Im Nachwuchs des SC Bad Kissingen startete Martin Oertel seine Eishockeykarriere, die ihn durch ganz Deutschland, kurzzeitig nach Kanada, von der Ober- bis in die Bezirksliga führte. Gelernt hat der gebürtige Bayreuther bei seinen zahlreichen Stationen vieles, bewahrt hat er sich vor allem eines: klare Kante zeigen. Ein Gespräch über Narben, Nachwuchsarbeit und Neuerungen auf den bayerischen Eisflächen.
Martin Oertel: Nicht ganz, die beiden Schneidezähne waren abgebrochen und mussten wieder hingeklebt werden. Narben sind es auch einige, das stimmt. Stirn, Augenbraue, Lippe. Meistens kommt das von Schlägern oder Checks in das Gesicht - schöner macht der Sport jedenfalls nicht. Von schlimmen Verletzungen bin ich aber bis auf einen Hand- und einen Knöchelbruch verschont geblieben.
Oertel: Das stimmt. Extrem war, als ich in Wedemark bei Hannover gespielt und in Würzburg studiert habe. Das ging aber auch nur, weil die Zugverbindung unglaublich gut war - die Fahrt hat zwei Stunden gedauert. Für zwei Tage war ich dann in Würzburg, 12 Stunden Uni am Stück, dann ging es wieder in den Norden.
Oertel: Ich spiele im Herrenbereich seit ich 15 bin, das ist eine lange Zeit. Außerdem habe ich fünf, sechs Insolvenzen mitgemacht und musste deshalb wechseln. Bad Kissingen ist für mich Heimat, da kenne ich jeden Baum und jeden Strauch. Auch zu Haßfurt habe ich eine extrem emotionale Verbindung. Ich habe für beide Vereine gespielt, für den ERC und den ESC. Aber unwohl fühle ich mich nirgendwo.
Oertel: Ich habe von dem Rückzug der Wölfe nach dem Training in der Kabine erfahren, ich war total geschockt. Dass es Probleme gibt, war bekannt - aber ich habe immer gehofft, dass sich eine Lösung findet. Leider sind da einige Knallköpfe aneinander geraten, einer sturer als der andere. Es wird weitergehen, die Frage ist nur wie.
Oertel: Besonders Insolvenzen sind hässlich, das habe ich 2004 in Haßfurt mitgemacht. Ich war noch Schüler, Eishockey war für mich ein nettes Zubrot. Die anderen haben Pizza ausgefahren, ich bin aufs Eis. Deshalb hat mich das nicht so hart getroffen wie die Profis, die mit dem Sport die Familie ernähren mussten. Ich weiß nicht, was die Kissinger jetzt machen. Vermutlich muss sich der Verein auflösen, neu gründen und in der Bezirksliga starten.
Oertel: Der Aufwand war ein gewichtiger Grund. Zwei Spiele am Wochenende zu stemmen, das wurde durch meinen Beruf als Lehrer immer schwieriger. Außerdem kenne ich Oli (Oliver Lang ist Vorstandsvorsitzender des ESV, Anm. d. Redaktion) schon ewig. Als ich noch studiert habe, konnte ich hier immer mittrainieren.
Oertel: Mein schönstes Erlebnis hatte ich in Haßfurt, als wir es als Meister der Oberliga Südost in die Play-offs geschafft haben. Das war in der Saison 2002/2003. Wir waren eine blutjunge Mannschaft, gespickt mit No-Names. Eine irre Zeit. Wir sind Anfang August aufs Eis und bis ins Halbfinale gekommen, haben also bis in den April gespielt (Im Viertelfinale bezwangen die "Sharks" den EV Füssen, im Halbfinale war gegen die Dresdner Eislöwen Schluss). Draußen hatte es schon 25 Grad.
Oertel: Das Niveau ist gewaltig gestiegen. Vor 20 Jahren war die Bayernliga eine reine Hobbyliga. Heute hast du selbst ganz unten in der Bezirksliga richtig gute Spieler, das Niveau kommt dem der damaligen Bayernliga nahe - das sieht man auch an den Vereinen, die dort spielen. Inzwischen gibt es selbst in der Bayernliga Halb- und Vollprofis. Das wäre bei den großen Eishockeynationen unvorstellbar.
Oertel: Das kommt darauf an. Was in der Landesliga passiert, kann nicht gut sein. Wenn die eine Mannschaft mit acht, die andere mit sieben Ausländern aufläuft, dann stehen in der fünften Liga 15 Ausländer auf dem Eis. Beim Fußball würden sie dir dafür den Hals umdrehen. Wenn Würzburg gegen Sand spielt, und dort mehr Ausländer auf dem Platz stehen würden als bei Bayern gegen Dortmund, dann würde es ganz schön scheppern. Im Eishockey wird das akzeptiert.
Oertel: Nein, da habe ich überhaupt kein Verständnis. Solche Jungs wie Romans (Nikitins, Spieler des ESV Würzburg, Anm. d. Redaktion), die seit sieben, acht Jahren hier sind, die Kinder hier zur Schule gehen, die Familie hier bleiben will - da können meinetwegen fünf Romans in der Mannschaft spielen. Aber dass ständig Eishockeyspieler aus dem Ausland im besten Alter zufällig einen Arbeitsplatz in der Region finden, ausgerechnet bei den Teams, bei denen der Nachwuchs fehlt - das ist mir zu viel Zufall.
Oertel: Das mag sein. Aber wenn ich mir die Spiele anschaue, sind es immer die transferkartenpflichtigen Spieler, die das Ding reißen. Das ist fatal. Es ist ja auch ein Prozess.
Oertel: Diese Jungs sind vielleicht drei, vier Jahre beim Verein. Der Nachwuchs bekommt das mit und denkt sich dann, dass es eh keine Chance gibt, in die erste Mannschaft zu kommen. Und da reden wir von der fünften Liga, nicht von der DEL. Es geht ja auch um die Talente, die mit 15 Jahren zu großen Vereine wechseln und vielleicht nach zehn Jahren wieder zurückkommen.
Oertel: Genau. Da siehst du ja, dass es geht. Du kannst auch in Haßfurt oder Schweinfurt groß herauskommen. Diese Erkenntnis, dass der Sprung möglich ist, ist brutal wichtig für junge Spieler. Wenn das wegfällt, hast du ein Riesenproblem.
Oertel: Absolut, es ist ein gewaltiger Rückschlag. Zwischen deutschen und ausländischen Spielern wird mit ungleichen Maßen gemessen. Das ist unfair, denn das sind letztendlich nichts anderes als Profis. Die machen nichts anderes. Die stehen um 12 Uhr auf, bereiten sich auf das Training um 18 Uhr vor. Das war's. Ich hatte letztes Jahr freitags um 13 Uhr Schulschluss. Bis ich die Turnhalle abgeschlossen und von Kissingen nach Schweinfurt gefahren bin, war es 14 Uhr. Um 19.30 Uhr stand ich in Füssen für den ERV auf dem Eis. Wie das funktioniert hat, ist mir heute ehrlich gesagt schleierhaft. Aber das hat ein ausländischer Profi nicht.
Oertel: Zahlen zu nennen ist schwierig, darüber redet keiner. Aber es gibt in jeder Bayernligamannschaft drei, vier Spieler, die richtig Asche machen. Für die das eigentlich ein Job ist. Und ganz viele, die für einen Obulus spielen.
Oertel: Ja. Aber das wird akzeptiert, die Fans jubeln diesen Spielern genauso zu. Zwei Ausländer, das ist absolut in Ordnung, von denen können Nachwuchsspieler viel lernen. Aber wenn es immer mehr wird, wenn dazu noch dubiose Einbürgerungen kommen, wird es gefährlich.
Oertel: Mit zwei Transferkarten hast du noch Platz für 17,18 Spieler. Wenn davon der Großteil den deutschen Pass hat, aber nicht in Deutschland das Eishockeyspielen gelernt hat und kein Wort Deutsch spricht, dann ist das in meinen Augen nicht gut für unser Eishockey. Ein System, das Ausbildung im eigenen Verein belohnt, wäre sinnvoller als das aktuelle.
Oertel: Das würde ich so nicht sagen. Gerade im schwäbischen Bereich, in Buchloe, Landsberg, Königsbrunn, da gibt es die gleichen Probleme. Die kämpfen auch um jedes Kind. Etwas mehr Möglichkeiten gibt es aufgrund der höheren Vereinsdichte zwar schon, aber im Grunde ist es ähnlich.
Oertel: Das wäre eine Möglichkeit, aber die Organisation ist schwierig. Wichtiger sind gut ausgebildete Trainer, die entsprechend entschädigt werden. Das ist ein Knochenjob, der aber Früchte trägt. Die besten Trainer gehören in den Nachwuchs, das macht der Fußball vor.
Oertel: Eiszeit, Eiszeit, Eiszeit. Junge Spieler brauchen am besten drei Mal pro Woche Training, und ansonsten so viele Spiele wie möglich. In Kanada haben 12-Jährige teilweise 40-50 Spiele in der Saison, bei uns teilweise gerade mal zehn. Das merkst du. Deutsche Spieler sind von ihren Fähigkeiten teilweise besser ausgebildet als kanadische, aber ihnen fehlt die Spielintelligenz. Eishockey musst du, anders als im Fußball, spielen - und nicht trainieren.
Oertel: Haßfurt und Schweinfurt machen wirklich gute Nachwuchsarbeit. Auch hier hinter uns (Oertel deutet auf die Eisfläche des ESV, wo Thomas Berndaner das Jugendtraining leitet), das ist Nachwuchsarbeit. Nur honoriert wird das erst einmal nicht. Es ist ja reine Mathematik: Nachwuchsarbeit kostet viel Geld. Wenn ich mir die 50.000-60.000 Euro dafür spare und das in fünf, sechs Vollprofis investiere - dann ist es nicht besonders schwierig, in der Landes- oder Bayernliga zu spielen.
Oertel: Unsere Fankultur ist eine Macht, speziell hier bei uns. Derbys zwischen Haßfurt und Schweinfurt, so eine Stimmung habe ich in Kanada nie erlebt. Ich habe in Kassel und Frankfurt vor 6000 Leuten gespielt, aber die Derbys in Unterfranken haben schon gewaltig Zunder. Wenn das Haßfurter Stadion oder der Schweinfurter Icedome voll ist - dann herrscht da bessere Stimmung als bei einem DEL-Spiel in der Kölner Arena.