
100 Punkte in einem Pflichtspiel, davon 22 Dreier. 16 Vorlagen. Zwölf Rebounds. Plus-Minus-Wert von +168. Surreale Statistikwerte, von denen sicher manch ambitionierter Basketballer sein Leben lang vergeblich träumt. Dem in Diensten der Baskets Vilsbiburg stehenden US-Amerikaner Jonathan Braeger gelang diese im Fachjargon "Quadruple Double" genannte Utopie.
Liest man, ein Basketballspiel sei 209:39 – zur Halbzeit 94:11 – geendet, dann muss man davon ausgehen, dass es sich um Druckfehler handelt. Aber all das war Realität am Samstagabend im niederbayerischen Landkreis Landshut, wo die zweite Mannschaft von Basketball-Bundesligist s.Oliver Würzburg zum ersten Spiel in der Abstiegsrunde der Regionalliga Südost antreten musste. Was wie eine sportliche Sensation klingt, hatte nicht das Geringste mit Sport zu tun. Die Hintergründe einer Farce, in der es zwar mit Vilsbiburg einen wettbewerbstechnischen Sieger gab – aber vor allem zwei prominente Verlierer: das Fairplay und den (Basketball-)Sport.
Und da ist bislang noch gar keine Rede von der Gesundheit der Spieler.
Das gesamte kuriose Spiel im Stream
Die chronologischen Fakten: Die Würzburger beantragten am Mittwoch die Tauschung des Heimrechts für das samstägliche Regionalliga-Spiel oder eine frühere Ansetzung wegen einer für Sonntag angesetzten Partie der Nachwuchsmannschaft in der NBBL. Die Baskets haben einige Spieler, die in beiden Mannschaften auflaufen. Vilsbiburg lehnte die Verlegung ab. Am Donnerstag wollten die Würzburger die Partie erneut verschieben, diesmal mit der Begründung eines Krankheitsausbruchs mit grippeähnlichen Symptomen in ihren beiden Teams. Die Jugendbegegnung wurde abgesagt, weil Gegner Crailsheim zustimmte. Die Regionalliga-Partie musste stattfinden, weil Vilsbiburg eine Verlegung abermals ablehnte, obwohl sie von den Baskets die Information hatten, dass dann auch Spieler mit Symptomen auf dem Parkett sein werden. Die Baskets konnten bis dahin keinen positiven Corona-Test vorweisen.
Würzburger Basketballer reisen zu fünft an
Also reisten die Unterfranken mit fünf Spielern und Trainer Oliver Elling nach Niederbayern. Drei Spieler hatten Krankheitssymptome wie Halsschmerzen, Kopfschmerzen, Fieber. Zwei waren symptomfrei. Tatsache ist auch: Ernsthaft Sport zu treiben mit derartigen Anzeichen, ist gesundheitsgefährdend, völlig unabhängig von Corona.
Die Würzburger kamen kurz vor dem Sprungball in den Innenraum. Mit Mund-Naseschutz. So spazierten sie dann auch übers Feld. Wenn sie den Ball hatten, dribbelten sie meist, bis die Angriffsuhr abgelaufen war. Einer mit Fieber beging bereits im ersten Viertel absichtlich zwei unsportliche Fouls. Folge: Würzburg wanderte fortan zu viert übers Parkett. Im dritten Viertel gönnte sich der zweite Würzburger sein zweites Unsportliche. Die "Partie" ging mit drei gegen fünf ihrem armseligen Ende entgegen. Was die Hausherren noch immer nicht daran hinderte, recht aggressiv, auch mit Doppeln und Pressen zu verteidigen, obwohl sie keinen Gegner hatten, sondern Spieler, die aus freien Stücken in die Schlachtfestopfer-Rolle geschlüpft waren.
"Es hätte so viele Möglichkeiten gegeben, dieses Spiel für beide Seiten vernünftig über die Bühne zu bekommen", sagt Robert Bayerer am Sonntagnachmittag am Telefon. Der Spielleiter dieser Regionalliga Südost, der wegen Corona ausreichend mit Spielverlegungen zu kämpfen hatte, ist natürlich der Neutralität verpflichtet und auf Ausgleich bedacht. Sagt aber dennoch über den Samstagsirrsinn: "Das war ganz bestimmt keine Werbung für den Basketball." Er wünscht sich in solchen Fällen letztlich mehr Kooperation zwischen den Vereinen.
Weil die Baskets keinen positiven Corona-Test vorlegen konnten, konnte er das Spiel gar nicht verlegen, was er andernfalls sofort getan hätte: "Aber ,nur' die Begründing Krankheit erlaubt mir nicht einzugreifen." Offensichtlich völlig unabhängig davon, wie viele Spieler wirklich krank sind. Ein Statut, das offenbar verhindern soll, dass Spiele nicht ausgetragen werden, wenn es einer Mannschaft gerade mal nicht so in den Kram passt.
In der Basketball-Regionalliga geht es zumindest teilweise um semi-professionellen Sport. Warum sind die Würzburger unter diesen Voraussetzungen überhaupt angetreten? Bayerer erklärt die Konsequenzen einer Verweigerung: Das Wichtigste für den Klub ist der laut Statuten zwingend vorgeschriebene Minuspunkt für diese Partie. In einer Sportart, in der es kein Unentschieden gibt, sondern ausschließlich Sieg oder Niederlage, also zwei Punkte oder null, ist somit natürlich auch jeglicher direkte Vergleich obsolet. Es sei denn, der Konkurrent tritt auch mal nicht an.
Zweite mögliche Folge eines Nichtantritts: Geldstrafe. Laut Satzung 200 bis 800 Euro. "Da habe ich Spielraum", sagt Bayerer: "Übers Geld kann man immer sprechen, je nach den Umständen. Über den Minuspunkt nicht."
Recherchiert man mal ein wenig genauer, kommt man auch darauf, dass Vilsbiburg am grünen Tisch einen Sieg mal durchgedrückt hat, weil Gegner Bad Aibling wegen der hohen Inzidenzwerte in Vilsbiburg nicht antreten wollte, obwohl sie selbst Corona-verschont waren. Es folgte keine Geldstrafe.
Die Antwort aus Vilsbiburg
Die Baskets Vilsbiburg erscheinen als topgesetztes Team der nach dem freiwilligen Rückzug von Bad Aibling nur noch sieben Teams umfassenden Abstiegsrunde, außerhalb jeglicher Gefahr, die Klasse verlassen zu müssen. Maximal einer der sieben muss runter. Die Niederbayern hatten am Samstag selbst sieben Ausfälle und zeitgleich mit der zweiten Mannschaft und der U18 spielen müssen. „Wir haben es geschafft, in allen Spielen ein Team aufzubieten, das spielen will. Wir waren fest davon überzeugt, wenn wir das als kleiner Verein schaffen, bekommt es ein Bundesligaprogramm erst recht hin“, wird Thomas Winter, Vorstand Spielbetrieb, auf der Klub-Homepage zitiert.
Wie dem auch sei: Nach allem, was man so hört, sorgte dieses "Spiel" inzwischen nicht nur in der Regionalliga für böses Blut - sondern auch deutschlandweit für Aufsehen.
Mitarbeit: Tim Eisenberger