Soll man den Fußball-Trainer Michael Schiele in einem Wort beschreiben, das Wort authentisch wäre wohl am passendsten. Echt Schiele ist nämlich auch nach einem Jahr als Drittliga-Chefcoach bei den Würzburger Kickers seine echte Begeisterung, sein wahrhaftes Staunen über die Besonderheiten seines Jobs. Wenn Schiele beispielsweise an das 1:1 am vergangenen Montag gegen den TSV 1860 München im ausverkauften Stadion an der Grünwald Straße zurückdenkt, dann weiten sich seine Augen, er lehnt sich in seinem Stuhl zurück und scheint den Augenblick noch ein zweites Mal zu genießen: „Während der Arbeit, beim Coachen bekommst du das Drumherum eigentlich gar nicht richtig mit. Aber dann schaust du zwischendurch doch mal hoch auf die Tribüne, siehst die ganzen Zuschauer und denkst: Wow!“
Das freundliche Gesicht der Kickers. Ein Kommentar zur Vertragsverlängerung mit Michael Schiele
In dieser Woche hat der 40-jährige Schwabe bei den Kickers einen neuen Vertrag bis Sommer 2020 inklusive Option für ein weiteres Jahr unterzeichnet. Man nimmt es Schiele ab, dass der Job am Dallenberg für ihn eine Herzensangelegenheit geworden ist. „Ich fühle mich hier sehr wohl“, sagt er. Er ist kein Dampfplauderer. Als es später im Gespräch darum geht, ob er von der Entwicklung seines Teams überrascht ist, sagt er: „Überrascht ist so ein Wort, das passt nicht. Wenn ich meine Mannschaft jetzt spielen sehe, macht mich das fröhlich.“
Die – nach Maßstäben des Fußball-Geschäfts – räumliche Nähe zu seiner Heimat auf der Schwäbischen Alb ist ihm wichtig. Seine Familie, die Frau und die beiden jungen Söhne, wohnen dort nach wie vor. Wirklich abschalten ist für ihn aber auch dort schwierig. Am trainingsfreien Einheits-Feiertag führte die Familien-Wanderung am Ende zu jenem Sportplatz, auf dem die SG Sonnenhof Großaspach gerade im Landespokal-Wettbewerb spielte. Die Großaspacher verloren gegen einen Verbandsligisten 2:3, und Schiele sammelte wertvolle Erkenntnisse für die Partie am nächsten Montag (19 Uhr, Flyeralarm Arena).
Die Arbeitsteilung bei den Rothosen gefällt Schiele. Ein Sportdirektor, der ihm in die Entscheidungen hineinredet - damit würde er sich schwer tun. Der meist freundliche Kickers-Coach weiß – da sollte man sich nicht täuschen lassen – sehr genau, was er will.
Vor dem Gastspiel in Würzburg: Großaspach trennt sich von Trainer
Das Treffen in der Kickers-Gaststätte war schon etwas länger ausgemacht. Es sollte um seine Bilanz nach einem Jahr als Cheftrainer am Dallenberg gehen. Am 2. Oktober 2017 hatte der Verein die Reißleine gezogen und sich zwei Tage nach der 0:2-Heimniederlage gegen Unterhaching von Trainer Stephan Schmidt getrennt. Schiele rückte in die erste Reihe, und viele fragten sich, wer das denn sei. Schließlich war Schiele gerade erst ein paar Monate zuvor als Assistenzcoach angeworben worden. Als Co-Trainer war er zuvor in der zweiten Bundesliga tätig gewesen, beim VfR Aalen und bei der SpVgg Greuther Fürth. Die Lizenz als Fußballlehrer hat er seit Frühjahr 2017 in der Tasche. Und dieser Trainer-Frischling sollte nun also einem total verunsicherten Team Beine machen. Ein Problem damit, habe er nie gehabt. „Der Respekt war von Anfang an da“, sagt Schiele. Der Respekt dürfte gewachsen sein, weil der Trainer inzwischen bewiesen hat, was er kann. „Perfektion gibt es nie. Aber wir kommen schon oft nah dahin, wie ich mir den Fußball vorstelle“, sagt er.
Dahinter steckt auch akribische Arbeit. Schiele ist ein Taktik-Tüftler. Wenn er erklärt, warum er nach drei Auftakt-Niederlagen in dieser Spielzeit von einer Dreier-Abwehr auf eine Viererkette umgestellt hat, hört sich das so an: „Wir wollten mehr Personal zwischen den Linien haben und über außen mehr Druck aufbauen.“ Für die Partie am vergangenen Montag hatte er sogar zwei „Matchpläne“ ausgearbeitet, um darauf reagieren zu können, mit welcher taktischen Formation die Löwen agieren. „Man muss manchmal auch aufpassen, die Spieler nicht zu überfrachten“, sagt Schiele: „Das ist mir schon passiert. Danach habe ich mich auch öffentlich entschuldigt.“
Nach dem vermurksten Saisonstart mit drei Niederlagen habe er sehr gegrübelt: „Da denkt man schon: Mensch, warum kriegen wir das nicht hin?“ Dass er daraufhin sein Team in einer anderen Formation auflaufen ließ und nicht wie viele Kollegen sein Konzept stur durchdrücken wollte, ist für Schiele völlig normal: „Es wäre schlimm, wenn ich so verbohrt wäre, nichts zu ändern, nur weil etwas einmal gut war." Die Umstellungen bescherten Erfolg, es folgten bis heute sieben Ligaspiele ohne Niederlage, und Schiele stellt optimistisch fest: „Manche meiner Jungs wissen gar nicht, wie gut sie sind.“
Folgt die Frage, was noch drin ist für die Rothosen in dieser Saison? Schiele, der als Spieler die Mehrzahl seiner Einsätze für den VfR Aalen hatte, seine beiden einzigen Zweitliga-Spiele im Trikot des FC Schweinfurt 05 absolvierte, gibt sich in Sachen Saisonziel zurückhaltend und spricht von einem einstelligen Tabellenplatz, der den Kickers gut zu Gesicht stünde. Wenn die Rothosen freilich so weitermachen wie zuletzt, ist das untertrieben.
Letztlich, sagt Schiele, komme es darauf an, ehrlich zu sein: „So bin ich einfach. Manchmal stelle ich mir nach Einzelgesprächen mit Spielern die Frage: Warum warst du jetzt so ehrlich? Vielleicht wird diese Ehrlichkeit auch einmal ausgenutzt. Aber am Ende, davon bin ich überzeugt, komme ich so weiter.“ Wenn es ans Eingemachte geht, könne er auch sehr konsequent sein. Kann man ihm abnehmen. Das werden auch die Spieler erfahren, die er gerne behalten würde und die womöglich zögern, ihren Vertrag zu verlängern. In der Vorsaison etwa rückte Felix Müller, nachdem sein Wechsel nach Sandhausen festgestanden hatte, in die zweite Reihe.
Schiele wirkt zufrieden und im Reinen mit sich. Sein erstes Jahr als Cheftrainer war ein Erfolg für ihn. Und manchmal empfindet er es auch einfach als pure Freude, wenn er seine Mannschaft spielen sieht. Schiele lehnt sich zurück, erzählt von einer Szene vom Montag, die ihm im Gedächtnis haften geblieben ist: 1860 München ging in Führung. Die Kickers waren in Unterzahl. Hatten allen Grund, den Kopf hängen zu lassen. Aber sie hatten etwas anderes vor. Simon Skarlatidis schnappte sich beim Anstoß den Ball und dribbelte geradewegs in Richtung Münchner Tor. Schiele strahlt und sagt: „Das war echt geil."