Wohlwollend geschätzt 60 Jahre. So groß in etwa ist der Altersunterschied zwischen Willy Haas und seinem Gegner in der Tischtennis-Bezirksklasse an diesem Samstagabend. Der Junge ist neun Jahre alt. Sein Kontrahent könnte sein Opa sein. Gegenüber stehen sich die beiden an einer Tischtennisplatte in einer Sporthalle in Kist.
Am Ende des Spiels wird es nach Sätzen 3:0 für Willy stehen. "Kein Kommentar", sagt der Gegner angesprochen aufs Ergebnis lachend. Willy wird auch sein folgendes Match glatt gewinnen. Es ist das erste Mal, dass der Neunjährige für die Männer des TTC Kist spielt. Weil ihm in der Jugend die Herausforderung fehlt.
Eigentlich sollte er an diesem Abend in der vierten Mannschaft spielen. Die Partie fiel aus. Dann sollte der Junge zusammen mit seinem Papa Michael in der dritten antreten. Auch dieses Match fiel aus. Also wurde es die fünfte Mannschaft.
Willy Hass ist mit seiner Leistung zufrieden. War's gut? "Ja." Hat's Spaß gemacht? "Ja." War's eine große Aufgabe? Eher nicht. Ein wenig aufgeregt wirkt er trotzdem.
Angefangen mit dem Tischtennisspielen hat Willy mit fünf Jahren, seit rund anderthalb Jahren trainiert er regelmäßig mit seinem Coach Matthias Geisler. Der Grund für den Start war eher unschön: Schuld war der Corona-Lockdown 2020. Mutter Lin Haas (39), Schwester Marlene (5) und Willy waren damals auf Heimatbesuch in China bei Opa Lun Chen, ehemals selbst Tischtennis-Profi. Vor die Tür zu gehen, war keine Option. Glücklicherweise hatte der Opa eine Dachterrasse – inklusive Tischtennisplatte.
"Ich war total baff, als sie zurückgekommen sind", sagt Michael Haas, der mit seiner Frau und den Kindern in Eibelstadt wohnt. "Er war natürlich nicht auf dem heutigen Niveau, aber schon so, dass du denkst: Der guckt kaum über die Platte und spielt die Bälle rüber."
Also ging es nach Kist zum TTC, wo auch der Vater spielt und früher auch Opa Lun Chen aktiv war. Schnell sei aufgefallen, dass Willy besonders talentiert ist und eine persönlichere Förderung brauchte. Die übernimmt neben dem TTC und der Familie mittlerweile der Bayerische Tischtennis-Verband, zu dessen Kader Willy gehört.
Schon Willys Opa war Tischtennis-Profi
Auch Willys Training mit Matthias Geisler wird vom Verband unterstützt. "Er lässt sich sehr angenehm trainieren", sagt der Coach, dessen Lehramtsstudium ihm bei seiner Tätigkeit als Trainer zusätzlich hilft. "Er kann für sein Alter zwei, drei Stunden wirklich konzentriert mittrainieren, und das vier-, fünfmal die Woche."
Die Herangehensweise beim Training sei eine Mischung aus Kumpelverhältnis und Ernsthaftigkeit. "Ich brauche den lockeren Umgang mit den Kindern, aber Willy ist gut darin, für sich Grenzen zu ziehen. Und er weiß auch, wann ich meine Grenzen ziehe." Es sei nicht so, dass im Training immer alles Friede, Freude, Eierkuchen sei. "Es gibt auch Momente, wo ich mal durchgreife. Wir haben eine sehr gute Balance. Das macht das Training spaßig, aber auch zielorientiert", sagt der Coach.
Tischtennis zieht sich durch die gesamte Familie Haas. Der Opa – mächtig stolz auf Willy – war Profi, beide Elternteile – ebenfalls mächtig stolz – spielen beziehungsweise haben aktiv gespielt. Sogar die kleine Schwester Marlene trainiert bereits mit ihrem Vater. Wenngleich sie nicht immer so konzentriert bei der Sache sei, wie Michael Haas schmunzelnd erzählt.
Umso schöner ist es für den 40-jährigen Bauingenieur, der beruflich stark eingebunden ist, dass er durch den Sport viel gemeinsame Zeit mit seinem Sohn verbringen kann. Das Talent seines Sohnes zu unterstützen und zeitgleich noch zu arbeiten, sei zwar nicht leicht unter einen Hut zu kriegen. Wie viel Freude es ihm macht, sieht man Michael Haas im Gespräch dennoch an.
Während des Lockdowns 2020 habe er sich ohnmächtig gefühlt, als seine Frau und die damals noch zwei Kinder – heute sind es drei – in China waren, erzählt der Familienvater. Michael Haas war bei der Reise nicht mit dabei und musste von zu Hause zusehen, wie restriktiv China mit der Pandemie umging. "Ich habe mir damals große Sorgen gemacht", sagt er. "Man schwitzt eh schon ein bisschen, wenn die Familie so weit weg ist. Und als das Virus ausgebrochen ist, habe ich mich natürlich gefragt, ob sie jemals wieder zurückkommen. Oder ob sie da eingesperrt sind."
In vier Wochen geht es für Familie Haas wieder nach China, dieses Mal für 14 Tage in die Provinz Guizhou. Für die Osterferien ist ein chinesisch-deutscher Tischtennis-Osterlehrgang geplant. "Der Grundgedanke war, dass es schön wäre, den Kindern und jugendlichen Leistungssportlern, die den Fokus auf Tischtennis haben, die Möglichkeit zu geben, in das Land zu reisen, wo der Sport so zelebriert wird", sagt Michael Haas.
Lehrgang in China soll Verbände und Sponsoren überzeugen
Mutter Lin, ebenfalls selbstständig, ergänzt, dass Willy viel mitnehmen können wird, wenn er mit chinesischen Trainern zusammenarbeitet. Warum also nicht auch anderen Kindern die Möglichkeit geben? Ihr Vater, sagt sie, habe eine eigene Tischtennisschule für jugendliche Leistungssportler. "Das Niveau, das Willy jetzt hat, hat drüben ein Siebenjähriger." In China sind Disziplin und Fokus noch einmal anders gewichtet als in Deutschland.
Wie Vater Michael berichtet, war die Familie nach den ersten Planungen des Programms ernüchtert: "Weil allein schon die Flugkosten bei mehr als 1000 Euro pro Person liegen." Dennoch organisiert die Familie den Trip, "um Verbände und Sponsoren darauf aufmerksam zu machen und zu überzeugen, dass wir die Möglichkeiten und Optionen haben, einen so außergewöhnlichen Lehrgang zu veranstalten".
Da Opa Lun Chen die Elite des Sports kennt, besteht dann auch die Möglichkeit, das ein oder andere Selfie mit den Top-Stars des Sports machen. Sicher auch die Chance auf ein Kennenlernen und sogar ein Training mit der Elite, meint Michael Haas.
Das Vorbild seines Sohnes sei Adam Bobrow, ein Social-Media-Star, der mit seinen Videos von Trick-Shots massenweise Menschen erreicht, verrät Willys Vater an diesem Abend in Kist. Im Nachgang des Termins meldet er sich per Mail: Er sei von seinem Sohn für die Behauptung gerügt worden, Willy finde nur die Videos von Adam Bobrow lustig. Sein wahres Vorbild sei dann doch Timo Boll.