Bis zum 15. Februar des vergangenen Jahres stand Otis Livingston II bei den Crailsheim Merlins, dem nächsten Gegner der Würzburg Baskets in der Basketball-Bundesliga (Sprungball: Freitag, 1. März, 20 Uhr, tectake Arena), unter Vertrag. "Sie haben einfach gesagt, dass ich gehen kann – mehr nicht", erinnerte sich Livingston an die für ihn schmerzhafte Trennung. Also kontaktierte der US-Amerikaner seinen Agenten. Neben einigen Angeboten aus dem Ausland flatterte auch eine Offerte vom direkten Konkurrenten medi Bayreuth ins Haus, welches er dann auch annahm. "Ich schätze das Niveau der BBL und wollte deshalb gerne in Deutschland bleiben", erklärte der 27-Jährige.
Während des Gesprächs blickt der Würzburger Aufbauspieler immer wieder auf den Boden. Die Enttäuschung ist ihm noch heute anzumerken. Gut ein Jahr später gehört Livingston II zu den besten Akteuren der Bundesliga (BBL). Die Sportdirektoren wählten ihn zur Saisonhalbzeit bei der Kür des "wertvollsten Spielers" (MVP) auf Rang drei. Genugtuung für den nur 1,80 Meter großen Point Guard? "Nein, gegen Crailsheim bin ich natürlich besonders motiviert", sagte Livingston II.
Livingston II ein Glücksgriff
Denn mit seinem Wechsel nach Bayreuth war die Fehde zwischen ihm und den Hohenloher Franken noch nicht beendet. Eine Klausel untersagte ihm einen Einsatz gegen sein Ex-Team. Doch weil die Bayreuther im Kampf um den Klassenerhalt jeden Sieg benötigten, setzten sie ihren Neuzugang trotzdem ein und bezahlten die Strafe, die im Vertrag für diesen Fall festgelegt war. Bayreuth stieg am Ende ab, Livingston II aber blieb in der BBL und wechselte zu den Baskets.
Ein echter Glücksgriff für beide Seiten. Der aus New Jersey stammende Point Guard profitiert extrem vom Spielsystem von Trainer Sasa Filipovski, der ihm, Isaiah Washington und Darius Perry viel den Ball anvertraut. Und Livingston II zahlt es mit Leistung zurück. Genau 20 Punkte legt er pro Spiel im Schnitt auf, Platz eins in der Basketball-Bundesliga. Dazu steht er mit 5,5 Assists pro Partie auch unter den zehn besten Vorlagengebern.
Merlins mit gruseliger Bilanz
Und sein Ex-Klub? Nur neun Siege gelangen den Merlins in der BBL bei 28 Niederlagen, seitdem sie Livingston II aus dem Kader gestrichen haben, fünf davon noch in der verganenen Saison. In dieser Runde stehen die Crailsheimer bei vier Siegen und 17 Niederlagen und sind als Vorletzter aktuell akut abstiegsgefährdet, nachdem sie mit Livingston II zumindest BBL-Mittelmaß waren.
Für die prägende Figur der Würzburger ist das alles Geschichte. Mit dem Wechsel zu den Baskets ist er in der BBL weiter aufgestiegen. Als Vierter dürfen sich die Unterfranken berechtigte Hoffnungen auf eine Play-off-Teilnahme machen. Sehr wahrscheinlich macht Livingston II im kommenden Sommer den nächsten Schritt in seiner Karriere, die er so überhaupt nicht geplant hatte.
Mit Shaquille O'Neal am Golfplatz
"Ich wollte eigentlich nur am College spielen, wie mein Vater", sagte Livingston II. Sein Vater, natürlich Otis Livingston I, ist in den USA kein Unbekannter. Für den Fernsehsender NBC kommentierte er die Olympischen Spiele, die US Open im Tennis, die Finalserien im Eishockey und Baseball und die größten Golf-Turniere. Mittlerweile arbeitet er in New York bei CBS als Reporter bei Sporteignissen. "Er hat mich manchmal mitgenommen", erinnerte sich Livingston II.
So traf er in seiner Kindheit beispielsweise die NBA-Legende Magic Johnson von den Los Angeles Lakers, der prompt zum Lieblingsspieler wurde, auch wenn Johnson wegen seiner HIV-Erkrankung schon in dem Jahr hatte aufhören müssen, als Livinston II geboren wurde. "Dafür gibt es ja Youtube", sagte Livingston II. Mit dem 150-Kilo-Koloss Shaquille O'Neal, der ebenfalls bei den Lakers Meisterschaften gewann, spielte Livingston II sogar mal zusammen Golf nach dessen Karriere.
Statt wie sein Vater Sportjournalist zu werden, empfahl sich der Junior mit starken Leistungen an der George-Mason-University für eine Karriere als Profisportler. Und zurück in der Gegenwart wünschte sich Livingston II keine Treffen mit prominenten Sportlern, sondern eigentlich nur eine Sache: Dass er die Merlins ärgern kann und er mit den Baskets durch den 15. Saisonsieg im 21. Spiel den vierten Platz verteidigt.