Ein paar Zaungäste sind dann doch da vor dem Festspielhaus zum Promigucken. Kein roter Teppich, wie sonst, kein Schaulaufen, kein Staatsempfang nach der Premiere. Dafür weht ein Trauerflor für die Opfer der jüngsten Gewalttaten. Überall stehen Polizisten. „Harte Tür, diesmal“, witzelt jemand in der Handtaschen-Kontrollschlange.
Die starke Polizeipräsenz vermittelt auf der einen Seite ein durchaus wohltuendes Gefühl von Sicherheit aber auch den beklemmenden Eindruck, dass mit einem Schlag vieles anders geworden ist.
Die Polizeibeamten beantworten geduldig und freundlich immergleiche Fragen
Wo gibt's die Besetzungsliste? Ist die Handtasche zu groß? Muss ich sie abgegeben? Warum kann ich nicht da durch? Wie, kein Sitzkissen mitnehmen? Die Polizisten, die seit Stunden in der Schwüle stehen, beantworten mit viel Geduld und Freundlichkeit die immer gleichen Fragen. Kissen für die legendär unbequemen Sitze gibt's zum Ausleihen an der Garderobe. Und: Nein, da geht's heute nicht durch, auch wenn das in den letzten 20 Jahren anders war.
Die Beamten bekommen allerdings nicht immer die gleiche Freundlichkeit zurück. „Kasperltheater“, sagt ein Mann pikiert und rauscht davon. Vermutlich ist er zu bedeutend für eine Kontrolle am Eingang. „Wichtigtuer“, kommentiert eine Frau, die zum Abendkleid farblich passende Birkenstocks trägt.
Vernünftige Schuhe sind eine gute Entscheidung
Vernünftige Schuhe sieht man öfter. Kluge Entscheidung. Mit Pausen dauert die Eröffnungspremiere des „Parsifal“ (Besprechung hier)nämlich sechs Stunden.
Außerdem treffen alle Warnungen von der Schwüle im Zuschauerraum zu. Es ist schminkeschmelzend, frisurruinierend, schweißfleckenproduzierend, knöchelschwellend heiß. Aber ein wundervolles, einzigartiges Erlebnis. Außerdem sehen spätestens in der zweiten Pause alle Zuschauer nicht mehr taufrisch aus.
Das Festspielhaus ist in dieser Beziehung ein großer Gleichmacher, Für die vernünftige Schuhwahl spricht auch das Davor, das Einstimmen auf die Atmosphäre, das fast schon sportlich betriebene Leutegucken. Das machen die Kartenbesitzer hinter der Absperrung nicht anders als die Promijäger davor.
Sehen und gesehen werden, hat allerdings einen Preis: Die Kritiker, die auf den Bänken im Zaungastbereich sitzen, sind gnadenlos. „Guck Dir mal die Steckerlesbee an!“ – „Was hat denn die an?“ – „Ist das die Enkelin oder die Frau?“ – „Die kann ja überhaupt nicht laufen in den Schuhen“. – „Wenn so dünne Frauen mal krank werden, wovon wollen die zehren?“
Die Klamotten einiger Herren rufen dagegen eher ein Augenrollen und ein Schulterzucken hervor. Leberwurst-Effekt durch farblich fragwürdigen Kummerbund. Jackett mit dickem, rotem Streifen. Naja. Hosen-Rock oder Rock-Hose, dazu ein beeindruckendes Perlen-Collier im Maharadscha-Stil. Okay, wenn die Frisur passt und die Haltung. . .
Auch die Männermode kennt sonderbare Lösungen
Knöchellange Anzughose, keine Socken, bunter Schuh: Geht, wird aber jenseits der 20 mit jedem Lebensjahr schwieriger, da ist sich die Kritikerbank einig.
Gern hilft man aus, wenn einer nicht genau weiß, zu wem das irgendwie bekannte Gesicht gehört. „Der war mal Minister oder so was.“ Der Satz fällt öfter. Und dann kommen die Gloria (Thurn und Taxis), die Michaela (May), der Nette vom Tatort (Udo Wachtveitl). Dazwischen Leute, die wahnsinnig gerne ein Star wären, einmal einer waren oder vielleicht schon ein Sternchen sind. Deswegen haben sie lange diesen besonderen Blick und den Laufstil geübt, der sagt: „Schau her. Sofort. Du musst mich doch kennen! Du kannst mich doch nicht übersehen!“
Jemand wie Stephen Fry, Schauspieler, Autor, Comedian, Synchronsprecher, Filmemacher und der personifizierte britische Humor hat so etwas nicht nötig. Er, übrigens auch Inbegriff des perfekt gekleideten Gentleman, plaudert mit allen Leuten, die ihn erkennen und ansprechen, bis ihn das Filmteam, das er dabei hat, zur nächsten Einstellung wegholt. Er ist nett, höflich, charmant, interessiert und witzig. Und anteilnehmend: „Ihr macht eine wirklich schwere Zeit durch, hier in Bayern.“ Stephen Fry, der einen Teil seiner jüdischen Familie im Holocaust verloren hat, ist ein großer Wagnerkenner und -fan.
Beim der "Götterdämmerung" hat Stephen Fry lieber nicht auf die Bühne geschaut
Die DVD seines brillanten Films „Wagner & Me“ gibt es am Wagner-Devotionalienstand nebenan zu kaufen. In diesem Film sagt er einen zentralen Satz: „Wagners Musik ist von Grund auf gut. Sie ist auf der Seite der Engel.“ Fry schaut sich außer dem „Parsifal“ noch den „Ring“ an. Er ist weltweit auf dem Laufenden, Petersburg hat ihm gut gefallen. Fry ist kein Traditionalist, er lässt sich gerne auf Neues ein. Und zitiert Wagners beinahe letzten Worte: „Kinder, macht Neues!“ Bei der Generalprobe dieser Tage zu Castorfs „Götterdämmerung“ hat er sich dennoch vor allem auf die Musik konzentriert.
Während er das erzählt, hält er sich kurz die Augen zu: „Warum muss man unbedingt gegen den Text inszenieren?“
Und noch etwas ist neu in Bayreuth: Früher wurden Unkundige böse angezischt, wenn sie es wagten, am Ende des ersten Aufzugs des „Parsifal“ zu klatschen. Heute werden sie durch Ignorieren zum Schweigen gebracht.