Es ist der Abend des zweiten Weihnachtsfeiertages. Torsten "Toto" Jansen, seit 23. Dezember 44 Jahre alt, sitzt im Mannschaftsbus auf dem Heimweg aus Eisenach und isst Pizza. Alltag im Profisport. Das kennt er aus über zwei Jahrzehnten als aktiver Handballer, und es ist als Trainer nicht anders. Seit März 2017 coacht er den aktuellen Zweitliga-Spitzenreiter Handball Sport Verein Hamburg. Mit seinem Team sorgt er in dieser Corona-Saison für eine der Überraschungen.
Für den früheren Erstligisten hatte der Linksaußen zuvor selbst zwölf Jahre gespielt (2003 bis 2015, kurzes Comeback 2016). Bevor der HSVH 2016 insolvent ging und in der Dritten Liga neu starten musste, gewann Jansen mit dem Klub unter anderem die Deutsche Meisterschaft (2011) und die Champions League (2013). Für die deutsche Nationalmannschaft bestritt der gebürtige Rheinland-Pfälzer 178 Länderspiele. Er wurde 2004 Europameister und Olympia-Zweiter, 2007 Weltmeister im eigenen Land – als bester Spieler seines Teams.
Doch Jansens Horizont geht über Handball hinaus. Er ist gelernter Bankkaufmann, verheirateter Familienvater dreier Töchter (9, 12, 14) und eines Sohnes (8), interessiert sich für Philosophie und ist ein unprätentiöser und humorvoller Gesprächspartner. Vor dem Hamburger Heimspiel gegen die Rimparer Wölfe verrät er, warum ihn die Tabellenführung nicht interessiert, wie es sich anfühlt, auf dem Parkett nicht mehr mit den Jungen mithalten zu können und was er mit der Goldmedaille von 2007 angestellt hat.
Torsten Jansen: (lacht) Am besten chronologisch.
Jansen: Danke!
Jansen: Die interessiert mich nicht. Es ist eine Momentaufnahme. Bei der Tour de France hat man auch nicht gewonnen, wenn man eine Etappe gewinnt.
Jansen: Das ist schön. Aber es warten noch viele weitere auf uns.
Jansen: Nö. Wir haben noch nicht mal die Hälfte der Saison rum. Wenn man da schon von irgendwas träumt, läuft man nur Gefahr, dass man sich nicht mehr auf das Wesentliche fokussiert. Und das ist nun mal das nächste Spiel. Wenn man das immer gewinnt, dann passiert der Rest automatisch. Von Fernzielen war ich noch nie ein Freund.
Jansen: Zum Ersten: Die Jungs sind hoch professionell. Zum Zweiten: Wir haben ein paar Spieler, die 26, 27 sind, die gerade in die besten Handballerjahre kommen, um das mal so lapidar auszudrücken. Die halten ihr Niveau und steigern sich sogar noch leicht. Und dann haben wir zum Dritten die ganz Jungen, Jahrgang 98/99, die hoch talentiert sind und die Zeit auf ihrer Seite haben. Alle sind heiß und wollen sich verbessern. Die Kombination plus die Erfahrung von einem etwas Älteren wie Tobias Schimmelbauer, das funktioniert derzeit ganz gut.
Jansen: (überlegt) Ja, grundsätzlich schon. Aber es gehören noch ein paar andere Dinge dazu.
Jansen: Unter anderem spielerische Disziplin und ein gewisses Faible fürs Abwehrspiel.
Jansen: Na, das wird ja interessant. (lacht vieldeutig) Aber klar, Rimpar spielt seit vielen Jahren eine sehr unangenehme Abwehr. Dafür müssen wir die optimalen Lösungen finden. Und vor allem müssen wir im Kopf fix sein, jetzt, wo wir alle paar Tage spielen.
Jansen: Ich glaube, wir begegnen uns auf Augenhöhe. Das ist mir viel wichtiger, eine gewisse Menschlichkeit. Das, was ich in der Vergangenheit erreicht habe, das hab ich ja nicht alleine geleistet, sondern auch zusammen mit einer Mannschaft. Genauso verstehen wir uns jetzt auch als Team. Es ist ein Miteinander mit stetiger Kommunikation. Ich muss als Trainer nicht everybody's darling sein, aber ich möchte grundsätzlich schon einen Konsens mit den Jungs haben.
Jansen: Wenn es ihnen hilft, gebe ich meine Erfahrungen gerne weiter. Ich halte mich auch einigermaßen fit mit Laufen, Fahrrad, Krafttraining... In der Hinsicht bin ich gerne Vorbild. Aber meine Spieler sollen nicht zu mir aufschauen.
Jansen: In dem Moment, als ich in der Halle gestanden habe, natürlich. Es hat wieder richtig Spaß gemacht. Aber die Realität hat mich auch schnell wieder eingeholt. (lacht) Ich hätte im absoluten Notfall ausgeholfen, ja, aber ich hätte letztlich weder der Mannschaft helfen noch meinen eigenen Ansprüchen gerecht werden können. Ich bin jetzt über vier Jahre raus und 44. Da muss man anerkennen, dass die Jungen einfach schneller, besser, fitter sind. Irgendwann ist es für einen selber Zeit, sich das nicht nur einzugestehen, sondern auch zu akzeptieren. Der Zeitpunkt ist bei mir schon lange gekommen.
Jansen: Die Erkenntnis kommt mit der Zeit. Die Akzeptanz hat bei mir etwas länger gedauert. Nicht Jahre, aber schon einige Monate.
Jansen: Ich will nicht sagen, dass es eine Zeit ist, in der ich mich neu erfinde, aber doch auch für andere Dinge interessiere. Das soll jetzt nicht hochtrabend klingen, aber ich hab die Philosophie ein bisschen für mich entdeckt, über Essays oder Kommentare in Zeitungen von zeitgenössischen Philosophen wie Precht oder Sloterdijk. Gesellschaftliche, ökonomische, ökologische Fragen – damit beschäftige ich mich, so eine Art Eigenstudium. Ich hoffe, ich halte das auch durch, denn das ist schon anstrengend. Und dann haben wir ja auch noch vier Kinder, das ist häufig auch nicht unanstrengend, um ehrlich zu sein. (lacht)
Jansen: Zuerst das Geständnis!
Jansen: (lacht) Völlig zurecht! Das muss ins Interview rein! Haben Sie es gerade an? (lacht)
Jansen: Die hab ich beide im Keller verräumt, in einer Kiste und Schublade. Das war sehr schön damals, aber es ist lange her. Ich hab mir keinen Schrein eingerichtet.