Als Jugendlicher ein selbst ernanntes "soziales Chamäleon", als Erwachsener ein "kreativer Katalysator": Mit 32 Jahren hat Dino Poimann bereits eine interessante Vita vorzuweisen. Der Würzburger hat einen Master-Abschluss in Psychologie und ist seit 2013 als freiberuflicher Coach für Persönlichkeitsentwicklung und als Achtsamkeitslehrer in der Wirtschaft und im Hochleistungssport tätig. Er arbeitet mit einzelnen Athletinnen und Athleten und auch mit Mannschaften. Immer gefragter ist Poimanns Wissen im Fußball. Fünf Jahre lang betreute Poimann das Nachwuchsleistungszentrum des 1. FC Nürnberg, wechselte dann 2018 zu RB Salzburg und nahm parallel seine Tätigkeit bei der heutigen U-19-Auswahl des DFB auf. Seit 2020 ist er neben seiner Selbstständigkeit als Psychologe beim VfB Stuttgart angestellt. Im Interview gibt Poimann Einblicke in seine Arbeit.
Dino Poimann: Grundsätzlich sehe ich meine Aufgabe darin, Systemen zu helfen, sich zu entwickeln oder Stabilität zu erlangen, beispielsweise in einer schwierigen Situation. Ein System kann ein einzelner Mensch sein, eine Mannschaft, ein Verein, eine Firma. Dabei ist mir wichtig, Sportler und Sportlerinnen so zu unterstützen, dass sie Erfolg als Menschen haben, denn das stützt langfristige Karrieren. Mein Ziel ist es, dass sie im Wettkampf auch unter Hochdruck gelassen fokussiert bleiben, ihre Erholungszeiten nutzen und sich optimal entwickeln.
Poimann: Auf das Zwischenmenschliche wie Empathie- und Kommunikationsfähigkeit. Und darauf, bei sich selber aufzuräumen.
Poimann: (lacht) Ich glaube, in mir ist es relativ ordentlich und ich habe ein gutes Maß an innerer Ruhe. Gerade als Achtsamkeitslehrer weiß ich, dass der Weg das Ziel ist.
Poimann: Zum einen haben sich meine Eltern mit östlichen Weisheiten beschäftigt. Zum anderen hatte ich früh eine Faszination für Kampfkunst. Von meiner Mutter kenne ich die Anekdote, dass ich sie als Fünfjähriger gefragt habe, wann ich denn ins Shaolin Kloster dürfte. In der Kampfkunst ist Bewusstsein ein essenzieller Teil, der auch etwas Weiches hat. Allerdings wird das Weiche dort nicht mit Schwäche gleichsetzt, wie wir das gerne in unserer westlichen Welt tun. Dazu kam, dass ich im Alter zwischen elf und 18 teilweise acht, neun Sportarten gleichzeitig betrieben habe. Die Verknüpfung von Sport und Mindfulness fand ich spannend.
Poimann: Die Entwicklung nimmt Fahrt auf, vor allem im Fußball. Andere Sportarten sind bei der Integration von Psychologie deutlich voraus.
Poimann: Die drei Grundbausteine sind klassisches Coaching und Persönlichkeitsentwicklung, Bewusstseins- und Fokustraining, Erholung und Entspannung. Individuell und in der Gruppe.
Poimann: Der langfristige Ansatz der Persönlichkeitsentwicklung hat sich im Sport deswegen bewährt, weil in hohen Drucksituationen mentale Tricks selten helfen. Da kommt die Persönlichkeit zum Tragen. Konkret geht es da vor allem um drei Säulen: Ressourcen erkennen und aktivieren, Stärken identifizieren und herausarbeiten sowie Limitationen aufdecken und beseitigen.
Poimann: Eine klassische Übung in Gruppen, die gerade für Männer, die sich selten Komplimente machen, gar nicht so einfach ist, geht so: Alle sitzen im Kreis, jeder kriegt einen Zettel, schreibt oben seinen Namen drauf und reicht ihn an den Nebenmann. Ab da schreibt jeder eine Stärke zu dem Namen auf dem Zettel, faltet ihn, so dass andere nicht abschauen können, und gibt ihn weiter reihum. Am Ende erhält jeder eine Übersicht mit Eigenschaften, die andere an ihm als Stärken wahrnehmen. Das gibt Selbstvertrauen - eine wichtige Ressource.
Poimann: Entscheidende Ressourcen auch im Profifußball sind soziale: familiärer Rückhalt, eine gute Partnerschaft, Freunde von früher - also verlässliche Vertraute. Häufig Personen, die den Menschen noch kennen, bevor er die Rolle des Profis hatte. Ressourcenaktivierung kommt oft bei verletzten Spielern und Spielerinnen zum Tragen. Da geht es auch um die Frage: Hat jemand ein anderes Hobby außer den Sport? Die Antwort im Fußball ist häufig...
Poimann: Richtig. Aber das kann die Chance eröffnen, etwas Neues an sich zu entdecken. Es gibt ein Interview von Gianluigi Buffon, in dem er beschreibt, wie er in einer Depression Kunst für sich entdeckt hat. Eine hilfreiche Übung ist es, eine Liste zu erstellen mit Dingen, die einem Energie geben und nehmen.
Poimann: Neben dem Umgang mit Emotionen geht es darum, den richtigen Fokus für Training und Wettkampf zu finden. Einer der effektivsten Wege ist die Meditation. Da gibt es zwei Wege. Zum einen die Konzentration auf eine Sache - der Klassiker ist der Atem - und dabei zu bemerken, dass man abschweift und wieder zum Objekt der Konzentration zurückzukehren. Zum anderen offenes Gewahrsein. Dabei wird alles, was in den Sinn kommt, ungefiltert und unbewertet wahrgenommen. Dieses Training ist enorm wichtig, denn wir sind ja mittlerweile meist in einem Zwischenrauschen, nie konzentriert und nie entspannt, sondern höchstens kurzfristig abgelenkt durch Zocken, Netflix oder Substanzen. Also meist im Autopilotenmodus. Es ist erschreckend, dass Studien zeigen, dass wir langsam auf die Aufmerksamkeitsspanne des Goldfischs kommen.
Poimann: An Reizüberflutung, Multitasking und Fear of missing out. Dadurch ist unser Gehirn ständig überbelastet.
Poimann: Nummer eins: Atemtechniken. Außerdem progressive Muskelentspannung, Autosuggestion, aber auch binaurale Klänge oder Teile des Yoga und Qui Gong.
Poimann: Ich versuche, jeden da abzuholen, wo er oder sie steht. Denn nur da kann Veränderung anfangen. Mit dem einen komme ich über Kampfsport ins Gespräch, mit der anderen über Musik oder Gaming.
Poimann: Ich denke ja, da vor allem das Umfeld prägt. Jedoch habe ich einige "Talente" scheitern sehen, weil sie die mentale Stabilität nicht hatten. Die Karrieren vieler Topathleten und Topathletinnen zeigen, dass Psychologie im Spitzensport langfristig ein entscheidender Faktor ist. Vom vielfachen Surf-Weltmeister Kelly Slater und vom 23-maligen Schwimm-Olympiasieger Michael Phelps ist bekannt, dass sie Visualisierung und Wettkampfroutinen umsetzen. Die Basketball-Legenden Kobe Bryant oder Michael Jordan nutzten Mindfulness und Meditation, auch die Fußball-Größen Erling Haaland und Ronaldo tun dies. Tom Brady, ein Mentalitätsmonster im American Football, arbeitet schon ganz lange mit einem Psychologen, und auch die All Blacks, die neuseeländische Rugby-Nationalmannschaft, sind ein gelebter Beweis.
Poimann: Auf jeden Fall! Es gibt diese extreme Identifikation von Fans mit Athleten und Athletinnen und dadurch auch das extreme Abladen von Gefühlen auf sie. Es geht aber nicht nur um Soziale Medien, sondern um die Kombination aus öffentlicher Wahrnehmung und enorm viel Geld. Profisportler und Profisportlerinnen sind ja längst auch Marketingobjekte.
Poimann: Einerseits schon, vor allem in Krisen. Aber das Thema wird noch immer ähnlich tabuisiert wie Homosexualität. Es hilft sehr, wenn Sportler wie Gianluigi Buffon oder Michael Phelps darüber sprechen. Andererseits haben Athleten und Athletinnen auch einiges, was ihrer psychischen Gesundheit zuträglich ist: Sie bewegen sich viel, sie ernähren sich gut, und sie hatten schon viele Positiverlebnisse. Letztlich gibt es vor allem zwei Typen, die überhaupt ganz oben ankommen im Profisport.
Poimann: Die einen, die aus subjektiv miserablen Verhältnissen stammen und sich davon befreien - Typ Kämpfer und Überlebende.
Poimann: Cristiano Ronaldo genauso. Die anderen sind häufig in einem eher sicheren Umfeld aufgewachsenen und ihrer Leidenschaft gefolgt. Bei Philipp Lahm kann ich mir das vorstellen. Solche Typen haben meist viele Ressourcen und sind daher oft weniger anfällig für psychische Erkrankungen.
Poimann: Ich tue mir etwas schwer mit der sehr breiten Verwendung des Begriffs Resilienz.
Poimann: Weil sein Ursprung unter anderem auf verwahrloste Waisenkinder zurückgeht. Eine Studie ging der Frage nach, warum manche Waisenkinder, die unter schlimmen menschlichen Umständen mit Misshandlungen aufwuchsen, nicht psychisch krank wurden.
Poimann: Ein Grund war: Diese Kinder hatten eine enge Bezugsperson. Das ist mit der wichtigste Resilienzfaktor. In diesem Verständnis von Resilienz können Profisportler und -sportlerinnen manchmal Probleme bekommen, denn eher verlieren sie während ihrer Karrieren echte Bezugspersonen als dass sie welche dazugewinnen. Wenn wir Resilienz aber als mentale Widerstandsfähigkeit verstehen, dann sind Spitzensportler und -sportlerinnen wohl resilienter, da sie sich viel außerhalb ihrer Komfortzonen bewegen und lernen, nach Rückschlägen wieder aufzustehen.