Erhard. Plötzlich dreht sich alles nur noch um Erhard. In diesen langen Minuten nach dem Schlussapplaus, wenn jeder so schnell wie möglich heim will, geht es im Gedränge vor den Garderoben im Festspielhaus nicht mehr um Barrie Koskys brillante Inszenierung der „Meistersinger“ zur Premiere der Bayreuther Festspiele. Es geht nicht mehr um die sonstigen Themen auf dem Grünen Hügel, um bequem sitzen oder nicht (meistens nicht), um flanieren, um sehen und gesehen werden. Es geht um Erhard.
Es schüttet wie aus Kübeln an diesem 25. Juli, traditionell Premierentag der Festspiele. Und deswegen geht es ziemlich klaustrophobisch zu im Festspielhaus. Die Foyers sind eng bemessen, die Durchgänge schmal. Und wenn dann noch Erhard auf sich warten lässt, um seine Schirme zu identifizieren, kommen ohnehin schon mühsame Abläufe zum Stillstand. Aber Erhard taucht dann doch noch auf, alles wird gut. Fast hätte er Applaus aus dem Getümmel bekommen.
Das Festpielhaus als Kommunikations-Förderer
Wer noch nie da war, mag Bayreuth für elitär halten. Ist es aber nicht. Trotz des Promi-Auftriebs, der auch dazugehört. In den Logen ist längst nicht Platz für alle aktuellen und gewesenen Berühmtheiten, also sitzen viele von ihnen im Parkett. Und dort sind die Sitze gleich hart und gleich eng für alle. Man kommt sich näher, ob man will oder nicht. Das und die Freude, hier sein zu können, macht kommunikativ. Man kommt ins Gespräch.
Ritual: Umziehen am Parkplatz
Am Parkplatz, gleich ums Eck zum Beispiel. Bei gutem Wetter schlüpft schon mal der ein oder andere Herr in Boxershorts neben dem Auto in seine Smoking-Hosen. Das geht heute nicht. Also fachsimpeln die Damen über die richtigen Techniken beim Abendkleid-Anziehen im Auto. Und eine Nachbarin bewundert die andere für die Idee, die Stilettos in eine Tüte zu packen und sich in Flipflops auf den pfützenreichen Weg zum Festspielhaus zu machen. Man hilft sich. Bestellt schon mal eine Bratwurst für jemanden weiter hinten in der Pausen-Schlange mit oder wird mit dem Satz „Geben Sie mir Ihre Marke, ich bin gleich dran“ zum Garderoben-Helden.
Stunden ausharren am roten Teppich
Gemeinschaftsgefühl entwickelt sich auch schnell bei den Zaungästen draußen, die Stunden ausharren, um Leute in echt zu sehen, die sie sonst nur aus dem Fernsehen oder aus der „Bunten“ kennen. Die Kanzlerin, Gloria von Thurn und Taxis zum Beispiel, Tatort–Kommissare, amtierende und ehemalige Ministerpräsidenten, jede Menge Minister und Abgeordnete sowieso, TV-Lieblinge wie Michaela May, Society-Ladies wie Regine Sixt. Oder Königin Silvia, für die viele gerne klatschnass werden. Schirme sind im Zaungastbereich nicht erlaubt, aus Sicherheitsgründen. Aber wer Silvia sehen will, hüllt sich halt in eine Rettungsdecke oder setzt sich eine Einkaufstüte auf.
Die vielen freundlichen Polizistinnen und Polizisten kriegen nicht nur den Regen voll ab, sondern auch den Unmut von Menschen, die glauben, sie seien zu wichtig, um kontrolliert zu werden. „Ein deutscher Beamter und ein Regenschirm? Wie sähe das aus“, sagt ein tropfnasser Polizist Stunden vor der Vorstellung. Er hat noch einen langen, nassen Tag vor sich.
Der Ton im Zuschauerblock draußen kann aber auch ganz schön rau werden. Die Leute stehen da wie festbetoniert. Wer eine Akkreditierung hat und sich in den inneren Bereich des Roten Teppichs durchkämpfen darf, weiß, wie schmal der Grat zwischen Hass und Neid bisweilen ist.
Der Silivia-Fan hilft gerne weiter
Der Silvia-Fan kann aber durchaus auch herzlich sein und schon mal eine Reporterin aufklären, wer da gerade vorbeikommt. „Bis ihr fertig seids, sind wir patschnass“, sagt Michael Lerchenberg, Schauspieler und Intendant, genießt aber sichtlich seinen Moment auf dem Roten Teppich. Überhaupt: Wer hier auftreten darf, macht in aller Regel, was die Fotografen lautstark fordern. Hier geht es schließlich auch um Marktwert, Karrieren, einen Platz im Machtgefüge. Das passt durchaus zu Wagners Welt drinnen.
Im Festspielhaus drücken sich übrigens auch alle die Nasen platt, um die Prozession draußen zu beobachten. Das Lästern über Kleider, die Folgen von Schönheits-Operationen und den fatalen Hang zu Wurstpellen-Outfits gehört auch hier zum Ritual.