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HANDBALL: ZWEITE BUNDESLIGA MÄNNER
Schließt sich der Kreis für die Wölfe?
Dritter gegen Zweiter, Maurerdorf gegen Handkäsedorf: Im vorletzten Saisonspiel kämpfen mit Rimpar und Hüttenberg die Überraschungsteams der zweiten Liga um den Sprung ins Oberhaus. Die Geschichte der Gastgeber und ihrer goldenen Generation ist einzigartig – in der Region und im Handball.
DKB 2. Handball-Bundesliga, DJK Rimpar Wölfe - HG Saarlouis       -  _
Foto: Frank Scheuring (foto2press.de)
Natalie Greß
 |  aktualisiert: 22.08.2022 16:37 Uhr

Manche Geschichten bilden einen vollkommenen Kreis. Die der DJK Rimpar Wölfe könnte eine solche Geschichte werden. Mit sechs Eigengewächsen und zwei einheimischen Trainern spielen die Zweitliga-Handballer um den Aufstieg in die Bundesliga. Diese Konstellation ist im Basketball unmöglich, im Fußball undenkbar und auch im Handball ungewöhnlich. Ja, sogar in dieser bodenständigen Sportart, die vom Dorf kommt und selbst auf großer Bühne noch in vergleichsweise kleinen Städten wie Göppingen, Wetzlar, Balingen oder Lemgo gespielt wird, ist die Geschichte so besonders wie ein deutscher Basketballer in der nordamerikanischen NBA. „Ich würde sogar sagen, sie ist heutzutage einzigartig“, sagt Rolf Brack. Der Mann muss es wissen: Er war mehr als drei Jahrzehnte lang Trainer in der Bundesliga und hat drei Klubs insgesamt viermal in die Eliteklasse geführt. Seit Sommer 2016 ist er sportlicher Berater der Wölfe. „Ich hätte damals in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet, dass wir heute um den Aufstieg kämpfen.“

Vor zehn Jahren noch in der Landesliga

Es ist die Geschichte einer Mannschaft aus der 8000-Seelen-Marktgemeinde, die vor zehn Jahren noch in der Landesliga spielte und nun vor dem Sprung in die im internationalen Vergleich stärkste Handballklasse der Welt steht. Die allermeisten Protagonisten haben ihre Wurzeln in der Region. Es sind der aus Würzburg stammende Klub-Geschäftsführer Roland Sauer, Chefcoach Matthias Obinger und sein Assistent Josef Schömig – beide Rimparer und früher selbst viele Jahre lang für die DJK aktiv. Es ist ein 16er-Kader aus Feierabendprofis, der zu zwei Dritteln aus Franken kommt und dessen Herz die sogenannte goldene Generation von sechs Originalen bildet: Kapitän Stefan Schmitt, Torwart Max Brustmann, Rechtsaußen Julian Sauer, die beiden Linksaußen Sebastian Kraus und Dominik Schömig sowie Keeper Markus Leikauf (in der Regel für die Jungwölfe in der Bayernliga im Einsatz) – die ersten vier Kumpels seit Kindertagen, die schon in der Jugend zusammengespielt und fast alle Aufstiege seit der Landesliga miteinander gefeiert haben.

Und es ist eine rund 150-köpfige Mannschaft um die Mannschaft, bestehend aus Vereinsverantwortlichen, -mitgliedern, ehrenamtlichen Helfern und einem harten Fankern, die auf allen Ebenen mit geringem Etat, aber grandiosem Engagement Erstaunliches vollbringt.

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Einer der Ehrenamtlichen, Robert Fleder vom Team Security und Kasse, muss vielleicht bald zur Fahrschule. „Damals als Betreuer in der Landesliga hab ich zu den Jungs gesagt: 'Wenn ihr mal in die Erste Liga aufsteigt, dann mach ich den Busführerschein und fahr‘ euch nach Flensburg'“, erzählt er. Falls „Roberto“, wie ihn im Verein alle nennen, die Prüfung nicht rechtzeitig schafft, springt sicher auch Elke Weippert ein, die die Wölfe bisher meist zu Auswärtspartien kutschiert. Wo die Busfahrerin herkommt? Auch aus der Hochburg der Handballverrückten natürlich!

„Wir sind eben wie eine große Familie“, sagt Roland Sauer, als Geschäftsführer der DJK Rimpar Wölfe gleichsam ihr Patriarch. Wie in jeder Familie kracht?s ab und zu, aber wenn?s drauf ankommt, halten alle zusammen. So wie jetzt, wo selbst die schärfsten Kritiker der eingeläuteten Entwicklung vom Rimparer Dorf- zum Würzburger Stadtklub elektrisiert sind vom Gedanken an den Aufstieg. Die damit einhergehenden Veränderungen wie etwa der Umzug von der örtlichen Dreifachturnhalle in die mehr als dreimal so viele Besucher fassende s.Oliver Arena hat zeitweilig für manche Uneinigkeit selbst in den Kleinfamilien innerhalb der Großfamilie gesorgt. Und Familienbande(n)gibt es im Verein einige, die Sauers sind das beste Beispiel.

Der Gegenentwurf zu den Kickers und den Baskets

Rolands Frau Waltraud ist Handball-Abteilungsleiterin, sein jüngerer Sohn Julian Teil der goldenen Generation. Bis vor eineinhalb Jahren führte Sauer senior gemeinsam mit seinem älteren Sohn Daniel, selbst ehemaliger Handballprofi, die Geschäfte – bis der zum Fußball wechselte und Vorstandsvorsitzender der AG des FC Würzburger Kickers wurde. Auch dort spricht man gerne von der Familie.

Und doch trennen die Wölfe, die ständig ums Geld von Mittel- und Kleinsponsoren kämpfen und mit 750 000 Euro über einen nicht gerade üppigen Saisonetat verfügen, Welten vom Fußball-Zweitliga-Absteiger, ebenso wie vom Basketball-Bundesligisten s.Oliver Würzburg; die beiden sind dank Mäzenen mit Millionenetats ausgestattet. „Bei uns geht halt der Sport voran, und wir hinken wirtschaftlich und strukturell immer hinterher“, unkt Roland Sauer, der den Klub nach und nach professionalisieren will. Immerhin: Die Lizenz für die erste Liga haben die Wölfe ohne Einschränkungen erhalten.

So ist die Geschichte der Rimparer Handballer in vielerlei Hinsicht auch ein Gegenentwurf zu den beiden Schwergewichten im hiesigen Spitzensport. Ihre Erfolgsstory mit regionalen Identifikationsfiguren wird in der Sportsprache im Fall der Vollendung gerne mit plakativen Worten wie Wunder, Sensation oder Märchen etikettiert. Die Macher selbst sprechen von einer Legende, die sie schreiben wollen. Noch fehlt ihr das glückliche Ende. „Ich will das.

Ich will das jetzt unbedingt!“, sagt Matthias Obinger, der sportliche Vater des Heimatmärchens seines Heimatvereins, der beweist, dass ein Coach seinen Spielern auch Kumpel sein kann – solange er weiß, welche Rolle in welcher Situation gefragt ist: „Wir stehen so kurz davor, dass unsere Geschichte rund wird.“ Und sich der Kreis schließt.

Auch der Bürgermeister ist stolz

An diesem Samstag können die Wölfe im Showdown Dritter gegen Zweiterden ersten von zwei noch fehlenden Schritten zum Aufstieg in die Bundesliga gehen und damit nicht nur den Höhepunkt ihrer Vereinshistorie feiern, sondern auch als erste männliche Handballmannschaft in Mainfranken ins Oberhaus aufsteigen. Nur die Frauen der DJK Würzburg spielten zwischen 1975 und 1995 insgesamt zwölf Jahre in der Eliteklasse. Gegen den mittelhessischen TV Hüttenberg (49:23 Punkte), auch so ein Dorfverein, der mit einem Sieg in der mit 2900 Zuschauern restlos ausverkauften s.Oliver Arena bereits vorzeitig den Durchmarsch von der Dritten in die Erste Liga perfekt machen kann, geht es für die Rimparer Wölfe (48:24) um alles. Oder eben nichts. Nachdem sie nach zehn von bisher 36 Spieltagen auf einem Aufstiegsrang standen und sonst knapp dahinter, brauchen sie auch wegen Verfolger TSG Ludwigshafen-Friesenheim (4./47:25) aus den beiden Finals gegen Hüttenberg und am Samstag darauf in Lübeck gegen den Sechsten VfL Bad Schwartau mutmaßlich zwei Siege zur Vollendung.

Wer sich vor dem brisanten letzten Heimspiel in Rimpar umhört und versucht, in der Hitze des in die Gassen drängenden Sommers das Fieber zu messen, das die Handballer im Ort auslösen, der trifft zumeist stolze Einwohner. „Natürlich sind wir stolz auf die Wölfe!“, sagt Anna Hollerbach, Chefin der gleichnamigen Metzgerei und Mutter des berühmtesten Bernds im Dorf. „Der ganze Ort spricht über sie!“ Und auch mit ihnen. „Der Zuspruch ist überwältigend“, berichtet Rimpars Rückraum-Torjäger und zweitbester Werfer der Liga, Patrick Schmidt. „Wo wir sind, ob im Fitnessstudio oder beim Einkaufen – überall kommen die Leute auf uns zu und wünschen uns Glück.“

Auch Bürgermeister Burkard Losert, der, wie er gesteht, eigentlich dem Fußball zugetan ist und selbst gerne ein Weltklasse-Kicker geworden wäre, wäre der Kindheitstraum nicht an zwei Dingen gescheitert, „nämlich meinem rechten und meinem linken Fuß“, betont: „Freilich ist die Gemeinde stolz auf die Rimparer Wölfe! Wir alle drücken den Handballern fest die Daumen!“

Maurerdorf gegen Handkäsedorf

In ähnlicher Aufregung wird dieser Tage vermutlich der 10 700-Einwohner-Ort Hüttenberg sein, wo die TVler die Hoffnung auf die Rückkehr in die Eliteklasse zurückgebracht haben. Bis 1985 spielten sie dort schon einmal 15 Jahre lang, erst 2011 gelang ihnen der Sprung nach oben wieder – allerdings nur für eine Runde. 2014 folgte sogar der Abstieg in die Drittklassigkeit. Nun steht das Team des isländischen Trainers Adalsteinn Eyjolfsson vor der Sensation des Durchmarschs – und ist damit noch mehr als die DJK die Überraschung der Saison. Eine weitere Gemeinsamkeit beider Klubs, neben der Eingeschworenheit ihrer Mannschaften, einigen spielerischen Stärken und vergleichsweise kleinen Etats. „Diese ganze Konstellation vom Handkäsedorf, das das viele Geld schlägt. Das ist extrem geil. Es gibt nichts Besseres“, sagt der Hüttenberger Toptorschütze Daniel Wernig in einem Interview mit der „Gießener Allgemeinen“.

Etwas Besseres gäbe es auch für das Maurerdorf Rimpar nicht. „Mit dem Aufstieg würden wir uns einen Traum erfüllen, den wir vor zehn Jahren noch nicht mal zu träumen gewagt hätten“, sagt Kapitän Stefan Schmitt. Die Chance, diesen Traum auch mit Jugendfreunden zu leben, ist höchstwahrscheinlich einmalig.

Damals in der Landesliga, als weder der Leitwolf und Abwehrchef noch Schmitts Kameraden ahnten, wie ihre Geschichte sich entwickeln könnte, beschäftigten sich Zwillingsschwestern in ihrer Diplomarbeit mit den DJK-Handballern. Sie studierten und analysierten und beschrieben deren Rollenverhalten im Training und im Spiel und kamen zu dem Ergebnis, dass die Sportler stets geschlossen auftraten. Wie im Tierreich eine Herde Zebras. Oder eben ein Rudel Wölfe.

Damit war die Idee für den erst 2011 eingetragenen Namen für die aus dem Verein ausgegliederte GmbH geboren. Eine Idee, die die Handballer inzwischen zur Marke entwickelt haben. Die DJK Rimpar Wölfe steht für regional erlebte Zusammengehörigkeit und sportlich gelebten Zusammenhalt. Nach Siegen zeigt sich dieser stets darin, dass sich die Spieler zum Mannschaftskreis zusammenschließen und ausgelassen miteinander tanzen und hüpfen.

Wenn sie das in dieser Saison noch zwei Mal tun, schließt sich auch der Kreis ihrer einzigartigen Geschichte.


Keine Karte? Hier gibt's das Spiel live

Der Handball-Aufstiegsschlager zwischen der DJK Rimpar Wölfe und dem TV 05/07 Hüttenberg in der zweiten Bundesliga (Anpfiff 18 Uhr, s.Oliver Arena) ist längst restlos ausverkauft. Nur reservierte Tickets, die bis 17.30 Uhr nicht abgeholt werden, können noch ergattert werden. Doch es gibt noch mehrere Möglichkeiten, die Partie auch außerhalb der Halle live zu verfolgen:

• Im Liveticker dieser Redaktion unter: www.mainpost.de
• Im Fernsehen auf TV Touring
• Im Internetstream des Hessischen Rundfunks unter: www.hr-online.de

Vor der Partie steigt rund um die s.Oliver Arena ab 16 Uhr ein Fanfest mit diversen Essens- und Getränkeständen. Nach dem Duell gemütlicher Heimspiel-Saisonausklang.

 
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