Kritiker befürchten bei einer Demonstration gegen das Polizeiaufgabengesetz in Regensburg "erhebliche zusätzliche Befugnisse für die Polizei, insbesondere in Bereichen, in denen noch keine Straftat begangen wurde". In Würzburg stand die Demonstration unter dem Motto "Nein zum Überwachungs- und Polizeistaat! Nein zur Willkür!". Wer aber weiß wirklich, was im neuen Gesetzesentwurf namens "PAG-Neuordnungsgesetz" steht, über das am 15. Mai im Landtag entschieden wird?
Gesetzentwurf der Staatsregierung für ein Gesetz zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts (PAG-Neuordnungsgesetz)
A) Problem
Die Richtlinie (EU) 2016/680 vom 27.04.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (RiLi) ist für den Bereich der Bayerischen Polizei bis Mai 2018 in nationales Recht umzusetzen. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), insbesondere mit Urteil vom 20.04.2016, Az. 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09 (BKAG-Urteil), seine Rechtsprechung zu den verfassungsgerichtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung polizeilicher Eingriffsbefugnisse weiterentwickelt und präzisiert. Zudem bedarf es einer weiteren, dem Stand der Technik entsprechenden Ergänzung und noch effektiveren Ausgestaltung wichtiger polizeilicher Befugnisnormen.
B) Lösung
1. Im Polizeiaufgabengesetz (PAG) erfolgen insbesondere folgende Ergänzungen und Änderungen:
a) Umsetzung der RiLi
Leitlinie der Umsetzung der o. a. RiLi, die in enger Abstimmung mit der geplanten Novellierung des Bayerischen Datenschutzgesetzes (BayDSG-E) erfolgt, ist, auch künftig die für die Anwendung polizeilicher Befugnisnormen unmittelbar einschlägigen, speziellen Regelungen im PAG selbst zu treffen. Dies gilt etwa für die Verarbeitung personenbezogener Daten, die besonders geschützten Kategorien angehören, umfänglichere Hinweis- und Belehrungspflichten und die Einführung umfassenderer Rechte betroffener Personen zur Datenlö- schung und -berichtigung sowie hinsichtlich der Auskünfte zu gespeicherten Daten. Das geplante BayDSG-E wird für die Polizei neben punktuell ergänzenden weiteren Regelungen – in etwa vergleichbar wie bisher – vor allem z. B. hinsichtlich der Stellung des Landesbeauftragten für den Datenschutz und der behördlichen Datenschutzbeauftragten oder für den Bereich der Datenauftragsverwaltung und der Datensicherheit in besonderer Weise einschlägig sein. Überdies gelten die Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutzgrundverordnung – DSGVO), die zusammen mit der RiLi das sogenannte EU-Datenschutzpaket bildet, sowie die auf die Verordnung bezogenen Regelungen des BayDSGE für bestimmte Bereiche polizeilicher Tätigkeit unmittelbar, die wie etwa reines Verwaltungshandeln von vornherein in keinem Zusammenhang mit der Gefahrenabwehr und der Verhütung oder Unterbindung von Straftaten stehen.
b) Anpassung an die verfassungsrechtlichen Maßgaben des BKAG-Urteils
Die Anpassung an die Maßgaben der neueren Rechtsprechung des BVerfG, vor allem aus dem o. a. Urteil, erfolgt im Wesentlichen im 2. Unterabschnitt (Besondere Befugnisse und Maßnahmen der Datenerhebung) des III. Abschnitts (Datenverarbeitung). Wichtig sind hier etwa die Einführung von weiteren Richtervorbehalten und explizite Regelungen betreffend Vertrauenspersonen im PAG. Zugleich werden in diesem Unterabschnitt verstärkte Anforderungen unter anderem an die Zweckbindung und weitere Verarbeitung von Daten, die durch eingriffsintensive Maßnahmen gewonnen wurden (hypothetische Datenneuerhebung), zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung und hinsichtlich Protokollierungen und Benachrichtigungspflichten geregelt.
Zugleich wird geregelt, dass dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bayerischen Landtags jährlich über das Gebrauchmachen von im wesentlichen allen Befugnissen zur verdeckten Datenerhebung zu berichten ist. Ferner ist entsprechend den Maßgaben des BVerfG in jährlichem Turnus auch eine Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Anzahl der Maß- nahmen vorgesehen.
c) Ergänzung polizeilicher Befugnisnormen
Hier ist unter Berücksichtigung der unter den Buchst. a und b dargestellten Maßgaben unter anderem die Einfügung der Gefahrenkategorie der drohenden Gefahr für bedeutende Rechtsgüter (vgl. Art. 11 Abs. 3 PAG) konsequenter Weise auch in weitere, im BKAG-Urteil vorgezeichnete Befugnisse vorgesehen. Daneben soll für begründete Einzelfälle die Möglichkeit der präventiven DNA-Nutzung unter grundsätzlichem Richtervorbehalt explizit geregelt werden. Um der fortschreitenden technischen Entwicklung gerecht zu werden, werden ferner die bestehenden Bestimmungen zu Durchsuchungen um eine rechtsklare Regelung für von elektronischen Speichermedien aus abrufbare Datenbestände, etwa in einer Cloud, ergänzt. Die Bestimmungen zur offenen Videografie werden um Regelungen für Aufnahmen und Übersichtsaufzeichnungen bei großen oder unübersichtlichen Veranstaltungen oder Ansammlungen, für den Einsatz u. a. von sog. Bodycams, einschließ- lich des Einsatzes in Wohnungen, und Vorschriften und Vorgaben zum Einsatz intelligenter Videotechnik zur Muster- und ggf. Personenerkennung ergänzt. Weitere Änderungen betreffen etwa die Einführung der Möglichkeit einer präventiven, richterlich angeordneten und überwachten Postsicherstellung unter strengen Voraussetzungen, ähnlich, wie diese künftig auch im BKAG enthalten ist, ferner die ausdrückliche Regelung des Einsatzes von unbemannten Luftfahrtsystemen (Drohnen) und, in Ansehung der Erfahrungen mit der Bekämpfung schwerbewaffneter Terrorzellen in Frankreich und Belgien sowie mit Terroranschlägen, bei denen schwere Fahrzeuge wie Lkw als Tatmittel verwendet wurden, die Ermöglichung des Einsatzes von Explosivmitteln – ähnlich der künftig vorgesehenen Regelung in Baden-Württemberg.
2. Im Polizeiorganisationsgesetz (POG) ist neben formalen Anpassungen an die RiLi vor allem die Schaffung einer neuen unabhängigen Stelle für einen zielgerichteten, effektiven Schutz namentlich von Kernbereichsdaten in den im BKAG-Urteil angesprochenen Fällen vorgesehen.
3. Im Sicherheitswachtgesetz (SWG) sind kleinere, insbesondere harmonisierende Anpassungen der dortigen Datenschutzregelung sowie weniger weiterer Bestimmungen veranlasst.
4. Das Parlamentarische Kontrollgremium-Gesetz (PKGG) ist punktuell an die geänderten Regelungen im PAG zur Unterrichtung des Parlamentarischen Kontrollgremiums anzupassen.
5. Im Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) ist vor allem die Erleichterung der Voraussetzungen und Erweiterung des zeitlichen Anwendungsbereichs für gemeindliche Alkoholverbotsverordnungen vorgesehen.
6. Im Bayerischen Datenschutzgesetz (BayDSG) ist in Anlehnung an die Regelung im neugefassten Bundeskriminalamtgesestz (BKAG) eine ausdrückliche Vorschrift zur Speicherung von DNAIdentifizierungsmustern zur Erkennung von DNA-Trugspuren vorgesehen.
C) Alternativen
Keine
D) Kosten 1. Kosten für die öffentlichen Haushalte
a) Polizei
Es werden derzeit noch nicht bezifferbare Personal- und Sachkosten entstehen. Sie beruhen zum einen auf der Umsetzung entsprechender Vorgaben der RiLi und der Anpassung an Maßgaben des BKAG-Urteils. Die vorgesehenen Kennzeichnungs-, Dokumentations-, Protokollierungs-, Prüf- und Berichtspflichten sowie Berichtigungs-, Hinweis- und Benachrichtigungspflichten gegenüber Betroffenen führen zwangsläufig zu Anpassungen der polizeilichen Fachverfahren und werden entsprechende personelle Kapazitäten binden. Da diese Fachverfahren (z. B. Vorgangs-, Fallbearbeitungs- und Fahndungssystem) regelmäßig über Schnittstellen untereinander, aber auch mit externen Verfahren verbunden und auch bundesweit vernetzt sind, wird umfangreicher Planungs-, Abstimmungs- und Realisierungsaufwand anfallen. Da hierbei externe Firmen zu beteiligen sind, sind Auftragsvergaben mit entsprechenden Leistungsbeschreibungen erforderlich. Ebenfalls sind ressortübergreifende Prozesse (z. B. Justiz oder Finanzen) zu berücksichtigen. Auf Grund der o. a. bundesweiten Vernetzung sind die jeweiligen rechtlichen Vorgaben von Bund und Ländern, namentlich das neugefasste BKAG (Inkrafttreten zum 25.05.2018), sowie die verschiedenen Aufbau- und Ablauforganisationen in den Systemen zu berücksichtigen.
Da zum Teil völlig neuartige Strukturen abzubilden sind, ist von tiefgehenden Systemanpassungen auszugehen. Ein großer Teil des Erfüllungsaufwands für die Datenverbundsysteme der Bayerischen Polizei würde allerdings bereits auf Grund des neuen BKAG anfallen. Insgesamt ist nach erster Bewertung von einem Umsetzungszeitraum von mindestens fünf Jahren und von einem Investitionsvolumen im zweistelligen Millionenbereich auszugehen.
Die Umsetzungsmaßnahmen können ergebnisorientiert nur im Rahmen von besonderen Aufbauorganisationen (Projekten) durchgeführt werden, die bereits erforderlich sind, um detailliertere Planungen aufzusetzen und auf dieser Basis den konkreten Bedarf an Haushaltsmitteln einzuschätzen. Zum anderen verursachen auch die neu geschaffenen Befugnisse im PAG Beschaffungskosten für Ausrüstung und Verbrauchsmaterialien. So belaufen sich z. B. die durchschnittlichen reinen Materialkosten pro DNA-Analyse auf ca. 25 Euro Die Einzelkosten für ein Body-Cam-System liegen derzeit durchschnittlich bei ca. 1.500 bis 2.000 Euro. Daneben ist pro Dienststelle ein Auslesesystem im Volumen von ca. 1.000 Euro erforderlich. Beim Einsatz eines „intelligenten“ Kamerasystems sind Kosten im sechsstelligen Bereich zu erwarten. Die Beschaffungskosten für geeignete unbemannte Luftfahrtsysteme zur Datenerhebung betragen pro Stück zwischen 20.000 und 25.000 Euro. Eine Bezifferung des Ausstattungsumfangs für die genannten Ausrüstungsgegenstände ist derzeit jedoch noch nicht möglich, da sich Häufigkeit, Art und Umfang von polizeilichen Maßnahmen vorab nicht prognostizieren lassen. Andererseits ist davon auszugehen, dass auf Grund der neu geschaffenen Befugnisse zum Teil polizeiliche Maßnahmen erleichtert werden und sich der Personal- und Sachkostenaufwand in diesen Fällen entsprechend reduziert. Für die erhöhten Anforderungen an die juristische Aufbereitung, die insbesondere durch erheblich erweiterte Vorlagen zur Entscheidung durch den Richter auch auf Seiten der Polizei anfallen, werden personelle Kapazitäten in Höhe von zwölf Planstellen für Juristen gebunden (jährliche Personalkosten rd. 930 Tsd. Euro).
Auch für die neue unabhängige Stelle zur Sichtung kernbereichsrelevanter Daten für bestimmte Fälle werden personelle Kapazitäten (jährliche Personalkosten mindestens rd. 300 Tsd. Euro für Leitung und Assistenz) und Sachmittel gebunden, die sich derzeit noch nicht belastbar abschätzen lassen.
b) Justiz
Im Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Justiz werden aufgrund der erhöhten Anforderungen an die juristische Aufbereitung, die insbesondere durch weitere Richtervorbehalte anfallen, personelle Kapazitäten in Höhe von zwölf Planstellen für Richter und acht Planstellen für Geschäftsstellen gebunden. Für die Kontrolle der Entscheidungen der Zentralen Datenprüfstelle werden darüber hinaus Sachmittel gebunden, die jedoch noch nicht belastbar zu beziffern sind.
2. Kosten für Wirtschaft und Bürger
a) Wirtschaft
Für die Wirtschaft entsteht durch die Einführung der Regelung zur Postsicherstellung wegen der zu erwartenden wohl eher geringen Fallzahlen ein lediglich marginaler Erfüllungsaufwand. Im Übrigen ändert sich an der bestehenden Verpflichtung zur Erfüllung der Entschädigungsansprüche der Telekommunikationsunternehmen nach § 23 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) nichts.
b) Bürger
Für Bürgerinnen und Bürger entstehen durch den vorliegenden Gesetzentwurf keine Kosten.
Wieviele Anschläge durch die NSU wären aufgrund dieses Gesetzesvorschlags verhindert worden?
Wohl keiner.
Denn die mit der Untersuchung beauftragten Behörden und Beamten suchten in der falschen Ecke oder wollten die Schuldigen erst gar nicht finden. Und als die Schuldigen, nur durch Zufall, entdeckt wurden, verschwanden plötzlich Ermittlungsakten und ein um sich greifender Blackout setzte in mancher Behörde ein.
Ein Terrorakt ist eine schlimme Sache. Dabei können Menschen zu Schaden oder getötet werden.
Aber: In der Bundesrepublik insgesamt sterben zigmal mehr Menschen durch Autounfälle, Behandlungsfehler(Ärzte, Schwestern, Pfleger), eigenen Drogenmissbrauch (legale und illegale).
Wie viele dieser Taten würde wohl durch die Neufassung verhindert oder die Aufklärung der Taten dadurch erleichtert.
Durch die Einschränkung der Rechte aller bestimmt nicht.
Wer glaubt, mit diesem Gesetz gäbe es mehr Sicherheit, irrt sich.
Was es aber durchaus mehr geben kann: Willkür mit gesetzlicher Legitimation.
Die Sache mit der „richterlichen Anordnung“ beispielsweise ist eine ganz perfide Nebelkerze.
Rechtsstaatlichkeit entsteht doch nicht durch einen Richter oder eine richterliche Anordnung. Sondern durch die Anwendung von Gewaltenteilung und verfassungskonformen Regeln in öffentlich(!) geführten Verfahren. Mit der Möglichkeit eines Betroffenen, Rechtsmittel einzulegen und Kontrollinstanzen einzubeziehen.
Nur so wird die Einhaltung der Grund- und Freiheitsrechte - durch den Souverän „Volk“ kontrollierbar – sichergestellt. Und erst das führt in Summe zu einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat.
Als ob ein Richter oder eine richterliche Anordnung Rechtsstaatlichkeit garantieren könnten … sehen Sie doch mal in die Türkei. Da gibt’s jede Menge Richter, aber keinen Rechtsstaat. Denken Sie doch mal bitte darüber nach!
Klar, wer das nicht versteht und Richter mit Recht gleichsetzt, der sieht in dem CSU-Vorschlag natürlich auch keine Probleme …
Selbstverständlich ändert sich an den Formalien der Judikative und der Exekutive etwas ganz entscheidendes, wenn die Polizei und ein Richter einen Menschen zukünftig ohne Straftat und somit ohne strafrechtliches Verfahren prinzipiell zeitlich unbeschränkt in den Knast stecken können! Es müssen ja nicht mal konkrete Verdachtsmomente vorliegen!
Und wie kommen Sie auf die Idee, ich hätte Angst um mich?
Ich habe Angst um die Rechtsstaatlichkeit in dem Land, in dem ich lebe. Denn ich halte Deutschland für eines der aufgeklärtesten, fortschrittlichsten Länder weltweit – und die Qualität unserer Verfassung halte ich für herausragend (wenngleich leider latent unterbewertet).
All das bin ich keinesfalls bereit aufzugeben, nur weil Menschen wie Sie mit Ihrer irrationalen Angst vor was-weiß-ich nicht klarkommen …
... i.A. in Abwesenheit sinngemäß ein Freund mit nickname-Zugriff.....
Die belegt einen Rückgang der Straftaten in Deutschland von fast 10%.
Trotzdem gibt es immer noch etliche, die aus einem subjektiv gestörten Sicherheitsempfinden die Faktenlage komplett ignorieren und trotz einer sinkenden Zahl von Straftaten geradezu darum betteln, weitere Freiheitsrechte aufgeben zu dürfen.
Da stellt sich für mich schon die Frage, wer hier eigentlich die „Verblendeten“ sind.