Klavier spielt sie immer noch gerne, am Steinway-Flügel der Familie im Würzburger Steinbachtal oder auf einem E-Piano in ihrer Wohnung in Tauberbischofsheim. "Da kann man sich gut entspannen", sagt Leonie Ebert, "auch wenn ich nicht mehr die Zeit habe, die es braucht, um technisch auf hohem Level zu sein."
Ihr Anspruch ist hoch, wie immer. Als Kind besuchte sie ein musisches Gymnasium und gab sogar Konzerte. Aber da war auch das Fechten, das sie schon beim ersten Schnuppertraining fasziniert hatte. Insbesondere wegen der Zweikampfsituation: "Da ist ein Gegner und ich muss einen Schlüssel finden, um ihn zu besiegen." Auf zwei Hochzeiten zu tanzen, nichts für sie. "Mit 13 Jahren gab es die große Entscheidung: Musik oder Fechten. Und das Fechten hat gewonnen."
Bereits auf Platz sieben der Florett-Weltrangliste
Eine Entscheidung, die nicht die schlechteste war. Die jetzt 19-Jährige ist gerade erst dem Junioren-Alter entwachsen, steht aber bereits auf Platz sieben der Florett-Weltrangliste der Damen. In vier von acht Weltcup-Turnieren der Saison 2018/19 erreichte Ebert die Runde der letzten acht, Platz zwei im polnischen Kattowitz war ihr bestes Resultat. "Für ein junges Mädchen war das eine herausragende Saison", sagt Sven Ressel, der Sportdirektor des Deutschen Fechter-Bundes, über seine Leistungsträgerin.
Die ganz großen Erfolge in Form von Medaillen bei Titelkämpfen scheinen nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Auf einen Typ wie Ebert hat das deutsche Frauenfechten lange gewartet. "Leonie ist stark auf ihre leistungssportliche Entwicklung fokussiert und als Typ sehr zielorientiert", sagt Ressel, was als Lob zu verstehen ist. Ähnliches stellte schon Rita König fest, die ihre erste Fechttrainerin bei der TG Würzburg war. "Leonies Ehrgeiz war schnell spürbar. Sie stellte Fragen, sie wollte noch eine Extra-Lektion. Sie wollte schnell vorankommen - das zeichnet sie bis heute aus." Jetzt hofft König, die bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney mit Silber und Bronze die letzten Frauen-Medaillen ins Taubertal holte, dass sie endlich eine Nachfolgerin findet.
Es wäre dennoch eine Überraschung, sollte es für Ebert bei der am Montag beginnenden Fecht-Europameisterschaft in einer Düsseldorfer Messehalle bereits zu einem Einzel-Edelmetall reichen. Sie stört es aber nicht, wenn darüber spekuliert wird: "Ich bin total hungrig auf alles. Und ich erwarte von mir wahrscheinlich mehr, als andere erwarten."Die EM steht ebenso wie die vier Wochen später in Budapest folgende WM auch im Zeichen von noch Größerem: den Olympischen Spiele im kommenden Jahr in Tokio. Beide Titelkämpfe sind die wichtigsten Qualifikationswettbewerbe dafür. "Unser Focus liegt in Düsseldorf ganz klar auf der Mannschaft. Schafft sie es nach Tokio, sind drei Einzelstartplätze inbegriffen", erläutert Ressel.
Leonie Ebert sieht das genauso. "Mein und unser großes Ziel ist, dass wir uns als Team für Olympia qualifizieren. Da Caro auch wieder am Start ist, sind wir hoch motiviert." Gemeint ist Carolin Golubytskyi. Die WM-Zweite von 2013 will nach der Geburt ihrer Tochter Yuna, die inzwischen ein Jahr alt und immer mit dabei ist, noch einmal angreifen. Sie reiste rechtzeitig zum Beginn des zehntägigen Vorbereitungslehrganges im Tauberbischofsheimer Fechtzentrum aus ihrer Wahlheimat USA an. Zudem ist Anne Sauer nach zweimonatiger Zwangspause wegen einer rätselhaften Verletzung im Bauchbereich wieder voll belastbar. Vielleicht können Ebert, Sauer, Golubytskyi und Ersatzfrau Eva Hampel noch einmal an das Niveau des Jahres 2017 heranreichen, als sie gemeinsam EM-Bronze holten und bei der WM in Leipzig auf Rang vier kamen.
Im Florettfechten ist die Trefferfläche, anders als mit dem Degen, auf den Rumpf und den Maskenlatz begrenzt. Warum Ebert ihre Waffengattung liebt? "Sie vereint das Athletische des Säbelfechtens mit dem Taktischen des Degenfechtens - ich finde das Zusammenspiel so toll." Sie ist, neben einer Japanerin, die einzige Fechterin des Jahrgangs 1999 unter den besten 20 der Weltrangliste. "In unserem Sport erreichen die meisten mit 26, 27 Jahren ihren Leistungshöhepunkt. Erfahrung spielt eine große Rolle", sagt Ebert.
Doch ihr kommt zu Gute, dass sie der frühere Florett-Bundestrainer Andrea Magro bereits als 15-Jährige zur Aktiven-WM und in Weltcups schickte und sie entsprechend Erfahrung sammeln konnte. Mit ihrem Förderer, der gegen den Willen der Mannschaft aus finanziellen Gründen gehen musste, hat sie noch guten Kontakt. Mit dem neuen Bundestrainer Giovanni Bortolaso, ebenfalls ein Italiener, sei die Zusammenarbeit mittlerweile gut. Auch wenn Bortolaso ein ruhigerer Typ ist, ganz anders als der stets fordernde Magro.
Wer Leonie Ebert beschreibt, muss auch über ihre Familie reden. Drei Kinder hat ihre Mutter Nives großgezogen, alle drei sind sehr gute Sportler geworden. Schwester Amelie (25) war Synchronschwimmerin in der Nationalmannschaft und beendete ihre Karriere im vorletzten Jahr als WM-Achte zugunsten des Medizinstudiums. Jetzt sitzt sie im Vorstand des Vereins "Athleten Deutschland" und im Aufsichtsrat der Nationalen Dopingagentur (Nada). Bruder Constantin (23) ist Basketball-Profi und kann nach einem Jahr Zwangspause wegen eines Kreuzbandrisses nun wieder spielen. "Wir haben keine Helikopter-Mutter, die ihre Kinder triezt - was man vermuten könnte", sagt Leonie Ebert. "Sie wollte einfach, dass ihre Kinder Sport treiben, weil das gesund ist und gut für die Entwicklung. Und sie hat uns angeboten: 'Ich fahre dich überall hin - wenn Du willst.' So haben wir alle einen Sport gefunden, der uns unfassbar viel Spaß macht."
Die Geschwister spornten sich gegenseitig an
Gleichzeitig spornten sich Amelie, Constantin und Leonie gegenseitig an. "Als ich klein war, waren meine Geschwister schon auf Nationalmannschaftsniveau und super erfolgreich. Ich habe ihre Medaillen angeschaut und gedacht: 'Das will ich auch'", sagt Leonie Ebert. Gleichzeitig habe sie sich in der Familie ganz selbstverständlich an den "Lebensstil, der einen professionellen Sportler ausmacht", gewöhnen können. "Wir sind keine Familie, wir sind eine Gang" heißt es auf englisch unter einem Foto der vier Eberts auf Leonies sorgsam gepflegter Instagram-Seite. Leonie sagt, das sei nicht übertrieben:"Wir sprechen alle Entscheidungen untereinander ab, es gibt hundertprozentiges Vertrauen."
Finanziell sei es für ihre Mutter nicht einfach gewesen mit drei Kindern in Sportarten, in denen nicht viel Geld verdient wird. Erwachsen geworden, steht Leonie Ebert weiter vor der Frage: "Wie schaffe ich es, hochprofessionell zu arbeiten und gleichzeitig nicht ins Minus zu geraten?" Die Grundabsicherung bietet ihr die Bundeswehr, zu der sie nach dem Abitur als Sportsoldatin gegangen ist. Doch ihr Athletik- und Mentaltraining organisiert und finanziert sie selbst. Der renommierte Vermarkter Klaus Kärcher, der auch Olympiasieger wie Fabian Hambüchen (Turnen) und Laura Ludwig (Beachvolleyball) betreut, hat Ebert mittlerweile unter Vertrag genommen und will sie zu einer Marke aufbauen. Sie ist talentiert, sie sieht gut aus und sie kann sich ausdrücken. Im Vorstellungstext auf der Webseite der Agentur "Vitesse" heißt es ohne Umschweife: "Wir hoffen auf olympisches Edelmetall. En Garde. Pret. Allez!"