"Bayern muss intervenieren, um einen Kahlschlag des Sozialstaates zu verhindern": Mit deutlichen Worten hat die bayerische Arbeiterwohlfahrt (AWO) auf drohende Kürzungen im Bundeshaushalt reagiert. Der Vorsitzende Stefan Wolfshörndl, Bürgermeister von Gerbrunn (Lkr. Würzburg), erklärt, welche Folgen die Einschnitte aus Sicht des Verbandes hätten.
Stefan Wolfshörndl: Wenn der Haushalt so verabschiedet wird wie jetzt im ersten Entwurf, würden beispielsweise 25 bis 30 Prozent der Stellen im Bundesfreiwilligendienst (BFD) wegfallen. Das ist eine Katastrophe für alle Einrichtungen und Dienste.
Wolfshörndl: Die Fördermittel für den BFD sollen zunächst um 25 Prozent und dann 2025 nochmal um 25 Prozent gekürzt werden. Damit bricht die Finanzierung der Freiwilligenplätze auseinander.
Wolfshörndl: Bundesweit geht es um etwa 25.000 Plätze, in Bayern um circa 2000 – entsprechend in Unterfranken um einige hundert. Und das betrifft alle Träger, also Naturschutzverbände, Wohlfahrtsverbände. Das ist ein massiver Eingriff in die Chance junger Menschen, soziale Arbeit kennenzulernen und dort vielleicht auch den Berufseinstieg zu finden.
Wolfshörndl: Wir führen eine Pseudodebatte über einen sozialen Pflichtdienst. Er wird von manchen Politikern als Wundermittel gesehen, um junge Menschen in gesellschaftliche Arbeit zu bringen. Dabei gibt es wahnsinnig viele junge Menschen der Generation Z, die sich freiwillig in Pflege, Kindergarten oder Umweltschutzeinrichtungen einbringen und etwas für die Gesellschaft tun wollen. Und dann streicht man die Stellen raus. Das passt nicht zusammen.
Wolfshörndl: Jede Hand hilft! In vielen Bereichen sind sie eine Ergänzung, wir erleben aber überall verdichtete Situationen von der Kita bis zur Pflegeeinrichtung. Da ist jeder Freiwillige, der unterstützt, den Laden am Laufen hält und das Stammpersonal entlastet, extrem wichtig.
Wolfshörndl: Das Problem ist ähnlich. Wir haben seit längerer Zeit steigende Fluchtbewegungen in Europa und eine hohe Zuwanderung – trotzdem soll auch bei der Migrationsberatung gekürzt werden. Es gibt bisher bundesweit rund 1200 Beratungseinrichtungen. Und auch hier reden wir von 30 Prozent Mittelkürzung. Die Stellen führen bundesweit über 500.000 Beratungen pro Jahr durch. Sie sind notwendig, um die Leute in unsere Gesellschaft zu integrieren, um ihnen Rechte und Pflichten aufzuzeigen. In Zeiten großer Fluchtbewegungen ist eine solche Kürzung das absolut falsche Signal.
Wolfshörndl: Wir hatten als AWO Unterfranken eine Migrationsberatung in Aschaffenburg, die wir aufgrund der Unterfinanzierung in diesem Jahr bereits schließen mussten. Selbst bei einer Beibehaltung der Mittel gibt es viel mehr Beratungsfälle als vor drei oder vier Jahren – nicht zuletzt durch den Krieg in der Ukraine und den Zustrom von Geflüchteten. Wir müssten jetzt eigentlich auffüttern, es bräuchte einen Aufschlag statt Kürzungen.
Wolfshörndl: Wir bitten alle, die hier Einfluss nehmen können. Bis November läuft der politische Prozess, dann findet die so genannte Bereinigungssitzung statt. Bis dahin muss man Feuer geben und klar machen: So geht das nicht! Ich weiß nicht, ob die FDP ein Problem mit der sozialen Arbeit und deren Unterstützung hat… Der Haushaltsentwurf kommt aus dem FDP-geführten Ministerium.
Wolfshörndl: Das kann ich nicht beurteilen. Natürlich steht der Bundeshaushalt durch Corona-Leistungen, Inflation usw. unter Druck. Insofern wird der Bundesfinanzminister schauen, wo er Kürzungen vornehmen kann. Als Bürgermeister muss ich auch meinen Haushalt ausgleichen. Aber warum kürze ich dort, wo ich gerade einen extremen Bedarf habe? Da ist mir jeder aus demokratischen Parteien recht, der hier die Wohlfahrtsverbände unterstützt – Sozialdemokraten genauso wie Sozialpolitikerinnen und -politiker der Union.
Wolfshörndl: Er hat sicherlich genug eigene Hausaufgaben in Bayern zu machen. In diesem Fall aber darf die Staatsregierung gern für AWO, Caritas, Diakonie, Parität und viele andere im Bund intervenieren.