Manchmal muss er sich zwicken. Das gibt Trainer Michael Schiele offen zu, und wirklich wundern dürfte das niemanden. Die Art und Weise, wie die Würzburger Kickers derzeit spielen, ist beeindruckend. Die Rothosen präsentieren sich seit der Wiederaufnahme des Spielbetriebs in der Dritten Liga in bärenstarker Verfassung und bester Spiellaune. Mit Erfolg: Sieben von neun Spielen seit dem Re-Start hat das Schiele-Team gewonnen, das Ticket für den DFB-Pokal in der kommenden Saison bereits gelöst und sich mit nun 63 Punkten auf den zweiten Tabellenplatz vorgearbeitet.
Wobei "arbeiten" ob der fußballerischen Klasse so mancher Auftritte fast zu abwertend klingt. Vorgezockt haben sich die Kickers. Und nach der Partie am Mittwoch um 19 Uhr beim inzwischen gesicherten Tabellenzwölften Viktoria Köln könnte die Krönung folgen, an die noch niemand im FWK-Kosmos offiziell denken mag - der Aufstieg in die Zweite Bundesliga.
Schiele: "Eine sehr unangenehme Mannschaft"
Zuvor gilt es aber, an die jüngsten Leistungen anzuknüpfen. Dass man die von Pavel Dotchev, in der vergangenen Saison noch bis zur Winterpause Übungsleiter bei Hansa Rostock, angeleitete Viktoria Köln nicht unterschätzen darf, betonte Schiele bei der virtuellen Pressekonferenz im Vorfeld des Auswärtsspiels mehrfach. "Das ist eine sehr unangenehme Mannschaft, die immer Fußball spielen will", kommentierte der Rothosen-Trainer. "Dafür steht Pavel auch. Das hat alle Teams ausgezeichnet, die er bisher betreut hat."
Vor allem auf dem Zettel haben sollten die Kickers am vorletzten Spieltag die Angriffsabteilung der Kölner. Mit Ex-Nürnberger Albert Bunjaku (19 Saisontore), Kapitän Mike Wunderlich (15), Simon Handle (7) und Steven Lewerenz (5), der mit den Kickers 2015 in die Dritte Liga aufgestiegen ist, haben die Rheinländer ordentlich Qualität in der Offensive. "Da sind wir gut beraten, die Antennen auszufahren", sagte Schiele. In der Summe traf die Viktoria 59 Mal ins Netz, nur fünf Mannschaften - auch die Kickers mit 68 Toren - sind besser.
Viel Positives, wenig Kritikpunkte
Abstellen müssen die Würzburger dann einfache Fehler, so wie der zum einzigen Gegentor beim 3:1-Sieg gegen Rostock. Statt den Ball zu schlagen, spielte Torwart Vincent Müller einen flachen Pass ins Zentrum - und sorgte so nicht nur für die Entstehung des Rostocker Treffers, sondern auch für mächtig Wallung bei seinem Trainer. "Das müssen wir besser lösen", sagte Schiele, der vor kurzem hinter Sebastian Hoeneß (Bayern München II) zum zweitbesten Trainer der Dritten Liga gewählt wurde.
Wobei er auch klar stellte, was jeder Beobachter des letzten Heimspiels von den Rothosen vor Augen geführt bekommen hatte: "In unserem Spiel ist gerade sehr viel drin, was ich sehen will, was wir uns erarbeitetet haben. Wie wir den Ball laufen lassen, mal höher und mal tiefer pressen, wie wir von hinten heraus spielen oder auch mal lang schlagen. Das ist so, wie wir es wollen. Das machen die Jungs echt gut gerade." Kurzum: Kritikpunkte gibt es immer, viel zu meckern derzeit nicht.
Dass eine Mannschaft, deren Durchschnittsalter mit 23,9 Jahren das zweitjüngste der Liga ist, unter so außergewöhnlichen Umständen so kontinuierlich punktet, nötigt Respekt ab. Und zeigt, dass die Schlagworte ihres Trainers nicht nur gehört, sondern verinnerlicht wurden. "Lockerheit und Fokussierung", diese Kombination steht in Schieles Vokabular ganz oben, fällt so oder so ähnlich bei den meisten Presseterminen. Und es scheint mitunter diese Dualität zu sein, die die Kickers unbeirrt nach oben marschieren lässt.
Diese beiden Elemente dürften auch vor solch einer entscheidenden Begegnung, wie sie die Kickers nun vor der Brust haben, maßgeblich sein. Die Mannschaft mental einzustimmen, ungeachtet der vorherrschenden Euphorie einzufangen, ist für Schiele ein fortlaufender Prozess. "Das beginnt schon nach dem Spiel und geht kontinuierlich weiter. Dass man lobt, aber auch klar Defizite anspricht. Aber die wissen, was los ist. Und wenn mal was unter vier Augen gesprochen werden muss, dann machen wir das. Sie sollen die Lockerheit, den Fokus und die Konzentration drin haben."
Was dann nach 90 Minuten im Kölner Sportpark Höhenpark rauskommt, ist freilich ungewiss. Sicher ist aber, dass es verdammt gut aussieht für die Rothosen. Sollten die Kickers drei Punkte einfahren, steht die Konkurrenz unter Zugzwang, mindestens den Relegationsplatz hätte der FWK dann sicher - und damit Entscheidungsspiele gegen den dann von Interimstrainer Michael Wiesinger angeleiteten FC Nürnberg am 7. und 11. Juli. Club-Leihgabe Simon Rhein, der zuletzt wegen eines bakteriellen Infekts pausierte, dürfte dann im Kickers-Dress auflaufen, weil der FCN selbigen schlicht nicht auf dem Zettel hatte.
Derlei Gedankenspiele scheinen Schiele nicht zu interessieren, zumindest offiziell. "Wichtig ist, dass wir in Köln unsere Leistung auf den Platz bringen." Auf die Ergebnisse in den anderen Stadien könne man dann ja irgendwann nach dem Schlusspfiff schauen, so der Trainer. Vielleicht muss er sich nach einem kurzen Blick auf das Smartphone dann wieder selbst kneifen.