Es ist ein Mittwoch, der 21. Oktober 2020, als in der Würzburger s.Oliver Arena Historisches im Handball passiert: Während der gesamten Zweitliga-Partie der DJK Rimpar Wölfe gegen den ASV Hamm-Westfalen steht bei den Gastgebern erstmals seit der Vereinsgründung kein Eigengewächs auf dem Feld. Eine Zeitenwende, die sich da vollzieht, unbemerkt von den meisten. Freilich nicht aber von Josef Schömig.
Der 56-Jährige geht heuer in sein 20. Jahr als Co-Trainer der ersten Männermannschaft. Als solcher hat er alles mitgemacht in seinem Heimatverein - auch alle Aufstiege seit der Landesliga mit der "goldenen Generation" um Stefan Schmitt, Sebastian Kraus und Julian Sauer. "Ich war ein bisschen wie der Papa für den ganzen Haufen", sagt Schömig im Interview.
Umso mehr Sorgen macht ihm die aktuelle Entwicklung. Immer mehr Spieler kommen von anderen Klubs, aus den eigenen Reihen kommen wenige nach. Warum ist das so? Und was bedeutet es auf Sicht für die Wölfe, deren Charme lange darin bestand, als echter Dorfverein die Bundesliga aufzumischen?
Diese und andere Fragen beantwortet der Mann, der seit zwei Jahrzehnten Teil dieses Wegs ist und sich dennoch eine kritische Sicht bewahrt hat. Keine Frage: Schömig sieht die Vorzüge der sportlichen Professionalisierung, den Erfolg - aber auch, dass sie einen Preis hat.
Josef Schömig: Er ist für mich ein Stück Lebenswerk. Ich habe 1974 angefangen, in der Rimparer Jugend Handball zu spielen, war 18 Jahre lang Kreisläufer bei den Aktiven. Bis ein großer Umbruch anstand. Mein Cousin Dieter Knorz wurde Trainer für die jungen Wilden um Stefan Schmitt und Basti Kraus. Er fragte mich, ob ich ihm helfen könnte, diesen Haufen zu zähmen. Es hat mir riesig Spaß gemacht, mit den Buben zu arbeiten und mitzuerleben, wie sie zu Männern gereift sind. Sie kamen auch zu mir, wenn sie Probleme mit ihren Freundinnen hatten. Die Kameradschaft und der Spaß waren am Anfang mindestens genauso wichtig wie der sportliche Erfolg. Es war eine große Nähe, und es war schön.
Schömig: Vereinzelt, aber nicht mehr wie früher, als bei Auswärtsfahrten im Bus genauso viele Fans und Ehrenamtliche wie Spieler saßen und auf dem Heimweg alle zusammen gegessen und getrunken haben und dann noch weggegangen sind. Ich kann mich zum Beispiel nicht mal dran erinnern, wann ich vor Corona zum letzten Mal eine größere Gruppe von Jugendspielern bei den Wölfen in der Halle gesehen habe. Vor zehn Jahren standen sie alle noch im Fanblock und haben ihre Idole angefeuert. Damals waren wir noch eine sehr eng verbundene Familie, haben zusammen gefeiert und gelitten. Ein Stück weit haben wir unsere Seele verloren.
Schömig: Sportlich begannen die Veränderungen mit dem Aufstieg in die Bayernliga 2007 unter Heiko Karrer. Die Gewichtung änderte sich - von Spaß hin zu Erfolg. Heiko war die Keimzelle dafür. Ein paar Spieler sprangen ab, aber die meisten wollten diesen Weg gehen, fast alle Rimparer Jungs. Sie waren bereit, immer noch ein Stück mehr zu investieren und noch auf ein Stück mehr Freiheit zu verzichten, um noch erfolgreicher zu sein. Jens Bürkle, der dann 2012 mit Daniel Sauer (damals noch Handballprofi, dann Geschäftsführer, Anmerkung der Redaktion) als Trainer aus Balingen kam, hat da gut reingepasst.
Schömig: Wir waren stolz, mit so kleinen Mitteln so etwas Großes zu erreichen. Und wir wollten auch nie die aalglatten Profis sein, die viel Geld mit Handball verdienen. Wir waren der eingeschworene Haufen, der sich in der Rolle des Underdogs sehr wohl gefühlt hat.
Schömig: Und mit ihr die Entfernung der ersten Mannschaft zur Basis im Verein. Ich denke, ein Stück weit ist diese Entwicklung normal und auch nicht zu vermeiden, wenn man sich als Dorfverein professionalisiert. Mittlerweile ist mir persönlich der Abstand aber zu groß geworden. Wir sind nicht mehr die verschworene Einheit im Verbund Wölfe und Verein. Wir agieren teilweise wie ein Wirtschaftsunternehmen, in dem jeder ersetzbar zu sein scheint. Das macht mich nachdenklich, denn ich glaube nicht, dass es so sein muss.
Schömig: Trainern, die eine Bindung zu unserem Verein hatten, lag natürlich mehr an einer langfristigen Entwicklung als denen, die danach kamen und noch kommen werden und die Rimpar als Sprungbrett sehen. Früher wurden Talente mehr rangeführt und eingebunden.
Schömig: Die Kommunikation und Kooperation ist einfach nicht mehr so, wie sie mal war. Mein Sohn Dominik und zwei weitere Jugendspieler seines Jahrganges hatten früher einen abgestimmten Plan. Zweimal in der Woche haben sie in der A-Jugend und der ersten Mannschaft trainiert, einmal in der zweiten. Damals haben alle Beteiligten gezielt zusammengearbeitet, damit die Jungs den Anschluss an den Herren-Kader schaffen.
Schömig: Ich denke nicht, dass Einzelne daran schuld sind. Es fehlt derzeit das Bindeglied zwischen Jugend, zweiter und erster Mannschaft. Das ist die Aufgabe eines Jugendkoordinators, wie wir ihn mit Jan Redmann bis vor vier Jahren noch hatten.
Schömig: So ist es. Nehmen wir als Beispiel einen zehnjährigen Jungen aus Lengfeld, der in Rimpar Handball spielen will, weil er die Wölfe cool findet und davon träumt, es auch mal in die Bundesliga zu schaffen. Wenn der aber sieht, dass kaum einer, der in der Jugend in Rimpar ausgebildet wird, bei den Wölfen oben ankommt - warum soll er dann zu uns in die D-Jugend? Um unser Niveau und die Liga mittelfristig halten zu können, müssen wir wieder mehr und gemeinsam in eine zielgerichtetere Jugendarbeit investieren.
Schömig: Eine Jugendarbeit, die individuell zugeschnitten ist auf einzelne Talente und gleichzeitig ein Baukastensystem hat, also ein mannschaftsübergreifendes Konzept, das dafür sorgt, dass die Jugendlichen spätestens ab der B-Jugend schon ein ähnliches Spielsystem lernen wie die Wölfe. Mit dem Ziel, jedes Jahr ein, zwei eigene Spieler hochzubringen. Das spart Geld und stiftet Identifikation.
Schömig: Ich glaube nicht, dass wir die aktuelle Entwicklung komplett rückgängig machen und die einmalige Geschichte, die wir geschrieben haben, kopieren können. Wir werden auf Spieler von außen angewiesen sein. Das ist auch üblich und in Ordnung, wenn nicht jedes Jahr drei Supertalente nachrücken, die einen Verein auf Jahre absichern. Aber ich glaube schon, dass wir eine ähnliche Entwicklung wieder anstoßen könnten. Gelingt uns das nicht, kann es allerdings auch in die andere Richtung gehen und gefährlich werden.
Schömig: Durch Corona wird unser Etat ja nicht größer. Wir hatten in der Zweiten Liga von Anfang an den eines Absteigers, sportlich waren wir trotzdem Jahr für Jahr mindestens Mittelfeld. Das kann auch mal schiefgehen. Oder die Einnahmen decken irgendwann die Ausgaben nicht mehr. Oder die Traditionszuschauer, die zuletzt noch in die Halle kamen, weil sie die Spieler sehen wollen, die sie von klein auf kennen, brechen weg. Oder die Ehrenamtlichen haben irgendwann keine Lust mehr, sich nur für "Fremde" zu engagieren. Aus all diesen Gründen führt kein Weg dran vorbei, dass wir eigene Talente ausbilden. Wir brauchen wieder diese "Helden von hier", damit wir uns unseren Rimparer, Würzburger oder zumindest unterfränkischen Charakter bewahren. Und damit wir langfristig auch hochklassigen Handball in der Region sichern.