekommen, dass wir da keine Toten und Schwerverletzten zu beklagen hatten."

Bilanz der Rettungskräfte

Die Feuerwehr konzentrierte sich zunächst auf das brennende Haus. Weil vor dem Eingang zwei Fahrzeuge in Flammen standen, mussten die Einsatzkräfte erst dieses Feuer löschen und dann über Fahrzeuge klettern, um ins Haus zu gelangen. Die Bewohnerinnen und Bewohner hatten sich bereits über den Hinterhof in Sicherheit gebracht.

Das Bayerische Rote Kreuz war mit 22 Kräften vor Ort. Axel Rupprich, seit über 30 Jahren Einsatzleiter, sagt, ein solches Bild habe sich ihm in seinem bisherigen Berufsleben noch nicht geboten: "Das hat ausgesehen wie im Kriegsfall, nach einem Großangriff." Als er gehört habe, dass es drei Leichtverletzte gibt, "ist schon einiges an Anspannung abgefallen", sagt Jürgen Teichert, Ortsbeauftragter des Technischen Hilfswerks. Das THW war vor allem für die Gebäudesicherung zuständig, das Haus ist im Moment nicht bewohnbar. Teichert: "Man hat immer den Gedanken vor sich, wenn da zum Beispiel eine Schulklasse herumgelaufen wäre – das möchte man wirklich nicht erleben."

Anmerkung der Redaktion: Veröffentlichung dieses Textes mit freundlicher Genehmigung der Nürnberger Nachrichten.

 
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  • H. M.
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  • L. W.
    Die Betroffenen

    brauchen einen guten Fach-Anwalt im Versicherungsrecht um alle ihre Forderungen durchzusetzen.

    Es gibt für ausländische Fahrzeuge diese grüne Versicherungskarte und damit eine deutsche Partnerversicherung für die Abwicklung von Schäden. Aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Schadensabwicklungen oft verzögert werden und es Jahre dauern kann bis alles ausgeglichen wird.
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  • K. K.
    Wer soll das Bezahlen ... ???

    Die Recherche darüber möchte ich mal lesen ...!!!
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  • G. R.
    die Betroffenen Autobesitzer werden wohl auf ihren (Total)Schäden sitzen bleiben ... bei über 700.000 Euro Schadenssumme wird der Fahrer da nicht viel ersetzen ... und die Versicherung der Spedition wird sich weigern - falls es überhaupt ein deutscher LKW war ...
    Es wäre wirklich eine Recherche wert, wie es den Opfern nun ergeht ...
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  • K. K.
    Wieso sollte sich die Versicherung der Spedition weigern?
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