Frage: Sie sind nun im zweiten Anlauf in Würzburg gelandet, weil die Trainerstelle durch Dirk Bauermanns Abgang nach nur eineinhalb Jahren schneller wieder frei wurde als gedacht. Gehandelt als Baskets-Trainer wurden Sie ja schon mal für die vergangene Spielzeit . . . Aber dann hat der Verein Douglas Spradley zur Hälfte der Saison 2016/17 entlassen und Bauermann verpflichtet . . .
Wucherer (lacht): Es ist ja kein Geheimnis, dass wir damals schon in Kontakt standen und Gesprächen hatten für die Zeit nach Doug. Und diesmal hat der Anruf in der Tat nicht lange auf sich warten lassen. Wir sind im Frühjahr relativ schnell wieder in Kontakt gekommen. Auch Dirk hat sich damals bei mir gemeldet. Ich muss zugeben, dass ich mit dem Anruf durchaus gerechnet und auch ein bisschen darauf gehofft habe, weil ich mich mit dem Verein ja schon im Vorjahr beschäftigt hatte. Dann erinnert man sich schnell an die Ideen, die man hatte und die guten Gefühle dabei. Insofern war ich sehr froh, dass Steffen Liebler (Anmerk. d. Red.: Geschäftsführer der Baskets) relativ schnell bei mir zu Hause in Köln einen Nachmittag verbracht hat und beide Seiten schnell gemerkt haben, dass das klappen könnte.
Auch Baskets-Gesellschafter und Hauptgeldgeber Bernd Freier soll sich im Vorfeld einen persönlichen Eindruck von Ihnen verschafft haben . . .
Wucherer: Das war quasi die Feuertaufe (er lächelt). Zusammen mit Steffen war ich zu einem Sechs-Augen-Gespräch bei ihm zum Frühstück eingeladen.
Und wie haben Sie ihn von sich überzeugt?
Wucherer: Ich glaube, ich konnte ihn ein bisschen anstecken mit meiner Energie, mit meiner Basketball-Philosophie: weg von Superstars, hin zu „Die Mannschaft ist der Star“. Ich habe ihm erklärt, wie wichtig es bei mir immer ist und war, dass die Team-Chemie stimmt, dass wir Typen holen, die zueinander passen, die richtig Bock haben auf Würzburg, auf die Stadt, auf den Verein. In meiner Karriere als Coach gab es bisher extrem wenig Fluktuation im Kader . . .
. . . was auch fürs Binnenklima zwischen Trainer und Mannschaft spricht . . .
Wucherer: . . . und darüber hinaus eben auch bedeutet, dass es günstiger wird. Da hat man ihn dann relativ schnell an der Angel (er grinst).
Bei Vertragsabschluss Anfang Mai schien es noch, als könnten Sie auf ein Gerüst der Vorjahres-Mannschaft aufbauen. Vor allem der Abgang von Publikumsliebling Maurice Stuckey nach Bamberg kam unerwartet.
Wucherer: Um Moe haben wir gekämpft, ihm im Rahmen unserer Möglichkeiten eine Verlängerung seines noch ein Jahr gültigen Vertrages angeboten, um ihm noch mehr zum Gesicht der Mannschaft zu machen nach einer tollen Saison. Wir haben da alles probiert. Moes Agent ist auch mein Agent, da gibt es kurze Wege. Auch Bernd Freier hat ihn in einem persönlichen Gespräch vom Verbleib überzeugen wollen. Aber noch mal: alles im Bereich unserer Möglichkeiten, und die sind eben ganz andere als die von Bamberg.
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Dazu zog Nationalmannschaftskapitän Robin Benzing seine Ausstiegsoption, und bei US-Spielmacher Cliff Hammonds verzichtete der Klub auf eine Weiterverpflichtung.
Wucherer: Das ist relativ einfache Mathematik. Wir haben ein gewisses Budget. Wenn ein Robin Benzing zu seinen Bezügen bleibt, wenn wir Moe Stuckey halten und ihm deutlich mehr als vorher bezahlen, dazu noch Hammonds und Loncar, dann stehen wir da und merken: Zu viert können sie spielen, aber es reicht halt nicht. Und dann musst du natürlich überlegen: Was ist sinnvoll? Natürlich hätten wir es auch irgendwie geschafft, um Robin eine Mannschaft aufzubauen, aber dann hätten wir nicht das Talent und die Qualität der Spieler holen können, die wir jetzt haben.
Was auch Ihrer Philosophie widersprochen hätte.
Wucherer: Absolut. Es wäre spannend gewesen, mit einem Spieler wie Robin zu arbeiten und eine Mannschaft hinzubekommen, die funktioniert und trotzdem einen anderen Basketball spielt als letzte Saison. Als das dann nicht geklappt hat, war das für uns aber auch okay. Da wurde ein großes Stück vom Kuchen frei, und plötzlich konnten wir tatsächlich elf Spieler holen, die alle Qualität haben. Und das war mindestens genauso spannend. Jetzt haben wir sechs sehr starke Importspieler und ein bisschen mehr den Rollenspieler-Charakter bei den Deutschen.
Die Mannschaft hat in der Vorbereitung unter anderem mit dem Sieg gegen EuroLeague-Teilnehmer Efes Istanbul und starken Auftritten beim heimischen Vorbereitungsturnier einige Duftmarken gesetzt. Auffällig war, dass das Team einen viel schnelleren und mannschaftsdienlicheren Basketball zu spielen scheint als vergangene Saison . . .
Wucherer: Ich bin kein Fan davon, die komplette Last auf ein bis zwei Schultern zu verteilen. Was ist, wenn sich so einer mal verletzt? Meine Philosophie ist eine andere: Ich habe immer, sowohl in Gießen als auch zuletzt in Köln, geschaut, dass ich genug Spieler auf dem Feld habe, die gute Entscheidungen treffen. Nicht nur einer wie mit einem klassischen Spielmacher, sondern immer zwei, drei. Diese Art von Spiel ist sehr Guard-lastig, so dass der Ball zwangsläufig besser bewegt wird. Wir versuchen mit den vielen offensiven Waffen und guten Werfern eine Spielkultur zu entwickeln, die in der Tat schwer ausrechenbar ist, sehr flexibel und für den Gegner schwierig zu lesen. So haben wir die Mannschaft zusammengestellt, und ich denke, in der Vorbereitung hat man schon gesehen, in welche Richtung es geht. Wir können in jedem Spiel die 90 Punkte anpeilen. Es werden uns nicht immer alle lassen, und wir werden auch nicht immer um die 50 Prozent Dreier werfen. Deswegen müssen wir in der Verteidigung auch noch besser werden, um auch darüber Spiele zu gewinnen.
Sie haben die Wichtigkeit der Team-Chemie betont. Was macht Sie so zuversichtlich, dass die passen wird?
Wucherer: Wir haben sehr viel Zeit in die Auswahl der Spieler investiert. Heutzutage hast du die Möglichkeit, viele Informationen einzuholen. Mit drei der ausländischen Spieler (Anmerk. d. Red: Cameron Wells, Skyler Bowlin, Gabriel Olaseni) habe ich schon zusammengearbeitet. Über die anderen drei haben wir uns in Telefonaten mit dem Spieler, den Agenten, wobei die einem natürlich alles Mögliche über ihre Schützlinge erzählen können, aber auch in Gesprächen mit Ex-Mitspielern oder ehemaligen Trainern einen Eindruck verschafft. Wir sind da ganz gut vernetzt. Du siehst auch anhand der Vita, ob das einer ist, der bei einem Verein mal verlängert hat, der vier Jahre auf derselben Universität war, der innerhalb der Liga mal gewechselt ist oder der zwölf Vereine in den letzten drei Jahren hatte. Man kann schon erkennen, inwieweit das ein Problemfall sein könnte oder das quasi auszuschließen ist. Unser Neuzugang Perry Ellis ist so ein Beispiel. Den haben Steven Key und ich in Las Vegas bei der Summer-League der NBA zum Frühstück getroffen. Wir wussten im Vorfeld alles über ihn, dann das persönliche Gespräch. Da hat man sofort gemerkt: Das passt! Wir haben Steffen angerufen, er soll den Vertrag faxen. Perry hat am nächsten Tag unterschrieben. Wir haben ein Häkchen drangemacht und konnten dann versuchen, Las Vegas zu genießen und ein bisschen Golf zu spielen (er lacht).
Basketball ist auch eine Art Söldnersport, in dem am Ende doch jeder versucht, für sich und seine Statistiken zu spielen, um nächste Saison beim nächstbesseren Klub anzuheuern?
Wucherer: Es hat sich ein wenig dahin entwickelt, weil es im Basketball diese mittelfristige Perspektive nicht gibt. Negativ ausgedrückt, könnte man das als Söldnertum bezeichnen, stimmt. Denn die Spieler sind quasi, egal wo, immer auf dem Sprungbrett. Wer in Gießen gut spielt, spielt im Jahr darauf in Ludwigsburg, Ulm oder München, wenn es gut läuft. Wer in München gut ist, würde anschließend gerne in Barcelona oder bei Maccabi Tel Aviv spielen. Wer da gut spielt, würde gerne bei CZKA Moskau spielen. Und wer in Moskau gut spielt, würde gerne in der NBA einen hochbezahlten Vertrag bekommen. Den wenigsten Vereinen gelingt es, Spieler mittelfristig, also über zwei oder drei Jahre, unter Vertrag zu nehmen, weil sie sich das vielleicht auch nicht leisten können oder es gar nicht klar ist, ob es Basketball im Jahr drauf überhaupt noch gibt. Was machen wir, wenn drei große Sponsoren abspringen? Da steht man dann da mit Verträgen. Ich habe in Gießen bei der Rekrutierung aktiv damit geworben, dass die Jungs hier nicht reich werden, aber sie den ersten Schritt machen und in Ulm nächstes Jahr das Fünffache und in zwei Jahren in München das 15-fache verdienen können. Und wenn man dann den ersten Spieler so entwickelt hat, dann spricht sich das natürlich herum, und wir haben da mittlerweile einen ganz guten Ruf. Wenn man sieht, wo meine ehemaligen Spieler aus Gießener Zeiten inzwischen spielen und was die verdienen, dann denke ich, dass das auch ein Stück weit für uns spricht und uns auch hier in Würzburg weiterhilft.
Der Anspruch bei s.Oliver Würzburg ist aber bestimmt nicht nur die Entwicklung von Spielern, da gibt es doch andere Visionen . . .
Wucherer: Richtig. Aber wer zu uns kommt, will nächstes Jahr vielleicht in die EuroLeague oder den Sprung in die NBA schaffen. Auch da ist in den Köpfen der Spieler und Agenten immer ein: „Wo kann es danach hingehen?“ Insofern ist es tatsächlich ein bisschen eine Ego-Nummer geworden. Aber man kann den Spielern auch vermitteln, dass, wenn wir als Team erfolgreich sind und sportlich über unseren Verhältnissen leben, dass dann jeder Einzelne ein Gewinner ist. Es geht nicht nur um die Statistiken, sondern auch darum: „Du warst bei einer Mannschaft, die gewonnen hat, die erfolgreich war, die überrascht hat, die guten Basketball gespielt hat? Und wie viele Minuten hast du da gespielt? Wie wichtig war deine Rolle?“ Ich denke, heutzutage kann man das auch verkaufen, und dafür werbe ich. Dass es eben nicht nur um die individuellen Statistiken geht, sondern um den Team-Erfolg. Und ich glaube, dass unsere Jungs das bereits in den ersten vier, sechs Wochen verinnerlicht haben. Wir sind sehr zufrieden mit dem Verlauf der Vorbereitung. Die Art und Weise, wie wir Basketball spielen, ist so, wie wir uns das vorgestellt haben.
Bessere Spieler, höheres Budget. Damit geht auch eine höhere Erwartungshaltung als bei Ihren bisherigen Trainerstationen einher.
Wucherer: Ich habe mich ja bewusst dafür entschieden, nicht mehr nur gegen den Abstieg zu kämpfen und dann überraschend um die Play-offs mitzuspielen, sondern von Anfang an zu sagen: Wir sind ein Play-off-Kandidat. Das ist ein realistisches Ziel, aber auch ein ambitioniertes. Denn wir sind nicht die einzigen, die da hinwollen. Die Liga ist noch enger zusammengerückt, da gibt es zwölf bis 14 Kandidaten, die die Möglichkeit haben. Dann gibt es immer einen wie Ulm letzte Saison, den man auf der Rechnung hat und der dann rausfällt oder einen wie Göttingen, der alle zwei Jahre plötzlich um die Play-offs mitspielt, obwohl es das Budget eigentlich nicht hergibt. Unser Ziel ist es, im Idealfall um die Play-offs mitzuspielen, und wenn wir overperformen, spielen wir um den Heimvorteil. Das ist der nächste Schritt, und diesem Druck sind wir uns im Coaching-Staff bewusst. Aber den machen wir uns auch selbst, weil wir wissen, wie viel Potenzial in dieser Mannschaft steckt und wir jetzt schon merken, dass das sehr erfolgreich werden kann.
Zur Person
Denis Wucherer, geboren am 7. Mai 1973 in Mainz, galt als einer der besten Basketballer der Republik und hatte seine erfolgreichste Zeit als Bundesligaspieler zwischen 1992 und '98, als er – unter Trainer Dirk Bauermann – mit Bayer Leverkusen viermal deutscher Meister wurde und zweimal den Pokal gewann. In der Saison 2001/02 trug er auch für kurze Zeit das Trikot der DJK s.Oliver Würzburg. Der Shooting Guard bestritt 123 Länderspiele und wurde bei der Europameisterschaft 2005 an der Seite von Dirk Nowitzki Zweiter. Bei der EM 2009 und der WM 2010 war Wucherer Assistent von Bundestrainer Bauermann, dem er ab 2011 ebenfalls für ein Jahr auch bei Bayern München assistierte. Von 2013 bis 2017 sorgte er für Aufmerksamkeit durch seine Erfolge mit den Gießen 46ers, die er in die Bundesliga zurückführte und dann zweimal mit dem angeblich kleinsten Etat der Liga nur knapp die Play-offs verpasste. In der vergangenen Saison trainierte er den Zweitligisten RheinStars Köln. Der passionierte Golfer („Dafür habe ich leider zu wenig Zeit. Mein Handicap liegt zwischen elf und 12,5. Aber immerhin darf ich damit auf allen Plätzen dieser Welt spielen“) verlegte im Sommer seinen Lebensmittelpunkt mit seinen beiden Jungs (elf und zwölf Jahre alt) nach Würzburg.
Mit der Partie gegen Brose Bamberg am heutigen Samstag, 29. September, startet Basketball-Bundesligist s.Oliver Würzburg um 20.30 Uhr in der s.Oliver Arena in die Saison. So wie vergangene Spielzeit, als den Baskets beim 76:73 der erste Bundesligasieg überhaupt gegen die Oberfranken gelang. Nächsten Samstag (20.30 Uhr) kommt es dann in Bamberg im Achtelfinale des BBL-Pokalwettbewerbs dann gleich zum erneuten Duell der Unter- gegen die Oberfranken. tbr/SAM