Ob andauernde Hänseleien, Bloßstellen in sozialen Medien, Ausgrenzung in der Klasse oder gar körperliche Bedrohung: Nach Ansicht von Experten ist Mobbing auch in vielen bayerischen Klassenzimmern eine Realität. Eines von sieben Kindern mache während seiner Schulzeit "manchmal Mobbing-Erfahrungen", sagte die Münchner Psychologie-Professorin Mechthild Schäfer im Rahmen einer Fach-Anhörung im Landtag. Rund drei bis fünf Prozent der Kinder seien gar regelmäßig davon betroffen.
Anteil der Mobbing-Opfer stabil bei drei bis fünf Prozent
Dieser Anteil sei zwar seit Jahren stabil - was aber kein Grund für Entwarnung ist, findet der Jugendschutz-Experte Jörg Breitweg: "Denn wir müssen davon ausgehen, dass in neun von zehn Klassen Mobbing stattfindet." Betroffen seien alle Schularten, so die Erfahrung des Jugend-Psychotherapeuten Anton Flunger: "Das geht von der Waldorf-Schule bis zum Gymnasium." Verstärkt habe sich zudem die Intensität des Mobbings durch digitale Medien, warnte der Memminger Realschullehrer und Schulpsychologe Tobias Dippold: Was früher nur während der Unterrichtszeit stattgefunden habe, "das geht heute 24 Stunden lang".
Funktionierende pädagogische Gegenmaßnahmen wie das Projekt "Lebensraum Schule ohne Mobbing" gibt es nach Ansicht der Experten längst. An vielen Schulen hapere es aber an der Umsetzung, beklagte etwa die Beratungslehrerin Claudia Höhendinger. Allzu oft hänge diese Arbeit an einzelnen motivierten Lehrern. Zudem fehle es an Schulpsychologen und Beratungslehrern - und an der Zeit, den einzelnen Fällen gerecht werden zu können.
Experten: Schulen zu Anti-Mobbing-Konzepten verpflichten
Neben mehr Personal forderte die Mehrzahl der Experten deshalb eine staatliche Verpflichtung aller Schulen, eigene Anti-Mobbing-Konzepte zu erarbeiten. So müsse etwa für Schüler und Eltern klar ersichtlich sein, wer in der Schule für Mobbing-Fälle zuständig ist, forderte die Augsburger Beratungslehrerin Karmen Schmid-Kinzler. Dies sei bislang längst nicht überall der Fall. Hilfe für betroffene Kinder komme deshalb oft zu spät.
Simone Fleischmann vom Lehrerverband BLLV warnte jedoch vor einer Überforderung der Schulen und Lehrer durch eine Verpflichtung: Von politischer Bildung bis zu Alltagskompetenzen würden derzeit viele neue Aufgaben an die Schulen herangetragen. Die Frage sei, was Schule letztlich leisten könne, so Fleischmann.
Betroffene Eltern bei Mobbing oft hilflos
"Betroffene Eltern sind bei Mobbing oft hilflos", warnte dagegen Jugendschützer Breitweg. Einer unabhängig von der Landtags-Anhörung veröffentlichten Umfrage der Software-Firma Kaspersky zufolge haben rund ein Viertel der Eltern keine Idee, was sie tun könnten, wenn ihr Kind Opfer von Cyber-Mobbing werden würde.
Echte Hilfe für Mobbing-Opfer könne ohnehin nur aus den Schulen kommen, glaubt Experte Breitweg: "Mobbing kann dann beendet werden, wenn pädagogische Führung stattfindet", erklärte er. So sieht dies auch Psychotherapeut Flunger: Die Schulen müssten klare Haltung gegen Mobbing zeigen - und auch harten Konfrontationen mit den Tätern und deren Eltern nicht aus dem Weg gehen: "Es geht hier um Werte - und die haben die Eltern leider oft auch nicht", so Flunger.
Die Mobbing-Prävention müsse zudem deutlich früher ansetzen, forderte der Digital-Berater Gregory Grund: "Das Thema Cybermobbing kocht inzwischen schon in den Grundschulen hoch." Wichtig sei, "die Schüler mit in die Verantwortung zu nehmen, um Wege gegen Mobbing zu finden", so Grund. Man könne mit Schülern sehr gut Regeln erarbeiten und Konsequenzen definieren, so auch die Erfahrung von Realschullehrer Dippold: "Die Schüler haben selbst einen großen Hunger nach Gerechtigkeit."
Somit habe ich erlebt, dass Mobbing, wenn man zuschaut und nicht im ersten Moment reagiert, bis (fast) zur Schulverweigerung des Kindes führen kann und eine klare Haltung, die sofort formuliert und umgesetzt wird, komplett in die Klasse als vollwertiges Mitglied integriert. Aber wegsehen und -hören ist an manchen Schulen zur Gewohnheit geworden. (Rat: Psychotherapie des eigenen Kinde
Es scheint ein wenig der Zeitgeist zu sein, der unsere Gesellschaft die Sichtweise akzeptieren lässt: „Wenn es für mich selbst kein Problem ist, dann ist es kein Problem.“
Doch gerade die Minderheiten, die unter Mobbing leiden, bräuchten den besonderen Schutz der Gesellschaft. An den Schulen also die Unterstützung der Mitschüler, der Eltern, der Lehrer und der Schulleitungen.
Es wäre an der Zeit, dass sich gerade Lehrer und Schulleitungen der schulischen Realität des allgegenwärtigen Mobbings stellen, anstatt ständig nur zu behaupten, so etwas gäbe es bei ihnen nicht – und falls doch, wären es absolute Einzelfälle.
Werte Lehrer und Schulleiter – bitte bekommt Euren Hintern endlich hoch und stellt Euch der Herausforderung. Jeder Mobbing-Fall ist einer zu viel!