
Soll man an dieser Stelle tatsächlich noch einmal all die Chancen aufzählen, die die Würzburger Kickers am Samstagnachmittag beim 0:0 gegen Viktoria Aschaffenburg liegen gelassen haben? Nein! Denn so ein Rückblick führt zu wenig, würde am Ende womöglich noch den Blick verstellen auf die schwierige Situation, in der sich der Klub neun Monate nach dem Elfmeter-Drama in Hannover und dem verpassten Drittliga-Aufstieg befindet.
Sorgloser Umgang mit Möglichkeiten
Letztlich ist die wiederholt mangelnde Chancenverwertung ja nur ein Symptom des großen Problems, das sich schon die gesamte Spielzeit bei den Rothosen beobachten lässt. Der teilweise sorglose Umgang mit den eigenen Möglichkeiten betrifft ja nicht nur die Treffsicherheit vor dem gegnerischen Tor.
Ganz allgemein war es bislang immer so, dass die Kickers dann, wenn die Chance da gewesen wäre, an die Tabellenspitze heranzurücken, neue Euphorie zu entfachen oder einfach einen kleinen Erfolgslauf zu starten, mit erwartbarer Regelmäßigkeit höchstselbst den nächsten Rückschlag fabrizierten. So wie auch am Samstag, als das torlose Remis nicht etwa das Produkt Aschaffenburger Abwehrstärke, sondern von Würzburger Sturmschwäche war.
Dabei haben sie bei den Kickers in den vergangenen Monaten doch schon einiges versucht: den Trainer und auch den Co-Trainer gewechselt, den Torwart mehrfach getauscht, das System umgestellt. Sie sind ins Trainingslager nach Mallorca geflogen, haben sich von vier erst im Sommer verpflichteten Spielern schon wieder getrennt, zwei Neuzugänge verpflichtet. Dass die im Winter zum Team gestoßenen Alexander Winkler in der Abwehr und Lado Akhalaia im Sturm gegen Aschaffenburg zu den Auffälligeren bei den Rothosen zählten, macht die Sache freilich auch nicht besser.

Das erhoffte Ergebnis will sich einfach nicht einstellen, und diese Saison könnte, wenn es so weitergeht, noch eine ganz zähe Angelegenheit werden. Wer soll sich denn bitte für die Spiele der Würzburger Berufskicker gegen zumeist Amateurteams interessieren, wenn es dabei für die Kickers rein gar nichts mehr zu gewinnen gibt. Auch die Toto-Pokal-Chance hatten die Kickers in dieser Saison ja frühzeitig und auch leichtfertig aufgegeben. Der Wettbewerb, so hieß es damals schon vor dem Ausscheiden gegen Drittligist Ingolstadt, sei in dieser Saison nicht so wichtig.
Nur ein Beispiel für die Herangehensweise in dieser Saison. Dass die Planungen durch die Aufstiegsspiele im Sommer erschwert worden waren, ist die eine Sache. Dass es strategisch letztlich trotzdem ein Fehler gewesen war, ausgerechnet in diese Saison, in der der bayerische Regionalliga-Meister direkt aufsteigt, mit einem hektisch zusammengestellten Kader gegangen zu sein, eine andere. All das sollte nun aber keine Rolle mehr spielen. Der Blick muss nach vorne gehen. Trainer Martin Lanig sprach am Samstag mal wieder von "einem Weg", auf dem man sich befinde: "Wir wissen, wo wir da stehen und können das Spiel entsprechend einordnen."
Führt der Weg in die richtige Richtung?
Das Publikum dürfte sich damit freilich schwertun. Denn ob der so oft zitierte Weg in die richtige Richtung weist, das ist längst nicht klar. Die Kickers müssen sofort die Weichen für die kommende Saison stellen. Dabei ist auch die Frage, wem sie den sportlichen Neuaufbau anvertrauen und welche Rolle Sportdirektor Sebastian Neumann in Zukunft spielt. Die Kluboberen scheinen sich auf Lanig als starken Mann festgelegt zu haben, er besitzt einen Vertrag über den Sommer hinaus.
Die Fans, die dem Klub nach dem Sturz in die Regionalliga auf bemerkenswerte Art und Weise die Stange gehalten haben, müssen spüren, dass es wieder etwas werden kann mit dem Drittliga-Fußball in Würzburg. Wenn nicht sofort, so doch mittelfristig und dauerhaft. Dafür steht jetzt auch Lanig in der Pflicht. Er wird sich nicht mehr auf körperliche Defizite aus der Vergangenheit berufen können. Nun ist es an ihm, mit dem Team zu beweisen, dass der von ihm eingeschlagene Weg zum Erfolg führen kann. Dass er der richtige Mann für diese Mission ist.

Aber nicht nur der Trainer ist gefragt. Der Klub muss rasch seine neue Rolle finden. In einer vierten Saison in der Regionalliga Bayern wird es zunehmend schwerer werden, den Profibetrieb aufrechtzuerhalten. Doch derzeit gibt es dazu kaum eine Alternative. Der Unterbau fehlt. Die oft versprochene Verzahnung von Nachwuchsarbeit und Profiabteilung wurde in der Vergangenheit nie gelebt. Lanig hat da Dinge angestoßen.
Der Klub wird sich im Falle eines Schweinfurter Aufstiegs damit auseinandersetzen müssen, was es heißt erst einmal nur noch die Nummer zwei in der Region zu sein. Es braucht eine klare Vision, einen Plan. Ohne vorzeigbare Erfolge auf allen Ebenen bleiben viele Türen zu bei Sponsoren und auch bei der Stadt. Zehn Jahre nach dem Drittliga-Aufstieg 2015 unter Trainer Bernd Hollerbach stehen die Kickers am Scheideweg. Das nächste halbe Jahr wird, auch wenn es nicht mehr um den Aufstieg geht, entscheidend werden.
Fußball: Regionalliga Bayern, Männer
Würzburger Kickers – Viktoria Aschaffenburg 0:0
Würzburg: Hipper – Wieselsberger, Hägele, Winkler, Uhl – Wessig, Kraus, Hannemann, Meisel (86. Japaur) – Junge-Abiol (64. Fesser), Akhalaia.
Aschaffenburg: Grün – Klement (84. Mrijaj), Boutakhrit, Borger, Stein – Obolkin (83. Schäfer), Schulz (78. Biehrer), Dersch, Ehmann – Cassaniti (90.+4 Kocahal), Matondo (75. Nene).
Schiedsrichter: Simon Schreiner (Pfarrkirchen). Zuschauer: 2212.