Die Jalousie an der Sporthalle in der Würzburger Graf-zu-Bentheim-Schule will heute nicht so, wie Sportlehrer Klaus Ott will. Jedes Mal, wenn der Pädagoge sie herunterkurbelt, fährt sie elektronisch wieder hoch. Die Fenster sind sehr groß. Und die Sonne scheint. Was im Sportunterricht an anderen Schulen egal wäre, kann hier zum Problem werden.
Ottes Schülerinnen und Schüler, allesamt im Grundschulalter, sind visuell sowie teils motorisch beeinträchtigt. Wenn es in der Halle zu hell ist, wird die eine oder der andere geblendet. Sowie Saif heute. Der Junge lässt sich die Vorfreude auf Goalball davon aber nicht nehmen. Er setzt sich einfach seine Kappe auf.
Von Anfang an wird deutlich: Die Kinder haben richtig Lust auf die Schulstunde. Das Umziehen ist schnell gemeistert, dann kommt ein Kind nach dem anderen in die Halle gelaufen. Lautes Lachen, Rufe, Freude. "Die Begeisterung der Kleinen ist klasse", sagt Ott. "Alle spielen mit. Das ist toll und macht viel Spaß."
Goalball ist ein Sport für Menschen mit Sehbehinderung und Blindheit. In der offiziellen Variante spielen die Sportlerinnen und Sportler mit verdunkelnden Brillen, mit denen sie gar nichts sehen. Im Ball befinden sich Glöckchen, mit deren Hilfe der Ball zu hören ist. Die Grundschulkinder spielen mit vereinfachten Regeln. Ziel in Otts Variante ist es, den Ball so zu rollen, dass er das gegnerische Ende des Spielfelds an der Grundlinie verlässt. Wer das schafft, bekommt einen Punkt. In der offiziellen Variante gibt es Tore.
Los geht es mit einem Schlachtruf: "Wir sind die Bentheim ... Ballers!", rufen Ott und die Kinder laut. Die Kleinen sind mit Inbrunst dabei. Dann ziehen die Schülerinnen und Schüler bunte Figuren, nach denen die Mannschaften eingeteilt werden. Mal sind drei Kinder in einem Team, mal vier.
Das Goalball-Feld in Otts Unterricht ist in drei Drittel unterteilt. Das rechte ist das Wiesenfeld, weil auf dieser Seite eine Wiese an die Halle anstößt. In der Mitte ist das Mittelfeld, links das Schwimmbadfeld, weil auf dieser Seite das Schwimmbad der Schule liegt. Der Ball muss mindestens einmal im Mittelfeld aufkommen, bevor er ins gegnerische Feld rollt. Saif hält sich bei einem seiner Versuche nicht an die Regel. "Nicht werfen. Rollen!", ruft einer seiner Mitschüler.
Die Kinder sind unterschiedlich stark sehbehindert
Einer der Jungen, Mbappé steht auf seinem Trikotrücken, Tim heißt er wirklich, hechtet beim Jagen der Bälle wie ein Fußballtorwart durch die Halle. Ab und an rumst es laut, wenn er auf dem Boden landet. Doch Saif beruhigt: "Mein Freund Tim hält das aus." Beim Goalball wird Tim "Flitzmaus" genannt, sagt Ott.
Wie stark die Kinder bezüglich ihrer Seh- und Bewegungsfähigkeiten eingeschränkt sind, variiert. "Es kann jeder mitmachen", sagt Ott aber und lobt, wie teamfähig und taktisch seine Schützlinge mittlerweile spielten. "Es ist toll, zu sehen, wie die Kinder sich entwickeln."
Große Hilfsbereitschaft unter den Kindern
Wie gerne die Kinder Goalball spielen, macht Ott mit einer Anekdote deutlich. In der Früh gebe es in der Schule immer einen Morgenkreis, berichtet er. Dienstags heiße es dann teils: "Ich bin glücklich, weil wir heute Goalball haben." Für ihn als Lehrer sei das die größte Auszeichnung, sagt Ott. "Dass da etwas ist, worauf die Kinder sich den ganzen Tag freuen. Es macht Riesenspaß mit den Kleinen."
Auffällig ist, wie hilfsbereit die Kinder untereinander sind. Während einer Pause hilft beispielsweise einer der Jungen – er trägt ein Deutschland-Trikot mit Müller-Flock – einem seiner Schulkameraden auf die Bank. Er greift ihn an den Armen und führt ihn zur Sitzmöglichkeit. "Das ist schön zu sehen", sagt Ott, der inzwischen im zehnten Jahr an der Graf-zu-Bentheim-Schule unterrichtet. Die Klassen seien klein, sagt er, da kenne man sich. Die besondere Art der Arbeit mache ihm viel Freude. "Alle im Gleichschritt funktioniert nicht", sagt Ott. "Es erfordert anderes Arbeiten, und das ist es, was es ausmacht."
Die Geschichte des Goalball ist lang und reicht beinahe 80 Jahre zurück. Der Sport wurde vom Österreicher Hans Lorenzen und dem Deutschen Sepp Reindle für invalide Soldaten entwickelt und erstmals 1946 gespielt. Seit 1976 ist Goalball auch olympisch.
Ob es eines der Kinder mal zu Olympia schaffen möchte? Das ist hier und heute kein Thema. Aber so, wie Tim durch die Halle wirbelt, wer weiß. Saif jedenfalls ist von den Fähigkeiten der "Flitzmaus" überzeugt: "Der Tim ist mein Freund, und er spielt sehr gut."