"Ich habe für mein Leben so viel im Sport gelernt, dass ich eigentlich jedem jungen Menschen professionellen Sport empfehlen möchte. Aber es gibt Dinge, die mich zweifeln lassen, ob ich das wirklich tun soll", sagt Amelie Ebert. Zum Beispiel die geringen Verdienstmöglichkeiten in den meisten Sportarten. Sie war Synchronschwimmerin, Schwester Leonie ist Fechterin, Bruder Constantin Basketballer. "Spitzensport war bei uns in der Familie immer ein Minusgeschäft." Oder die mangelnden Mitsprachemöglichkeiten gefallen ihr nicht: "Ich hatte häufig das Gefühl, als Athlet nichts zu sagen zu haben und sich fügen zu müssen." Und auch fehlende Strukturen für einen dualen Weg mit Leistungssport und Studium: "Ich habe in meinem Medizinstudium oft gehört: 'Du musst dich mal entscheiden. Willst du Ärztin werden oder Sport machen?' Es hat dann doch funktioniert, aber nur durch den guten Willen verschiedener Personen."
Ebert entschied sich 2017, im Alter von erst 22 Jahren. Nach den Plätzen acht und 13 bei der Weltmeisterschaft in Budapest, ihrem größten Erfolg, machte die Würzburgerin Schluss mit dem Synchronschwimmen, das sie als Neunjährige begonnen und mit großer Leidenschaft betrieben hatte. Aber sie beließ es nicht beim Studium, das in Medizin bekanntlich sehr aufwendig ist. Die Empörung, dass für ihre Sportart die Förderung drastisch reduziert wurde, weil sie hierzulande weit weg von Medaillen betrieben wird, spielte mit eine Rolle, dass sie nahtlos aus dem Schwimmbecken in die Sportpolitik wechselte. Ebert gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Vereins Athleten Deutschland, der seit zweieinhalb Jahren unabhängig vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) die Interessen der deutschen Spitzenathleten vertritt, um deren Rechte und grundlegende Veränderungen kämpft.
Der DOSB war zunächst nicht begeistert von den revolutionären Bestrebungen. Die Sportler sollen Siege und Medaillen liefern, aber den Rahmen mitbestimmen durften sie bisher nur in bescheidenem Maße. Der DOSB konnte es aber nicht verhindern, dass die Mitglieder seiner Athletenkommission, der auch Ebert angehört, den neuen Verein gründeten, mit dem Säbelfechter Max Hartung an der Spitze. Und er hatte auch keinen Erfolg mit dem Ansinnen, die vom Bundestag bewilligten 450 000 Euro jährlich für Athleten Deutschland zunächst auf die DOSB-Konten fließen zu lassen.
Mit der direkten Finanzierung können die Sportler nun ohne Beeinflussung von Funktionären arbeiten. Der Verein hat mittlerweile einen hauptamtlichen Geschäftsführer, den Ex-Basketballer Johannes Herber, und eine Geschäftsstelle in Berlin. So kann er professionell und auf Augenhöhe den Verbänden und der Politik begegnen. Für den DOSB bleibt die Athletenkommission aber der offizielle Ansprechpartner und nicht der Verein. "Ich hoffe, dass wir in Zukunft zu einer besseren Kooperation kommen", sagt Ebert.
Sie hat in den vergangenen Wochen auch viele Anfragen zum Coronavirus und der Verunsicherung der in der Olympia-Vorbereitung steckenden Athleten beantwortet. Aber ihr Gebiet innerhalb des Vorstands ist der Anti-Doping-Kampf. Ein Thema, bei dem Ebert manchmal "das Gefühl beschleicht, "nie gewinnen zu können. Es ist immer ein Hinterherlaufen".
Doch kleine Erfolge gibt es. Als "Anwältin der Sportler" sah sie sich bei dem Vorhaben der Nationalen Doping-Agentur (Nada), als Reaktion auf das aus Erfurt gesteuerte und Anfang 2019 in Seefeld aufgeflogene Doping-Netzwerk Dopingkontrollen und sogar Blutentnahmen nun auch in der sensiblen Phase direkt vor einem Wettkampf durchzuführen. "Es muss Grenzen geben, was man als Sportler zulassen muss, um zu beweisen, das man sauber ist. Es stellt sich die Frage, was noch verhältnismäßig ist", sagt die 25-Jährige.
Als "großen Erfolg" wertet es Ebert, eine Diskussion in Gang gebracht zu haben, nicht nur Athleten, sondern auch Trainer, Betreuer und Kontrolleure eine Verpflichtung unterschreiben zu lassen, Doping-Vorkommnisse und Verdachtsmomente zu melden und sich aktiv für eine Anti-Doping-Kultur einzusetzen. Auf einer Linie sieht sich Athleten Deutschland mit der Politik bei der Notwendigkeit, das noch junge Anti-Doping-Gesetz mit einem Schutz für Whistleblower zu ergänzen. Wer Vorkommnisse melde, müsse geschützt werden und anonym bleiben können. Mit letzterem Thema befasst sich unter anderem die Nationale Anti-Doping-Agentur, deren Aufsichtsrat Ebert angehört.
Mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und dessen Präsidenten Thomas Bach hat sich Athleten Deutschland erfolgreich angelegt. Als Nebenkläger eines Verfahrens vor dem Bundeskartellamt war der Verein maßgeblich daran beteiligt, dass das IOC seine Werberegel, die "Rule 40", lockern muss. Zumindest deutsche Sportler dürfen nun während der Spiele auch ihre persönlichen Sponsoren präsentieren und damit von Werbeeinnahmen profitieren. "Das wird weitergehen, in anderen Ländern wurde das aufmerksam verfolgt", sagt Ebert. Der Forderung nach Beteiligung der Athleten und Trainer an den immensen IOC-Einnahmen folgte das Kartellamt allerdings nicht.
In kurzer Zeit hat es der Verein geschafft, als Stimme der Sportler gehört und ernst genommen zu werden. Über 500 Mitglieder hat er bereits, immerhin 54 Athletenvertreter der 65 Sportverbände sind unter ihnen. Von den rund 4000 von der Sporthilfe geförderten Kaderathleten ist aber bisher lediglich jeder Achte dabei. "Wir haben bisher noch nicht aktiv Mitglieder geworben, aber das ändert sich jetzt", sagt Ebert. Locken könnte auch, dass Mitglieder eine kostenlose erste Rechtsberatung bei Fragen mit Sportbezug erhalten.
Ebert hat ihr Medizinstudium an der Privatuniversität Witten-Herdecke (Nordrhein-Westfalen) jetzt mit dem Examen abgeschlossen. Nach einem Freisemester, das sie gleich für ein dreimonatiges Praktikum bei einer großen Unternehmensberatung nutzte ("In Medizin kommen ökonomische Aspekte quasi nicht vor"), will sie sich nun um ihre Doktorarbeit kümmern. Zusätzlich hat sie ein Studium der Osteopathie, einer sanften Heilmethode zur Wiederherstellung der Beweglichkeit, in Angriff genommen. Nebenbei arbeitet sie in Dortmund schon im OP. In den Verein Athleten Deutschland will sie aber auch in den nächsten Jahren weiter Zeit und Engagement stecken.