Darf der Chef einer großen deutschen Bank einen Vollbart tragen? Johannes-Jörg Riegler wundert sich immer wieder, dass diese Frage tatsächlich die Branche und die Medien zu beschäftigen scheint.
Als der gebürtige Unterfranke im April 2014 neuer Vorstandsvorsitzender der krisengeschüttelten BayernLB wurde, war er noch glatt rasiert. Ein paar Monate später ließ er sich einen Vollbart stehen. Bei der Fußball-WM 2014 hätten seine Töchter mit Blick auf vollbärtige Spieler gesagt: „Fußballer sind halt viel cooler als ihr Banker“, erzählt der 52-Jährige: „Da hab ich mir gedacht: Jetzt zeig‘ ich?s euch.“ Damit ging es los.
Kaum ein Medienbericht über den Landesbank-Chef kommt seitdem ohne Schwenk auf die Bart-Frage aus. Das „Manager-Magazin“ nannte Riegler ob des Vollbarts im Sommer 2015 sogar den „Räuber Hotzenplotz“ der Bankenbranche und lobte ihn als „Banker der anderen Art“. Riegler macht keinen Hehl daraus, dass ihm solche Schlagzeilen schmeicheln. Genau wie manche Nachahmer in der Bankbranche. „Bin ich halt mal Trendsetter“, sagt er und lächelt. „Ich habe ohnehin nie Lust gehabt, mich diesem Banker-Habitus anzupassen“, beteuert Riegler: „Und jetzt lohnt es sich auch nimmer.“
Eine Unangepasstheit, die Riegler recht offensiv zelebriert – und die nicht immer und überall nur gut ankommt: In Münchner Banker-Kreisen kursiert etwa eine Anekdote, wie der BayernLB-Chef zu einem offiziellen Termin an einem Samstagvormittag in Freizeitkleidung erschienen sei. Zwischen unprätentiös und stillos sei eben manchmal nur ein schmaler Grat, findet einer, der die Münchner Finanzszene gut kennt. Und Riegler sei bei solchen Fragen offenbar „komplett schmerzfrei“.
Aufgewachsen ist der heutige Landesbank-Chef in Schweinfurt. Sein Abitur hat er auf dem humanistischen Celtis-Gymnasium gemacht, den Wehrdienst in Hammelburg, sein Jura-Studium in Würzburg und sein Referendariat bei der Regierung von Unterfranken absolviert. Die Mutter lebt noch immer in Schweinfurt, der Bruder in Würzburg.
Erste Bankerfahrung sammelte der junge Riegler in einem Praktikum bei der Kreissparkasse Schweinfurt. „Das Coolste dabei war: Wir sind mit einem alten Passat Variant zur Bundesbank und haben Säcke mit Fünf-Mark-Münzen geholt“, erinnert sich Riegler. Auch bei Fichtel & Sachs hat er gejobbt und bei der Schweinfurter Cramer-Mühle Mehlsäcke verpackt.
Seine Eltern hätten ihn ganz bewusst zu körperlicher Arbeit gedrängt, sagt er: „Um zu zeigen, wie hart manche Menschen für ihr Geld arbeiten müssen.“ Wie sehr prägen diese fränkischen Wurzeln den heutigen Vorstandsvorsitzenden einer der großen deutschen Banken? Eine Frage, die Riegler zunächst ein wenig zögern lässt: „Ob fränkische oder bayerische Wurzeln, das will ich gar nicht unterscheiden“, sagt er dann. Schließlich fällt Riegler doch noch etwas sehr Fränkisches an ihm ein: „In Franken redet man nicht so viel“, sagt er – vor allem nicht über sich selbst. Andere Landsmannschaften lernten dagegen „schon sehr früh, sich offensiv zu vermarkten“, findet Riegler. „Das sind so Sachen, die tun wir Franken nicht. Und die haben wir auch nicht nötig.“
Ein wenig gefremdelt habe Riegler anfangs schon mit dem auch in Münchner Finanzkreisen anzutreffenden bayerischen „Mia-san-Mia“-Gen, heißt es dort. Im Job sei Riegler durch seine Banker-Jahre in London – zwischen 1993 und 2003 arbeitete er in der britischen Finanzmetropole – zudem mehr von „angelsächsischer DNA“, als von seinen fränkischen Genen geprägt, sagt einer, der beruflich viel mit dem Landesbank-Chef zu tun hat: So sei er etwa im Umgang mit Mitarbeitern zwar locker und freundlich im Ton, aber knallhart in der Sache.
Ein neuer Stil für die eher bürokratisch-hierarchisch geprägte Staatsbank, der intern nicht bei jedem gut ankomme. Dass er nach gut zwei Jahren als Landesbank-Chef dennoch überwiegend positiv gesehen werde, habe zum einen mit der Stabilisierung der BayernLB zu tun (siehe Text unten), sagt ein anderer Beobachter. Mehr aber noch mit Rieglers Amtsvorgänger Gerd Häusler, dem ein ausgewachsenes Selbstbewusstsein nachgesagt wird. „Nach dem lieben Gott an der Spitze sehen viele den Erzengel Gabriel offenbar schon als Wohltat“, stichelt deshalb der Landesbank-Kenner.
Als Riegler im April 2014 überraschend ins Amt kam, galt er vielen in München als Notlösung: „Wir wollen Spieler wie Bayern München haben, können aber nicht annähernd so viel zahlen“, sagte Finanzminister Markus Söder (CSU) in frappierender Direktheit bei der Vorstellung des neuen Bankchefs. Und heute? Söder hat auf Nachfrage ein eher fränkisch knappes Lob für Riegler parat: „Ich habe ihn ausgesucht und es bislang nicht bereut.“
Nach dem Beinnahe-Exitus der Bank Ende 2008 war die BayernLB zum Zeitpunkt von Rieglers Wechsel Anfang 2014 noch immer in schweren Turbulenzen. Darüber hinaus war das Gehalt für den Chefposten wegen der Staatshilfen damals auf die für die Bankbranche eher niedrige Summe von einer halben Million Euro im Jahr gedeckelt – was offenbar einige Kandidaten ebenfalls abgeschreckt hatte. Riegler, damals Risiko-Vorstand bei der Nord LB in Hannover, sah den Chefposten in München aber als große Chance: „Ich habe schon in jungen Jahren den Ehrgeiz gehabt zu sagen: Ich will mal eine große Bank leiten“, erzählt er.
Auch sieht er sich – um bei Söders Fußball-Vergleich zu bleiben – mitnichten als günstigen Regionalligaspieler für einen hoffnungslosen Abstiegskandidaten. Die BayernLB sei unter den Kreditinstituten längst wieder Bundesliga: „Es gibt nicht viele Banken, vor denen wir uns verstecken müssen“, findet Riegler selbstbewusst.
Und sein Gehalt? Anfang des Jahres wurde die Obergrenze für die Vorstandsvergütung bei der BayernLB mit Erlaubnis der EU-Kommission auf 750 000 Euro angehoben. „Ich bin nicht besonders materiell veranlagt“, beteuert der Landesbank-Chef. Aber natürlich sei die Vergütung auch eine Anerkennung für die eigene Leistung – und insofern ein Vergleich zu Millionen-Gehältern in anderen Großbanken wichtig. „Ich habe schon einen Marktwert, der über dem liegt, was ich hier verdiene“, findet Riegler gar nicht fränkisch bescheiden. Die Motivation für seine Arbeit ziehe er aber aus der spannenden Aufgabe und nicht aus der Vergütung.
Dass sich Geld und Moral bei vielen Banken in den letzten Jahren nicht besonders gut vertragen haben, will Riegler aber gar nicht bestreiten: „Banker haben irgendwann angefangen, in einer Parallelwelt zu leben“, sagt er. Mit den negativen Folgen für die Banken selbst und für ihren Ruf müsse die Branche noch immer kämpfen.
Einen Ausweg für die Banken sieht Riegler in einer Rückbesinnung auf die Werte der „Bankiers“ früherer Zeiten. Diese hätten „Bankhäuser geführt wie ein Unternehmen und nicht wie ein Spielcasino“, findet der BayernLB-Chef. Auch mehr Frauen in Spitzenpositionen könnten den Geldhäusern nur gut tun, glaubt Riegler: „Das, was im Banking passiert ist vor ein paar Jahren, ist auch passiert, weil es eine reine Männerdomäne war.“ Als Honorarprofessor an der Uni Lüneburg hat sich Riegler deshalb die Förderung junger Frauen vorgenommen.
Ein angepasster Bank-Chef will der Bub aus Schweinfurt jedenfalls niemals sein: „Ich möchte die BayernLB schon mit den Werten prägen, die auch mich geprägt haben“, sagt Johannes-Jörg Riegler. Dazu gehöre „auch mal gegen den Strom zu schwimmen, unangepasst zu sein“. Egal, ob mit oder ohne Bart.