Fast wäre er bei Greuther Fürth gelandet. Weil die SpVgg aber für ihn keinen Platz mehr bei den U-11-Junioren frei hatte, ging Tim Latteier zum 1. FC Nürnberg.
Das war vor zehn Jahren. Beim Club durchlief der in Kitzingen geborene Scheinfelder (Landkreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim) in den vergangenen Jahren im Nachwuchsleistungszentrum alle Jugendmannschaften. Mitte Februar unterschrieb der 20-Jährige dort seinen ersten Lizenzspielervertrag; für Nürnbergs Sportvorstand Dieter Hecking "ein Zeichen an unseren Nachwuchs", dass Leistung auch belohnt werde.
"Ich bin von klein auf Clubfan und war oft im Stadion. Als der Kontakt zustande kam, war ich sehr stolz, bei diesem Verein spielen zu können", erinnert sich Tim Latteier an seinen Wechsel vom TSV Scheinfeld an den Valznerweiher. Zuerst hatte sein Vater Thomas Latteier aufgrund seiner früheren Verbindungen zum TSV Vestenbergsgreuth bei Greuther Fürth angeklopft: "Sie hatten ihren Kader in seinem Jahrgang schon voll und wollten ihn nicht mehr aufnehmen."
Vater gibt Trainerjob für die Karriere des Sohnes auf
Der Club wollte. Nachdem er ein paar Mal dort vorgespielt hatte, riefen Nürnbergs Talentspäher bei Latteiers an: "Wir haben uns recht schnell entschieden, schließlich war der Club Tims Wunschverein." Weil er nicht ins dortige Fußballinternat ging, fuhren seine Eltern ihren Sohn mehrmals pro Woche nach Nürnberg – jedes Mal 70 Kilometer hin und wieder zurück.
"Es war uns sehr wichtig, ihn zu begleiten. Beruflich haben wir das einigermaßen hinbekommen, da wir selbstständig sind, aber wir sind auch an Grenzen gestoßen." Thomas Latteier, der zusammen mit seiner Frau einen Lebensmittelmarkt in Scheinfeld führt, gab seinen Trainerjob beim damaligen Fußball-Landesligisten Bayern Kitzingen auf, um seinen Sohn bestmöglich unterstützen zu können.
"Meinen Eltern habe ich sehr viel zu verdanken. Sie haben mich vier Jahre lang nach Nürnberg gefahren. Wir sind direkt nach der Schule los und waren erst abends wieder daheim. Das war für sie nicht einfach", weiß Tim Latteier um ihren Anteil an seinem Erfolg. Für ihn sei es hilfreich gewesen, dass sein Vater mit Vestenbergsgreuth und Forchheim selbst hochklassig Fußball gespielt habe und ihm manchen Tipp geben konnte. Jedoch: "Er war auch lange mein größter Kritiker."
Was gewesen wäre, wenn er nicht gepackt hätte
"Ich war sicherlich sehr kritisch mit ihm. Es gibt Hunderttausende, die gerne Profi werden wollen, viele fallen raus und nur zwei oder drei Jungs gelingt es tatsächlich. Ich habe sein großes Talent gesehen, aber ich wusste auch, dass es am Ende nicht der Talentierteste, sondern der Fleißigste schafft", gesteht der 52-Jährige.
Dem Wunsch, Fußballprofi zu werden, müssen Heranwachsende, sofern sie das Talent dazu haben, viel unterordnen: "Es war ab und zu schwierig für mich, wenn ich am Wochenende mit meiner Mannschaft auswärts auf einem Turnier war und meine Freunde sich zu Hause getroffen haben", sagt Tim Latteier. Er habe sich dann gesagt, dass sich die Mühen eines Tages für ihn auszahlen würden. Für ihn habe es aber nie in Frage gestanden, das Ziel nicht weiter zu verfolgen.
Nach der Mittleren Reife setzte er alles auf die eine Karte. Aber was, wenn er es nicht gepackt hätte? "Meine Frau und ich haben ständig darüber gesprochen", erinnert sich Thomas Latteier. "Wir hätten ihn auffangen können und auch dafür einen Plan gehabt." Er selbst hatte sich anders entschieden: "Ich hatte mit 19 Jahren eine konkrete Anfrage von Fortuna Düsseldorf. Ich wollte aber nicht weg, da ich schon zur Bundeswehr einberufen worden war." Danach hätten ihn einige Verletzungen zurückgeworfen, so dass es "für ganz oben nicht mehr gereicht" habe.
Dank Marek Mintal einen großen Schritt gemacht
"Bei Tim hat es zum Glück geklappt", sagt sein Vater. "Wenn wir auf die ganze Zeit zurückschauen, sind wir natürlich sehr stolz darauf." Großen Anteil am Gelingen habe auch die Nürnberger Berateragentur, die Tim als 16-Jährigen unter Vertrag genommen hatte: "Ohne sie hätte er es vielleicht nicht gepackt. Sie haben ein Rundumpaket für ihn geschnürt und sind dafür auch belohnt worden."
Thomas Latteier erlebte allerdings auch, wie die Welt angehender Fußball-Profis seltsame Blüten treibt: "Auf einmal läuft dir ein Dutzend völlig fremder Menschen auf dem Sportplatz nach und jeder will deinen Sohn vertreten. Wir hatten 15 Anfragen aus ganz Deutschland und alle haben uns genau das gesagt, was wir am liebsten hören wollten." Seine eigenen Erfahrungen hätten ihm und der Familie geholfen, trotz aller Verlockungen einen klaren Kopf zu bewahren.
Nachdem Tim Latteier mit der U19 in der Junioren-Bundesliga gespielt hatte und auch in der U21 regelmäßig eingesetzt war, habe er vor allem im vergangenen Jahr "unter einem sehr guten Trainer" Marek Mintal "einen großen Schritt nach vorne" gemacht, erklärt der Youngster. Obwohl er 2020 wegen der Corona-Pause nur wenige Spiele bestritt, gelang es ihm, in der Länderspielpause im Oktober in den Fokus von Zweitliga-Trainer Robert Klaußzu rücken. Seitdem trainiert er bei den Profis.
Was Trainer Robert Klauß über Tim Latteier sagt
"Tim war im Sommer schon mal bei uns dabei, aber im Herbst hat er noch einmal einen richtigen Schritt gemacht", stellt Klauß fest. Er sieht Latteier als frechen Spieler, der eine gute Dynamik habe und auf verschiedenen Positionen spielen könne. Entsprechend brachte er ihn in dessen ersten beiden Zweitligaspielen sowohl in der Abwehr als auch im Mittelfeld.
Bei seinem Debüt gegen Hannover ersetzte Tim Latteier Kapitän Enrico Valentini als rechter Außenverteidiger, und im darauf folgenden Heimspiel gegen Regensburg stellte Klauß ihn von Beginn an im linken offensiven Mittelfeld auf. Beim 1:2 gegen St. Pauli kam er bereits Mitte der ersten Halbzeit für den verletzten Noel Knothe ins Spiel, wieder rechts hinten, und bereitete mit seiner Flanke auf Dennis Borkowski das Nürnberger Tor vor.
"Er macht sich vor einem Spiel 'nicht so die Platte', sondern versucht, frech und mutig zu spielen", stellt sein Trainer fest. Das sei gut, in manchen Situationen sei er aber noch zu verspielt. "Für den Aufwand, den er betreibt, kommt manchmal zu wenig rum. Er muss weiterhin an seiner körperlichen Präsenz arbeiten, dass er über 90 Minuten powern kann."
Tim Latteier freut sich auf ein Heimspiel mit Fans
"Wir hoffen, dass er in der nächsten Saison einen weiteren Schritt machen kann. Dafür sind die nächsten Monate für ihn wichtig." Er müsse zu einem festen Bestandteil des Kaders werden und sich seinen Platz in der Mannschaft erarbeiten. "Wir geben ihm Zeit dafür. Es liegt an ihm, sie zu nutzen", sagt Klauß.
Da der Fußballbranche coronabedingt Zuschauer und somit Einnahmen fehlen, haben Vereine weniger Möglichkeiten, kostspielige Transfers zu tätigen. "Für junge Spieler ist das ein Vorteil, weil sie in dieser Situation jetzt umso mehr auf sie setzen müssen", erkennt Latteier. "Es ist schon ein Glücksfall für mich, dass ich diese Chance bekommen habe."
Was ihm jetzt noch fehlt? "Es wäre toll, endlich auch mal bei einem Sieg auf dem Platz zu stehen", sagt Tim Latteier. Die ersten drei Spiele, in denen er eingesetzt wurde, verlor der Club. Derzeit sei er vor allem froh, regelmäßig zum Kader für die Zweite Bundesliga zu gehören: "Ich bin erst seit vier Monaten so richtig dabei und muss mich erst noch etablieren."
Mindestens ebenso sehnt er ein Spiel vor Zuschauern herbei: "Darauf freue ich mich riesig. Wenn du selbst früher bei den Fans gestanden warst, gibt es wohl nichts Schöneres, als vor ihnen spielen zu dürfen und von ihnen gepuscht zu werden."
Auch seine Familie würde gerne ins Stadion gehen, um Tim nicht nur vom Fernseher aus spielen zu sehen. "Es war etwas traurig, dass wir den Moment, auf den wir seit Jahren gehofft hatten, nur zu Hause am Fernseher erleben konnten", bedauert Thomas Latteier. In den Tagen danach sei er von vielen angesprochen worden: "Der 1. FC Nürnberg ist bei uns in der Gegend trotz allem noch riesig. Die Leute sind stolz, dass es ein Scheinfelder Bub beim Club gepackt hat."