Es ist Ende Oktober. Draußen dämmert es schon. Wer sich der Halle nähert, hört drinnen laute Schreie. Zwei Mädchen gehen aufeinander los, schlagen und treten sich, fallen zu Boden.
Um einen unkontrollierten Gewaltexzess im Würzburger Stadtteil Oberdürrbach handelt es sich freilich nicht. Vielmehr führen die jungen Sportlerinnen hochklassige Kampfkunst in der Ju-Jutsu-Wettkampfart Duo vor. Die Würzburgerinnen Hannah Treumann und Leonie Oehrlein gehören zu den Besten in Deutschland und dem deutschen Auswahlkader an.
Hannah und Leonie, beide 15 Jahre alt, stehen sich gegenüber und führen nach einer vorgegebenen Angriffsfolge einen Schaukampf vor, der möglichst realistisch aussehen und technisch genau sein soll. Neben Technik sind dafür Konzentration und Körperbeherrschung nötig. Dem Zuschauer wird schnell klar, dass es ohne das nicht funktionieren würde.
Jahrelanges Training für sanftes und unfallfreies Fallen
Die Schläge und Tritte in Richtung der Kontrahentin sind zwar nur angetäuscht, zu Boden fallen die Athletinnen dennoch. Gegen die vermeintlich harte Landung auf der Matte gibt es aber einen Trick: jahrelanges Training, damit der Sturz möglichst sanft und unfallfrei ausfällt.
An Dynamik und Action fehlt es den Schaukämpfen der Ju-Jutsukas des SV Oberdürrbach nicht. Schließlich muss alles sitzen. Denn drei Duos, neben Hannah und Leonie treten Cosima Güttler und Lukas Schraudt sowie Joelle Grebner und Julia Köhler an, stellen sich einer Herausforderung: Sie nehmen mit ihren Kampfvideos an einem internationalen Fernturnier teil.
Da wegen Corona in diesem Jahr keine Wettkämpfe stattfinden, ersann der bayerische Ju-Jutsu-Verband ein neues Turnierformat, das "eSport Duo Tournament". Alle Teilnehmer, weltweit sind es rund 140 Paare von Kolumbien bis Indien, filmen ihren Schaukampf in einer heimischen Sportstätte und laden ihr rund eine Minute langes Video auf einer Webseite hoch. Eine Jury bewertet die Videos. Wer die meisten Punkte erhält, gewinnt.
Oberdürrbachs Ju-Jutsukas gehören mit zu den Besten
Unter den Augen von Bundestrainer Roland Köhler liegt so eine Mischung aus Anspannung und Spaß in der Luft der Oberdürrbacher Sporthalle. Wenn die Sportler nicht auf der Matte für Kampf und Akrobatik sorgen, analysieren sie auf ihren Handys die aufgenommenen Videos. Schließlich soll nur ihr bester Versuch ausgewählt und bewertet werden.
Köhlers freudige Miene verrät: Es läuft sehr gut. Die Oberdürrbacher könnten daher gegen die Konkurrenz gute Chancen haben, die erste Runde zu überstehen. Verstecken braucht sich die Ju-Jutsu-Abteilung ohnehin vor niemandem. Fünf Weltmeister brachte der Verein in den vergangenen Jahren hervor. Oberdürrbacher Kämpfer nehmen an Turnieren auf der ganzen Welt teil, und nicht selten bringen sie Medaillen mit nach Hause.
"Natürlich war es etwas komisch, den Wettkampf nur für sich und nicht vor jubelnden und applaudierenden Zuschauern in der Halle zu bestreiten", sagt die 22 Jahre alte Cosima Güttler. Zusammen mit Lukas Schraudt (25) tritt sie seit drei Jahren im Mix-Duo an. Beide gehören zudem dem bayerischen Landeskader an. Obwohl der Videowettstreit kein Dauerzustand werden soll, freut sich Güttler über diese Herausforderung. "Dadurch hat man für sich wieder ein richtiges Ziel und so ein bisschen ein Highlight", findet die Studentin.
Corona verhindert die EM- und WM-Teilnahmen
"Ich glaube, es lief ganz gut", sagt Leonie Oehrlein. "Es geht besser", entgegnet ihr Hannah Treumann kritisch. Der Ehrgeiz und Enthusiasmus für ihren Sport ist den beiden Teenagern anzumerken. Für beide stehen jeden Tag Übungseinheiten auf dem Programm: dreimal Ju-Jutsu in der Woche, daneben trainieren sie Kraft und Ausdauer, und eine Viertelstunde tägliches Dehnen kommt noch dazu. Denn darauf legt der Bundestrainer großen Wert.
Die Schülerinnen sind ein eingespieltes Duo. Sie stehen seit acht Jahren gemeinsam auf der Matte und seit diesem Jahr im deutschen U-16-Kader. Wäre Corona nicht gekommen, sie hätten wohl an der Europameisterschaft im russischen St. Petersburg und an der Weltmeisterschaft in Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten teilgenommen.
Für das nächste Jahr hoffen die beiden, dass sie tatsächlich wieder an großen Turnieren teilnehmen können, nicht nur virtuell. "Es ist einfach ein cooles Gefühl, auf Wettkämpfen zu starten – egal ob man verliert oder gewinnt, Erfahrungen sammelt man immer", erklärt Hannah. "Das schweißt uns dann auch immer mehr zusammen", ergänzt ihre Partnerin Leonie.
Die Teilnahme am internationalen Wettbewerb hat sich für die Oberdürrbacher gelohnt: Leonie und Hannah belegten den ersten, Joelle und Julia den dritten Platz in der Altersklasse der U-16-Junioren und Cosima und Lukas den zweiten Platz bei den Senioren.
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