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FUSSBALL: EM
Psychologe zum Trauma Eriksen: Warum Weiterspielen richtig war
Der Würzburger Experte Alfred Spall meint: Mit einem Abbruch des EM-Spiels nach dem Herzstillstand des dänischen Fußballers hätte die Uefa ihm eher keinen Gefallen getan.
Ein Bild, das um die Welt ging: Der Däne Christian Eriksen wird  nach einem Zusammenbruch im EM-Vorrundenspiel gegen Finnland reanimiert, während seine Teamkollegen und Sanitäter einen abschirmenden Kreis um ihn bilden und um sein Leben bangen.
Foto: Martin Meissner, dpa | Ein Bild, das um die Welt ging: Der Däne Christian Eriksen wird  nach einem Zusammenbruch im EM-Vorrundenspiel gegen Finnland reanimiert, während seine Teamkollegen und Sanitäter einen abschirmenden Kreis um ihn ...
Natalie Greß
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:48 Uhr

Alfred Spall ist in Würzburg ein bekannter Mann. Der Diplom-Psychologe gründete 1987 die unterfränkische HIV- und Aidsberatung der Caritas und leitete diese bis zu seiner Pensionierung 2008. Was nicht allzu bekannt sein dürfte: Alfred Spall ist auch Fußballfan. Als solcher wandte sich der 78-Jährige im Fall Christian Eriksen mit einer E-Mail an die Sportredaktion. Der dänische Fußball-Nationalspieler war am Samstag während des EM-Vorrundenspiels gegen Finnland wegen eines plötzlichen Herzstillstands, wie sich später herausstellte, zusammengebrochen und hatte auf dem Rasen in Kopenhagen reanimiert werden müssen. Nach einer Unterbrechung war das Spiel weitergegangen. Spall nahm in seiner Mail Stellung zu einem in der Montagsausgabe veröffentlichten Kommentar mit der Überschrift "Die Uefa hätte eingreifen müssen" und der Aussage, dass der Wiederanpfiff eine Fehlentscheidung war. Seine psychologische Einschätzung: "Aus traumadynamischer Sicht hat man Christian Eriksen mit der Fortsetzung eher einen Gefallen getan." Warum, das erklärt Spall im Interview.

Herr Spall, was haben Sie gedacht, als Christian Eriksen auf dem Spielfeld zusammengebrochen ist?

Alfred Spall: Zuerst wusste ich ja nicht, was los ist. Aber nach und nach wurde mir klar, dass etwas Ernsthaftes im Spiel ist. Auch ich habe gehofft und gebangt, dass er bald wieder aufsteht, sich schüttelt und weiterläuft.

Stattdessen wurde Christian Eriksen vom Platz getragen, das Spiel nach einer Unterbrechung fortgesetzt. Warum war das Ihrer Meinung nach richtig und wichtig – auch für Christian Eriksen?

Spall: Ein Spielabbruch hätte ihn zusätzlich belasten können. Er hätte sich vielleicht die Schuld dafür gegeben, auch dafür, die Zuschauer zu enttäuschen, die das Spiel sehen wollten. Die Übertragung war weltweit. Angeblich hat er ja selber gesagt: "Spielt weiter!"

Was auch die konditionierte Reaktion eines Sportlers sein kann, der es gewohnt ist, keine Schwäche zu zeigen.

Spall: Auf die Idee kann man kommen, das ist richtig. Aber ich sehe darin eher Stärke oder Größe, wenn ein Sportler sagt: "Es geht mir wieder gut, und die Mannschaft soll weitermachen auch ohne mich." Aus traumadynamischer Sicht hat man Christian Eriksen mit der Fortsetzung eher einen Gefallen getan.

Der pensionierte Diplom-Psychologe Alfred Spall  ist auch Fußballfan.
Foto: Rolf Poss | Der pensionierte Diplom-Psychologe Alfred Spall  ist auch Fußballfan.
Handelt es sich bei so einem Vorfall denn um ein Trauma?

Spall: Ich sehe einen Herzstillstand schon als Trauma, wobei Christian Eriksen die genaue Diagnose in diesem Moment ja noch gar nicht gekannt haben dürfte. Er wusste vermutlich nur, dass er mal weg war.

Was genau kennzeichnet ein Trauma?

Spall: Ein Trauma ist eine starke psychische Verletzung, die mit Kontrollverlust, oft auch mit Lebensgefahr einhergeht und noch lange nachwirkt, etwa durch Wiedererleben in Flashbacks und Alpträumen. Weitere Symptome der Belastungsreaktion - in der Psychologie spricht man von einer Posttraumatischen Belastungsstörung - sind zum Beispiel Schlaflosigkeit, Übererregung, Reizbarkeit, Misstrauen und vor allem eben auch Scham- und Schuldgefühle. Christian Eriksen könnte sich also fragen: "Wieso muss ausgerechnet ich derjenige sein, der meiner Mannschaft so eine Belastung zufügt? Wir wollten doch gewinnen, und im Normalfall hätten wir auch gewonnen!" Natürlich nagt das auch am Selbstwertgefühl.

"Die Freude über Eriksens Rückkehr ins Leben musste einen Ausdruck finden, und dafür gab es in diesem Moment keinen adäquateren."
Alfred Spall, Diplom-Psychologe, über die Fortsetzung des EM-Spiels
Kann ihn die Mannschaft unterstützen, dass er solche Schuldgefühle nicht entwickelt?

Spall: Ja, indem sie Anteil nimmt - ihn annimmt, ihm zuhört und mit ihm redet. Jemandem Schuldgefühle ausreden zu wollen, funktioniert in der Regel nicht.

Auch für die anderen dänischen und finnischen Fußballer war es eine Ausnahmesituation. Wäre es nicht schützend gewesen, sie den Vorfall erst mal verarbeiten statt direkt weiterzuspielen zu lassen?

Spall: Wenn man in einem Kreis steht mit der Angst, dass der auf dem Boden liegende Mitspieler vor den Augen stirbt und nach so einer schweren seelischen Erschütterung einfach duschen geht, dann ist das, wie Ruhe generell, nicht unbedingt eine Form der Verarbeitung. Bewältigung heißt für mich aktive Verarbeitung, und damit ist Weitermachen mit dem Wissen, der Mitspieler ist wieder wohlauf, die bessere Form.

Dänemarks Fußball-Star Christian Eriksen wandte sich am Dienstagvormittag (15. Juni) via Instagram erstmals nach seinem Zusammenbruch aus dem Krankenhaus an die Öffentlichkeit und bedankte sich für die Grüße und Nachrichten aus aller Welt. Es gehe ihm den Umständen entsprechend gut, schrieb er.
Foto: Screenshot dpa | Dänemarks Fußball-Star Christian Eriksen wandte sich am Dienstagvormittag (15. Juni) via Instagram erstmals nach seinem Zusammenbruch aus dem Krankenhaus an die Öffentlichkeit und bedankte sich für die Grüße und ...
Also hat die Uefa richtig gehandelt?

Spall: Schutz kann zweierlei bedeuten: aufhören oder erst recht weitermachen. Ich bin der Meinung, dass die Uefa schützend eingreifen soll, wenn durch Weiterspielen eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, zum Beispiel eine Panikreaktion der Zuschauer im Stadion. Jeder Fall ist letztlich aber eine Einzelfallentscheidung. Dass in diesem Fall der Ball wieder rollte, war ein sporttypisches Signal: Alles wieder gut! Die Freude über Eriksens Rückkehr ins Leben musste einen Ausdruck finden, und dafür gab es in diesem Moment keinen adäquateren.

Angenommen, Sie wären Psychologe der dänischen Nationalmannschaft: Wie würden Sie nach diesem Spiel mit ihr arbeiten?

Spall: Ich würde das Trauma mit ihr bearbeiten, sofern erforderlich. Der Fachausdruck dafür heißt Debriefing. Es geht darum, dass man sich an das traumatische Erlebnis erinnert und erzählt, was man in dieser Situation wahrgenommen hat, ohne es zu deuten oder zu korrigieren.

Mit dem Ziel, das Trauma zu integrieren statt abzuspalten und zu verdrängen?

Spall: Das ist gut gesagt. Denn Verdrängung ist immer schlecht.

Was kann so ein Vorfall mit einer Mannschaft machen: Angst auslösen, den Zusammenhalt stärken, Resilienz fördern?

Spall: All das. Die Resilienz, also die seelische Stärke und Widerstandskraft, wird durch so ein Erlebnis sicherlich gewinnen, und das wiederum kann zusammenschweißen und im Verlauf des Turniers noch mal eine eigene Dynamik entwickeln.

Von dänischer Seite gibt es nach wie vor Kritik an der Uefa, dass sie das Spiel nicht abgebrochen hat. Vermutlich auch deswegen, weil die Mannschaft mit 0:1 verloren hat - nicht zuletzt wegen des vergebenen Elfmeters von Pierre Emile Höjbjerg. Was können die Dänen daraus lernen?

Spall: Vor dem nächsten Turnier Elfmeter üben. 

 
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