Der Schweinfurter ist erst 18 Jahre alt und doch schon schwedischer Eishockey-Meister mit den Växjö Lakers: Dominik Bokk wurde vor der letzten Saison von den Südschweden verpflichtet für die U18 und U20, schaffte aber den Sprung ins Profiteam und kam bereits auf 15 Einsätze und ein Tor. Nun wurde der Stürmer von den St. Louis Blues für die NHL, die Nordamerikanische Eishockey-Liga gedraftet – und zwar an Nummer 25 der ersten Runde. Das heißt, der Klub sicherte sich die Rechte an dem Talent, lässt es aber noch ein weiteres Jahr in Växjö Erfahrung sammeln, ehe es endgültig in die USA geht. Vor Bokk wurden mit Orest Romashyna (1963/Nr. 3), Olaf Kölzig (1989/19), dem jetzigen Bundestrainer Marco Sturm (1996/ 21), Marcel Goc (2010/20) und Leon Draisaitl (2014/3) erst fünf Deutsche in der ersten Draft-Runde gezogen.
Ausgebildet wurde Bokk, der als eines der größten Talente des deutschen Eishockey-Sports gilt, beim ERV Schweinfurt, wo ihn der russische Trainer Juri Peregudov schon früh gefördert hat. Mit 14 Jahren zog es ihn dann zu den Kölner Haien, wo er drei Jahre in der Jugend spielte.
Frage: Als 17-Jähriger nach Schweden gehen und ganz auf Profi-Eishockey setzen – klingt verrückt. Ein Jahr später ging der Traum weiter: für die NHL gedraftet von den St. Louis Blues. Aber: Wie hat denn der Plan B ausgeschaut?
Dominik Bokk: Es gab keinen. Ich wollte schon immer Eishockey spielen, um mein Geld zu verdienen. Ich wollte in der besten Liga der Welt spielen und habe alles dafür getan, damit der Traum in Erfüllung geht. Und es läuft aktuell alles so, wie ich es mir vorgestellt habe. Das funktioniert nur, wenn man immer fest daran glaubt.
Wann ist es Ihnen klar geworden, dass Sie Profi werden können?
Bokk: Schon als Kind. Ich wollte immer besser werden, in immer höheren Ligen und gegen bessere Leute spielen. Ich habe mit sechs Jahren beim ERV Schweinfurt angefangen. Schnell haben die Trainer mein Talent erkannt. Und dann spielte ich nicht nur in meiner jeweiligen Altersklasse, sondern immer auch zusätzlich bei den Älteren. Vor allem Juri Peregudov hat mich sehr gefördert. Er war schon Trainer in Russland, kam 2000 über Sergej Waßmiller aus der ersten Mannschaft nach Schweinfurt. Er hat mit mir und noch vier, fünf Anderen, die das wollten, zusätzliche Einheiten auf dem Eis gemacht. Am Ende habe ich beim ERV schon jeden Tag trainiert und für zwei Mannschaften gespielt. Irgendwann hat sich das nicht mehr steigern lassen.
Da war der Absprung nur eine Frage der Zeit.
Bokk: Mit zwölf Jahren habe ich mir dann zum ersten Mal Gedanken gemacht, wegzugehen, weil Schweinfurt in keiner hohen Liga gespielt hat. Deswegen war ich bei Iserlohn zum Teil auf Turnieren als Gastspieler dabei. Ich war auch in der Bayernauswahl und da schauen sich die Trainer der guten Klubs um. Ich hatte viele Angebote aus ganz Deutschland und bin schließlich mit 14 zu den Kölner Haien, weil meinen Eltern und mir das Gesamtpaket aus Sport, Schule und Betreuung am besten gefallen hat.
Mit 14. Einfach so. Ohne die Eltern.
Bokk: Ein bisschen Unterstützung hatte ich ja, mein Schweinfurter Mannschaftskollege Dennis Lobach ist mit mir zusammen nach Köln. Wir sind im Internat in die gleiche Klasse gegangen, haben uns das Zimmer geteilt. Dennis ist dann zwar nach einem Jahr gegangen, aber da war ich dann schon drin und hatte Freunde. Und meine Eltern waren ja auch bei fast jedem Spiel da, sie haben mich unterstützt. Aber wenn ich das Ziel habe, etwas zu erreichen, dann darf ich nicht traurig sein, weil die Eltern nicht immer da sind. Wenn du deswegen heulst, wird es nichts werden mit dem Traum vom Eishockey-Profi. Du musst stark bleiben.
Nie Heimweh gehabt?
Bokk: Nein. Und wenn ich mal daheim bin, dann mache ich hier eh nicht viel, ich habe kaum Freunde hier. Eine Woche Faulenzen, dann ist es auch wieder gut. Dann will ich wieder arbeiten, trainieren, Eishockey spielen.
Und wenn es sein muss auch ganz weit weg von daheim.
Bokk: Ja, nach drei Jahren in Köln wollte ich schon nach Kanada. Es gab da auch ein Team, das mich wollte, es war eigentlich alles, auch mit den Eltern, abgesprochen. Das Team sollte mich bei den Drafts ziehen. Doch ich wurde von einem anderen Team schon vorher gezogen, ein Team, mit dem ich noch nie Kontakt gehabt hatte. Ich habe den Draft live auf dem Handy verfolgt und dann sofort mit meinem Agenten darüber gesprochen und schließlich erst einmal ein paar Nächte darüber geschlafen. Es war der Klub, der auch Leon Draisaitl verpflichtet hatte. Wir haben uns aber dagegen entschieden, weil es die falsche Liga war.
Die falsche Liga?
Bokk: Es gibt in Kanada die Canadian Hockey League mit drei Bezirken. Die Ligen in Ontario, Quebec und die Western League. In Letztere wurde ich gedraftet. Doch erstens ist es sportlich nicht die stärkste, zweitens hätte es dort viele sehr weite Auswärtsfahrten gegeben, man hätte nicht so viel trainieren und sich weiterentwickeln können. Und dann brachte mein Agent als Alternative Schweden ins Spiel. Dort ist das Ausbildungskonzept für den Nachwuchs sehr gut. Uns war schnell klar, dass dies der bessere Weg ist. Und bei den Växjö Lakers war kurz vor Saisonbeginn auch tatsächlich ein Platz frei. Ich habe dann gleich für die U18 und die U20 gespielt.
Offenbar sehr überzeugend. Denn schon nach drei Monaten rückten Sie schon zu den Profis des schwedischen Meisters auf.
Bokk: So überraschend war das für mich nicht, es war von Anfang an mein Ziel. Die Schweden sind bekannt dafür, dass sie die Talente sich bei den Profis beweisen lassen. Ich hatte auch etwas Glück: Die erste Mannschaft hatte einige Verletzte und ich habe meine Chance genutzt, habe 15 Mal gespielt, zum ersten Mal in Lulea, beim nördlichsten SHL-Klub, das ist 1300 Kilometer nördlich von Växjö, weiter weg als Schweinfurt. Und ich habe auch ein Tor geschossen, am 3. November bei Rögle BK – es war der Siegtreffer, ein cooles Erlebnis. Aber es ist nicht so, dass ich das jetzt ewig abfeiere, ich will schließlich einmal in der NHL Tore schießen.
Ein Traum, der immer realistischer wird. Sie wurden gedraftet von den St. Louis Blues. Wieder alles geplant?
Bokk: Na, ja. So einfach ist das nicht. Wir eingeladenen Spieler waren zwei Wochen vor dem Draft in Buffalo, da waren 31 Teams da, mit 28 davon hatte ich Interviews. Und es gab physische Tests. Ich hatte ein gutes Gefühl bei mehreren Teams. Einen Tag vor den Drafts, wir waren wieder zu Hause, habe ich noch mit Chicago und St. Louis per Skype gesprochen, beziehungsweise ein sportpsychologischen Test gemacht. Vor allem die Verantwortlichen von St. Louis hat gesagt, dass sie mich draften wollen. Durch einen Tausch mit Toronto hatte der Klub dann die Nummer 25 beim Ziehen, ich hatte aber gedacht, dass ich schon vor Nummer 20 weg bin, weil ich da bei anderen Teams auch ein gutes Gefühl hatte. Doch dann kamen immer andere Namen und Namen und Namen. Ich wusste nicht was los war. Dann war mit Nummer 25 Toronto dran, die haben dann gesagt, dass sie mit St. Louis ihren „Trade“ tauschen – und dann wusste ich, es ist mit St. Louis das Team dran, das mich nimmt. Und so war es dann auch. Also war es quasi einen Tag vorher geplant.
Sind die St. Louis Blues Ihre Traumadresse?
Bokk: Nun, sportlich waren die letzte Saison nicht so stark, hatten es nicht in die Play-Offs geschafft. Aber jetzt hat der Klub gute Spieler bekommen. Ich meine da jetzt nicht mich, sondern viele arrivierte Spieler.
Die NHL ruft. Aber bei den Växjö Lakers hat man Ihnen für das nächste Jahr einen Stammplatz im SHL-Team, das seinen Titel hatte verteidigen können, in Aussicht gestellt. Schwere Entscheidung, oder?
Bokk: Nein. Dass ich gedraftet wurde, heißt nicht, dass ich sofort in die USA gehe. Es ist die logische Konsequenz meiner Entwicklung, dass ich zunächst noch ein Jahr in Schweden spiele. Ich muss noch an ein paar Sachen arbeiten, Erfahrung sammeln und körperlich Fortschritte machen. Auch die Verantwortlichen in St. Louis wissen, was ich noch brauche. Und in Växjö stehen die Chancen sehr gut für mich, nachdem einige Top-Stürmer in die NHL oder nach Russland gegangen sind. Der Trainer baut auf mich, erwartet viel von mir. Ich werde da vermutlich eine große Rolle spielen als so junger Spieler. Coole Sache, wir haben 5000 Zuschauer im Schnitt. Und die schwedische Liga ist eine technisch versierte, entsprechend wird man da sehr technisch ausgebildet. In Deutschland ist die DEL im Schnitt älter und es wird härter gespielt.
Apropos Deutschland. Die A-Nationalmannschaft dürfte eines der nächsten Themen sein.
Bokk: Ja. Ich bin ja seit der U 16 in allen deutschen Auswahlen gewesen. Aktuell spiele ich noch in der U-20-Nationalmannschaft. Mit der will ich im Winter zurück in die A-Gruppe aufsteigen, die B-WM findet in Füssen statt. Aber ich habe die A-Nationalmannschaft schon im Kopf. Ich kenne Marco Sturm, Marco kennt mich. Ich werde wohl schon diese Saison die Chance bekommen, in Freundschaftsturnieren eingesetzt zu werden.
Und dann irgendwann auch mal Olympia-Silber holen?
Bokk: Silber? Gold!
Bleibt bei solchen Zielen überhaupt noch der Blick in die Heimat zum ERV Schweinfurt?
Bokk: Eher nicht. Ich bin sehr dankbar für die damalige Jugendarbeit, gehe, wenn ich zu Hause bin, auch mal aufs Eis und besuche meine alten Trainer Juri Peregudov, Andreas Kleider, Eugen Pretzer und Stefan Hetzel, die mich unermüdlich gefördert haben. Oder ich unterhalte mich mit den Kindern, die da trainieren. Letztes Jahr habe ich mir sogar ein Spiel angeschaut. Aber ich bin zu weit weg inzwischen, um das sportliche Geschehen beim ERV wirklich zu verfolgen.
Was ist die Entry Draft?
Als Entry Draft (Nachwuchsrekrutierung) werden die vor allem in den nordamerikanischen Profisportligen wie der NHL (Eishockey), der NBA (Basketball), der NFL (American Football), der CFL (Canadian Football), der MLS (Fußball) und der MLB (Baseball) praktizierten Verfahren bezeichnet, mit denen sich die Klubs untereinander über die Rechte an Nachwuchsspielern einigen.
Während der Saison beobachten Talentsucher Spieler in Amerika und Europa. Diese erstellen Listen, in denen die Spieler nach deren Einschätzung gereiht sind. Die Listen haben für die wählenden Teams nur den Charakter einer Empfehlung, die Teams müssen sich bei der Auswahl nicht zwingend an die Reihung halten.
Da es in diesen Ligen keine Ab- und Aufsteiger gibt, dürfen die Teams, die sich nicht für die Play-Offs qualifizieren konnten, vor den anderen Teams wählen und haben somit bessere Chancen auf gute Nachwuchsspieler. Oft werden Draft Picks (Rekrutierungspositionen) schon vor dem Draft, zum Beispiel im Zuge von Spielertransfers, an andere Teams abgetreten.
Ein Verein, der einen Spieler gedraftet hat, besitzt die Rechte an ihm. Es ist dem Spieler nicht möglich, ohne Zustimmung seines Vereins für ein anderes Team in der Liga zu spielen. Der Verein hingegen ist nicht verpflichtet, den Spieler auch in der Liga einzusetzen. Oft spielen die Talente vorerst in Farmteams, wo sie ihre Fähigkeiten weiterentwickeln können und auf Abruf bereitstehen.