Die Corona-Pandemie legt auch den weltweiten Anti-Doping-Kampf fast lahm. Welche Gefahren das birgt und welche Folgen das selbst bis zu den Olympischen Spielen 2021 haben kann, erklärt der renommierte Dopingexperte Hajo Seppelt. Der Berliner Journalist übt auch harsche Kritik am IOC-Präsidenten Thomas Bach und dem Internationalen Olympischen Komitee.
Hajo Seppelt: Man darf sich nichts vormachen: Dopingkontrollfreie Phasen sind ein ideales Schlupfloch für potenzielle Betrüger. Das gilt für jedes Land der Welt. Wir können davon ausgehen, dass Doping auch Langzeiteffekte hat, wie Tierversuche mit muskelaufbauenden Präparaten gezeigt haben. Wenn man sich jetzt beim Krafttraining zu Hause die Anabolika reinschiebt und kein Kontrolleur vorbeikommt, dann kann man einen erheblichen Kraftzuwachs gewinnen, von dem man unter Umständen auch noch in einem Jahr ein Stück weit profitieren kann.
Seppelt: Ich finde es richtig, dass die Nada in Deutschland alles unternimmt, um zu versuchen, handhabbare Lösungen zu finden und die Kontrolllücke zu schließen. Aber natürlich dürfte die Nada auch wissen, dass diese Selbsttests nur suboptimal sein können. Zum einen kann man mit einem Bluttropfen nicht das gesamte Menü an Dopingsubstanzen entdecken und zum anderen stellt sich die Frage möglicher Manipulation.
Seppelt: In diesem Zusammenhang ist die Frage nach Dopingkontrollen aus meiner Sicht sekundär. Denn natürlich muss auch das Dopingkontrollsystem zurückstehen gegenüber Gefahren für Leib und Leben. Sicherlich hätte man bei Olympischen Spielen in diesem Jahr davon ausgehen müssen, dass es sehr ungerecht zugegangen wäre, wenn manche Länder testen lassen und manche nicht, manche Athleten trainieren können und manche nicht. Auch aus dieser Sicht wäre es unverantwortlich gewesen, die Spiele auszutragen.
Seppelt: Es war ein Kommunikationsdesaster, was Thomas Bach und das IOC abgeliefert haben. Für mich war es unterirdisch. Die wahren Motive dürften natürlich die gewesen sein, dass eine Verschiebung mit erheblichen rechtlichen und finanziellen Risiken verbunden ist und dass man Olympische Spiele - da hat Thomas Bach recht - nicht wie ein Fußballspiel verlegen kann. Auch die Frage der Verantwortung für die Verlegung, wer quasi den ersten Dominostein umwirft, hat vermutlich eine rechtliche Rolle gespielt. All diese strategischen Vorgehensweisen in Hinterzimmermanier, wie man sie von Thomas Bach ja kennt, haben allerdings deutlich offenbart, dass von verantwortlichem Kommunizieren und Handeln keine Rede sein kann. Beunruhigendstes Beispiel: Zu einem Zeitpunkt, als längst klar war, dass sich mehr oder minder die ganze Welt auf dem Weg in den Lockdown befindet, wurde noch ein olympisches Boxqualifikationsturnier abgehalten. Eine Art olympische Virenschleuder unter Federführung des IOC. Die politische Verantwortung für diese Entscheidung trägt ein Mann. Und dieser Mann heißt Thomas Bach.
Seppelt: Ich glaube, dass es genug Leute gibt, die aktuell fassungslos sind, wie Bach und sein Umfeld agiert haben. Das sagen sie auch in vertraulichen Gesprächen. Aber in der Öffentlichkeit wagen die meisten Vertreter der Verbände nicht, den Mund aufzumachen, sondern ziehen den Schwanz ein. Im Zusammenspiel zwischen dem federführenden IOC und seinen zahlreichen Satellitenorganisationen sind finanzielle und anderweitige strukturelle Abhängigkeiten geradezu systemimmanent - denken Sie nur an die Verteilung von Marketinggewinnen des IOC, die für etliche Verbände von existenzieller Bedeutung sind. Bach hat da keinen großen Widerstand zu erwarten. Im Gegenteil: In der olympischen Welt gibt es unzählige Schulterklopfer aus reinen Profitinteressen. Manchmal fragt man sich, ob das Internationale Olympische Komitee wie so eine Art Zentralkomitee ist, das nur aus Abnickern besteht. So war es schon beim russischen Dopingskandal.
Seppelt: Das kann ich ehrlich gesagt nicht einschätzen. Womöglich könnten Mindereinnahmen zu einer zeitweisen Reduzierung von Personal bei Laboranalysen führen, das wäre fürs Dopingkontrollsystem natürlich schlecht. Aber diese Dinge schlagen in allen anderen Bereichen der Gesellschaft genauso durch. Auch der Sport muss seinen Preis zahlen. Noch mal: Wir können und sollten das alle beklagen, aber wir sollten auch Maß bei der Beurteilung halten und müssen die Schlupflöcher für Betrüger jetzt bedauerlicherweise in Kauf nehmen, solange es um ein höheres Gut geht, nämlich die Gesundheit von Menschen. Und da geht es nicht nur um Sportler, sondern auch um Dopingkontrolleure. Auch sie müssen geschützt werden. Auch ihnen kann man nicht zumuten, dass sie durchs Land reisen und sich potenziellen Gefahren aussetzen.
Seppelt: Ich würde sagen: Gleich viel Arbeit wie vorher. Auch wir können momentan nicht mehr überall hinreisen, um zu recherchieren. Unsere Projekte laufen weiter, nur müssen wir kreative Lösungen finden, indem wir Kameraleute an den Orten der Welt, wo noch keine Ausgangssperren herrschen, anmieten und manche unserer Interviews aus der Ferne aus dem Homeoffice per Skype, Zoom oder Telefon führen. Das sind natürlich Einschränkungen und Herausforderungen, aber die hat aktuell jeder andere auch.
- Lesen Sie auch: Hajo Seppelt gegen die Feinde des Sports