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Nürnberg
DB Museum in Nürnberg: Wie Design bei der deutschen Eisenbahn Geschichte schreibt
Plüschsessel in der 1. Klasse, Mitropakännchen, grüne Streifen am ICE: Das DB Museum in Nürnberg erzählt in einer Sonderausstellung, was gute Gestaltung am Gleis bedeutet.
1995 mietet die DB AG in Poing bei München eine Werkhalle von Siemens an, um dort acht Mock-ups (Modelle im Maßstab 1:1) von Steuer-, Mittel-, und Restaurantwagen des ICE 3 und ICE T aufzubauen. 
Foto: DB Museum | 1995 mietet die DB AG in Poing bei München eine Werkhalle von Siemens an, um dort acht Mock-ups (Modelle im Maßstab 1:1) von Steuer-, Mittel-, und Restaurantwagen des ICE 3 und ICE T aufzubauen. 
Alice Natter
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:51 Uhr

Der König höchstselbst legte fest: "Die 1.e Wagenclasse soll roth, die 2.e violett, die 3.e gelb (…) Farben bekommen." Schon auf der ersten Bahnstrecke in Deutschland, der bayerischen Ludwigsbahn, waren ab 1835 gelbe Wagen gerollt. Neun Jahre später ließ Ludwig I. die kräftige Farbauswahl festschreiben. Und auch auf den folgenden Strecken fuhren die Bahnen bald nach Farbschema. "Zur leichteren Orientierung des reisenden Publikums", wie es in einem Erlass des preußischen Handelsministers 1874 hieß. Die Fahrkarten sollten die selbe Farbe wie die entsprechende Klasse haben.

Farbige Wagenklassen und Fahrkarten: Für den hierarchischen Unterschied

Die Orientierungshilfe freilich war auch eine Sozialcodierung: So konnte man schon am Ticket den Status der Reisenden erkennen. Vier Wagenklassen – so hierarchisch die Gesellschaft im deutschen Kaiserreich, so abgestuft das System der Preußischen Staatsbahn. Andere Länderbahnverwaltungen von Mecklenburg bis Württemberg schlossen sich an: Man lackierte die Abteile gelb für die Wohlbetuchten der 1. Klasse, in Klasse 2 fuhr man in Grün, in der 3. Klasse in Braun. Und grau blieb für die 4. Klasse.

Zur Bewerbung des Rheingold-Zuges auch im Ausland ließ die Reichsbahn zahlreiche Werbemittel gestalten, unter anderem von Richard Friese (Werbeplakat von 1928 in englischer Fassung).
Foto: DB Museum/Richard Friese | Zur Bewerbung des Rheingold-Zuges auch im Ausland ließ die Reichsbahn zahlreiche Werbemittel gestalten, unter anderem von Richard Friese (Werbeplakat von 1928 in englischer Fassung).

Ende des 19. Jahrhunderts wurden in Bayern und Baden dann schon alle Wagen im bräunlichen Einheitsgrün gestrichen. Praktisch, weil die (Nicht-)Farbe den Ruß und die Verschmutzungen des Dampfbetriebs verbarg. Die Deutsche Reichsbahn, die 1920 als Nachfolgerin der verschiedenen Länderbahnen in Fahrt kam, übernahm das Dunkelgrün. Für die 1. Klasse blieb ein gelber Streifen an der Dachkante - bis heute europaweit verwendet.

Und als die Dampfloks allmählich verschwanden und Triebwagen mit Elektro- und Verbrennungsmotoren aufkamen? Da durfte es wieder bunter werden. Die neuartigen Fahrzeuge bekamen Ende der 1920er Jahre einen weinrot-cremefarbenen Anstrich, extra um für das Verkehrsmittel Eisenbahn zu werben. Der Luxuszug Rheingold leuchtete lackiert in Violett-Creme.

DB Museum zeigt Bahn-Design und Design bei der Bahn - mit 270 teils seltenen Exponaten

Wie es weiterging mit den Lackierungen, Schemata und Farbvarianten bei der Bahn, bis hin zur weißen, nein "lichtgrauen" Grundfarbe des Fernverkehrs heute und der verkehrsroten Grundfarbe für den Nahverkehr der DB AG: Das DB Museum in Nürnberg zeigt es jetzt in einer kleinen, feinen Sonderschau. 270 teils seltene, teils erstmals öffentlich gezeigte Objekte aus 120 Jahren erzählen zum ersten Mal die Geschichte der Gestaltung am Gleis, kurz des deutschen Bahndesigns.

Da steht zum Beispiel der gepolsterte Einzelsitz von 1965 aus der ersten Intercity-Generation. In Gelb, Orange, Braun leuchten die Streifen im roten Plüsch. Im ICE von 1988 saßen die Reisenden in voluminösen Sitzen mit rotblauem Muster. Nicht mehr ganz so plüschig und barock freilich wie einst der "Rheingold"-Sessel, in dem Zugfahrende im Jahr 1928 Platz nehmen durften.

Sessel der 1. Klasse aus dem Rheingold-Zug von 1928, hergestellt von der Möbelmanufaktur Heinrich Pallenberg in Köln. 
Foto: DB Museum/Karin Vogel | Sessel der 1. Klasse aus dem Rheingold-Zug von 1928, hergestellt von der Möbelmanufaktur Heinrich Pallenberg in Köln. 
'ICE 3000', Einzelsitz der 1. Klasse für ICE-Züge, Messemuster von 2005 Entwurf/Hersteller: Grammer AG.
Foto: DB Museum/Karin Vogel | "ICE 3000", Einzelsitz der 1. Klasse für ICE-Züge, Messemuster von 2005 Entwurf/Hersteller: Grammer AG.

Wer heute mit der Bahn fährt, mag die Gestaltung ja als selbstverständlich nehmen. Weißer Grundton, dunkles Band, roter Streifen – seit 30 Jahren ist der ICE mit Hochgeschwindigkeit so unterwegs. Ein "Paradebeispiel dafür, wie Design in Corporate Design" übergeht, sagt Dr. Ursula Bartelsheim. Die Historikerin aus Würzburg ist Ausstellungskuratorin und Projektleiterin im DB Museum. Und hat mit Museumsdirektor Dr. Oliver Götze und Kunsthistorikerin Janina Baur auch einen umfangreichen Begleitband zur Design-Schau herausgegeben.

Die Macher der Forschungsausstellung: Begleitband-Projektleiterin Janina Bauer, Museumsdirektor Dr. Oliver Götze und Kuratorin Dr. Ursula Bartelsheim. 
Foto: DB Museum/Uwe Niklas | Die Macher der Forschungsausstellung: Begleitband-Projektleiterin Janina Bauer, Museumsdirektor Dr. Oliver Götze und Kuratorin Dr. Ursula Bartelsheim. 

"Die Bedeutung der äußeren Farbgebung geht mittlerweile über die Kennzeichnung eines Zugangebots weit hinaus", schreibt Ursula Bartelsheim in ihrem einführenden Beitrag. "Die Farbkombination ist zu einem ikonischen Zeichen geworden, das für Geschwindigkeit und Modernität steht." Und der gesamte Fuhrpark farblich vereinheitlicht ist auch "Symbol für das Unternehmen als Ganzes".

Streit um den "Bundesbahn-Keks"

Welche Überlegungen stecken denn hinter dem Design des ICE? Welche Gemeinsamkeiten haben ein Bügeleisen und das Äußere einer Lok? Wie sind die Wege zum Bahnsteig markiert und wie schaffen Gestalter bei den Sitzplätzen eine effizient-ergonomische Balance? Welche Rolle spielt es, wie die Uniformen der Zugbegleiter aussehen? Und warum entbrannte nach der Wiedervereinigung Anfang der 1990er Jahre ein Streit um das alte Logo, den "Bundesbahn-Keks" der 1950er Jahre?

Antworten geben die Ausstellungsmacher und Buchautoren nun auf anschauliche wie informative Weise. Über das reine Fahrzeugdesign hinaus hab man sich in Deutschland – anders als beispielsweise in der Schweiz oder Großbritannien – bislang eher wenig mit der Gestaltung bei der Bahn beschäftigt, sagt Kultur- und Technikhistoriker Oliver Götze. Die neue Schau, die bis Mitte Juni im DB Museum zu sehen ist, sei deshalb "auch eine Forschungsausstellung".

Die DB-Kampagne von McCann aus dem Jahr 1966 nutzt die E10 mit 'Bügelfalte' von Emil Schuh (Leiter Design-Center der Deutschen Bundesbahn) als ikonisches Motiv. 
Foto: DB Museum/Carolus Horn und Margot Müller | Die DB-Kampagne von McCann aus dem Jahr 1966 nutzt die E10 mit "Bügelfalte" von Emil Schuh (Leiter Design-Center der Deutschen Bundesbahn) als ikonisches Motiv. 

Und die zeigt in vielen Geschichten zwischen Technik, Ästhetik und Wirtschaft, wie einprägsam das Design der Eisenbahn in die deutsche Alltagswahrnehmung hineinwirkt. Die bewusste gestalterische Auseinandersetzung mit Fahrzeugen und ihrer Einrichtung, mit Markenzeichen und Kommunikationsmitteln hatte schon um 1900 begonnen. "Nicht nur die Farbgebung eines Zuges sendet Botschaften an die Kunden", sagt die Würzburger Historikerin Ursula Bartelsheim. "Sondern auch viele unscheinbare Dinge, denen wir bei einer Zugfahrt begegnen."

Das Mitropa-Kännchen ist bis heute ein Klassiker.
Foto: DB Museum/Mauro Esposito | Das Mitropa-Kännchen ist bis heute ein Klassiker.

Von der Fahrkarte über Orientierungstafeln am Bahnhof bis zur Ausstattung der (im besten Fall) bequemen Sitze und der Form der Kaffeetasse im Bordbistro: "Ob wir die Dinge als funktional und ästhetisch wahrnehmen, beeinflusst, wie wir das Bahnfahren insgesamt erleben", sagt die Kuratorin. "Design ist damit ein wichtiger Faktor für den Erfolg und die Akzeptanz des Verkehrsmittels Bahn."

Vor drei Jahren erst bekamen die Entscheider und Verantwortlichen der DB AG dies zu spüren: Die Beschwerden vieler Fahrgäste und die Sorge um Gesundheitsschäden bei Pendlern machten 2019 die – unbequemen – Sitze des neuen ICE 4 sogar zum Thema für eine Debatte im Deutschen Bundestag.

ICE-Triebzüge mit "umweltfreundlichen" grünen Streifen - und Züge in Regenbogenfarben

Apropos ICE: Vor zwei Jahren weichte die Bahn ihr Konzept mit den rot-weißen Fernverkehrsfarben auf. Der rote Streifen an den Endwagen aller 280 ICE-Triebzüge wurde durch einen leuchtend grünen Streifen ersetzt. Die Bahn wollte sich umweltfreundlich geben – "Greenwashing" schimpften die Kritiker. Seit diesem Sommer fahren übrigens auch ICE in Regenbogentönen – "Railbow" für Vielfalt und Toleranz. Einmal mehr ein Zeichen, wie beim Design der Eisenbahn gesellschaftliche Themen in Fahrt sind.

"Design & Bahn" im DB Museum in Nürnberg

Die Ausstellung widmet sich bis 12. Juni 2022 erstmals der Geschichte des Designs bei der Eisenbahn. In 20 Episoden ist die Entwicklung der Gestaltung der Bahn ab 1900 bis heute zu dargestellt. Zu sehen sind eine Vielzahl an Exponaten, die lange Zeit gar nicht oder nie zuvor öffentlich zugänglich waren: Von seltenen 1:10-Modellen aus der Zeit um 1900, originalen S-Bahn-Türen aus den 1930er Jahren über bunte Stoffmuster aus den Siebzigern bis hin zum Wettbewerbsmodell des Büros Neumeister Design für den ICE T. 
Geöffnet hat das DB Museum (Lessingstraße 6, 90443 Nürnberg) Dienstag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr, am Wochenende und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr. Infos: www.dbmuseum.de
Der Begleitband mit zahlreichen Abbildungen gibt einen summarischen Einblick in die Designentwicklung der Bahn: "Design & Bahn - Eine Gestaltungsgeschichte", hrsg. v. Oliver Götze, Ursula Bartelsheim und Janina Baur, Prestel Verlag, 270 Seiten, 25 €
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