Die Arbeit von Harald Lange ist eine, die öffentlich wahrgenommen wird. Das hat sicher damit zu tun, dass der Professor, der Inhaber des Lehrstuhls für Sportwissenschaft an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Gründer des Instituts für Fankultur e. V. und Dozent für Sportpädagogik an der Trainerakademie des Deutschen Olympischen Sportbunds ist, sich einem Forschungsgegenstand widmet, der weit über die Wissenschaft hinaus Interesse weckt.
- Lesen Sie auch: Beleidigungen und Spielunterbrechnungen am 29. Februar 2020 in Sinsheim
- Lesen Sie auch: Bayern-Fanclubs aus Main-Spessart wenden sich gegen Hass
Im Frühjahr hielt Lange ein Online-Seminar ab, das Projekt "vierzunull.de", in dessen Rahmen die Frage diskutiert wurde: Welchen Fußball wollen wir? "Wir befassen uns mit Fußball, aber auch mit sozialwissenschaftlichen Fragen. Wir haben eine Lehrveranstaltung abgehalten, die Studierende aus Würzburg und Andere interdisziplinär zusammenbringt", berichtet Lange über das Seminar, das durch die coronabedingten Einschränkungen der jüngsten Vergangenheit online stattfand. Dass die Teilnehmerzahl mit 14 (7 aus Würzburg, 7 von außerhalb) eher bescheiden gewesen sei, begründet der Professor mit der geringen Vorlaufzeit. Inhaltlich sei die Veranstaltung durchaus ergiebig gewesen: "Deshalb ist sie auch in der vorlesungsfreien Zeit im Sommer noch weitergelaufen."
Die zentralen Themen ergaben sich "aus der Tagesaktualität", so Lange. "Da haben sich schnell die ,Causa Dietmar Hopp' und die Geisterspiele herauskristallisiert." Kurzum: Es ging um Kommerzialisierung des Fußballs und deren Folgen. Die Seminarteilnehmer analysierten in diesem Zusammenhang Kommentare unter einem Facebook-Beitrag der ARD-Sportschau, Lange selbst kam in der Sendung zu Wort.
Ungewöhnliche Allianzen
Ein besonderes Augenmerk des Professors gilt den organisierten Fans, die ihre Anliegen auch öffentlich artikulieren: "Die Fanszene ist natürlich sehr heterogen wie die Gesellschaft an sich. Es gibt unterschiedliche Meinungen. Zum Beispiel darüber, ob es Geisterspiele geben soll. Es gab in der ,Causa Hopp' Zusammenschlüsse, die man sich nicht hätte vorstellen können. Weil es um die Sache des Fußballs an sich ging, haben sogar Bayern-Fans die Dortmunder unterstützt."
Die letzte spektakuläre Entwicklung in besagter "Causa" datiert von Ende Februar 2020. Beim Bundesliga-Spiel des FC Bayern München bei der TSG Hoffenheim beleidigten Gästefans den Mäzen der Einheimischen, Dietmar Hopp, auf einem Transparent. Das führte zu mehreren Spielunterbrechungen und dazu, dass sich beide Teams in der Schlussphase der Partie nur noch gegenseitig den Ball hin- und herspielten. Anschließend solidarisierten sich Vertreter des FC Bayern und anderer deutscher Profiklubs mit Hopp, tagelang wurden die Vorgänge im Stadion von Sinsheim aufgeregt diskutiert.
"Es wurde fast schon peinlich"
Doch Lange meint: "Die Stimmung hatte sich nach einer Woche total gewandelt. Nur noch die Bild-Zeitung hat die Linie der Bundesligisten unterstützt, die für mehr Kommerzialisierung eingetreten sind. Es wurde fast schon peinlich. Es wurde klar, dass das keine Kritik war, die sich gegen eine Person richtete, sondern es war Kritik an den Zuständen."
Auch dass er der organisierten Fanszene im Vergleich mit anderen Stadionbesuchern übergroße Bedeutung zumesse, will der Professor nicht gelten lassen. Die "Ultras" bezögen ihre Relevanz daraus, dass sie ihre Anliegen offen artikulierten. "Andere tun das eben nicht", meint Lange. Wie groß der Anteil der organisierten Fanszene am Stadionpublikum ist, sei schwer zu quantifizieren: "Das kann man nicht abgrenzen, das ist nicht wie eine Mitgliedschaft in einem Verein. In besonderen Situationen schließen sich andere der organisierten Fanszene an. Aber dass Fans zu gesellschaftlichen Problemen die Stimme erheben, ist immer noch ein Sonderfall. Es gibt Gruppen, die finden die Kommerzialisierung okay. Andere bringen ihren Unmut zum Ausdruck."
Der Würzburger Professor sieht durch die Kommerzialisierung die Attraktivität der Bundesliga in Gefahr: "Es ist angelegt wie ein Rattenrennen. Am Ende werden die Starken noch stärker und die Schwachen noch schwächer." Auch die Geisterspiele im Frühjahr, denen die organisierte Fanszene überwiegend ablehnend gegenüberstand, seien kein uneingeschränkter Erfolg gewesen, die Fernsehquoten für die Spiele ohne Publikum seien nach unten gegangen.
Gerade der Umstand, dass eine fortschreitende Kommerzialisierung auch wirtschaftliche Nachteile mit sich bringe, macht dem Fanforscher Hoffnung:"Es wurden Reformen angekündigt, aber nicht umgesetzt. Was sich andeutet ist, dass das Interesse zurückgeht. Erstmals hat es beim neuen Fernsehvertrag keine Steigerung der Summen gegeben. Die Kommerzialisierung steht auf der Bremse. Vereine wie Mainz, Union Berlin oder St. Pauli haben gemerkt, dass sie die Fans miteinbeziehen müssen."
Weiter geht es im November
Sein Seminar will Harald Lange im kommenden Semester (November bis Februar) fortführen. Dabei soll es um Rechtsthemen, speziell in angesprochener "Causa Hopp", gehen sowie um wirtschaftliche und psychologische Aspekte der aktuellen Entwicklungen im Profi-Fußball.