Allmählich füllt sich der Vorplatz des Schützengebäudes. Die Mitglieder der Rimparer Schützengilde freuen sich, dass sie sich nach langer Pause in ihre grünen Trachten schlüpfen und sich wieder mal bei bestem Wetter treffen können. Es gibt schließlich einen Anlass: Einer der Ihren hat nicht nur eine Schützenjanker mit zig Abzeichen an, sondern auch zwei glänzende Medaillen umhängen.

Tobias Meyer ist umgeben von Gleichgesinnten aus dem Verein, seinen Trainern und Rimpars Schützenkönigin Bianca Ross. Später sollen auch Landrat, Bürgermeister und Gauschützenmeister Klaus Schöll noch dazu kommen.

Stolze Eltern, Großeltern und Kollegen

Trotz des Trubels wirkt Meyer entspannt. Der 23-Jährige ist auch nach seinem sportlichen Höhenflug bodenständig geblieben. Im Juni hat er bei einem bedeutenden internationalen Weltcup im peruanischen Lima den zweiten Platz mit der Luftpistole und den dritten Rang mit der sogenannten Freien Pistole belegt. Damit löste er in beiden Disziplinen das Ticket für die Paralympischen Spiele. Sie finden in diesem Jahr vom 24. August bis 5. September in Tokio statt.

"Ich hätte es früher niemals für möglich gehalten, dass es Tobias sportlich einmal so weit bringt", sagt sein Vater Josef Meyer. Gemeinsam mit seiner Frau Petra betreibt er einen ambulanten Pflegedienst im Ort. Auch Opa und Oma sitzen mit an der Biertischgarnitur. Alle sind sichtlich stolz auf ihren Jungen. "Wir haben den Weltcup in Lima spät am Abend live verfolgt und waren völlig aus dem Häuschen, als klar war, dass Tobias bei den Paralympics dabei ist."

Meyer trainiert nicht nur im Heimatort, sondern auch beim Schützenverein in Eibelstadt. Dort ist Harald Gretsch sein Coach. "Es ist schön mitzuerleben, wenn die eigenen Zöglinge viel erfolgreicher sind als man selbst", sagt er. Die Termine für Meyers paralympischen Auftritte in Tokio kommen von Gretsch wie aus der Pistole geschossen: "Der Luftpistolen-Wettbewerb geht am Morgen des 31. August über die Bühne, die Disziplin der Freien Pistole ist am 4. September."

Rechter Arm von Geburt an gelähmt

Mit seiner Sportwaffe steht Tobias Meyer an einem Samstagmittag auf der Schießanlage im Schützenhaus. Um 1970 sind die Schützen von einer Gaststätte am Kirchberg hierher gezogen. Tobias kam knapp 30 Jahre später zur Welt. Von Geburt an ist sein rechter Arm gelähmt und wuchs daher nur eingeschränkt. "Ich wäre ziemlich sicher Rechtshänder geworden", sagt Meyer, der sich im Alltag immer mehr mit dem Handicap zu arrangieren wusste: "Die Schnürsenkel binde ich mir mit einer Hand und stecke das Überbleibsel seitlich in den Schuh."

Zum Schießen kam er in der sechsten oder siebten Klasse. Genau weiß er's gar nicht mehr: "Ein Freund nahm mich mit." Luftgewehr und Bogenschießen gingen wegen des Handicaps nicht, also nahm der Junge direkt die Sportpistole in die linke Hand: Tobias zielte mitten ins Schwarze, Volltreffer. In den Schießvergleichen mit Gleichaltrigen stand er regelmäßig weit vorne, und das auch bundesweit. "Sein Talent hat sich früh gezeigt", sagt Paul Fleder, einer seiner Wegbegleiter.

Rudolf Baumeister, Vorstand der Rimparer Schützengilde, hat die ersten Versuche von Tobias an der Sportwaffe noch gut im Kopf. "Er war von Anfang an treffsicher, hat sich auch mental immer weiterentwickelt." Meyer wurde in diverse Auswahlkader berufen. "Meine Eltern waren ganz froh, als ich mit dem Fußball aufgehört hatte, weil sie nicht mehr so viel fahren mussten. Und dann ging's nach München und später nach Suhl auf Lehrgänge und Wettbewerbe", sagt der Jüngere von zwei Brüdern lachend.

Dank des Führerscheins und eines umgebauten Autos kann Meyer längst selbst fahren – oder er fährt mit anderen Schützen. Mit der Mannschaft des SV Kelheim-Gmünd startet er in der Zweiten Bundesliga Süd. Für die Niederbayern tritt auch die fast gleichaltrige Miriam Piechaczek aus Königsberg (Lkr. Haßberge) an. So sind die beiden oft gemeinsam unterwegs.

Vom Hotel in die Halle und zurück

Nach Peru flog Meyer mit Trainern des Behindertensportverbandes und Moritz Möbius aus Baden-Württemberg, der sich im Liegendschießen mit dem Gewehr ebenfalls einen Platz für Tokio sicherte. "Wir waren mehr als eine Woche vor Ort, durften unser Hotel aber wegen Corona nur verlassen, um in die Schießhalle zu gehen", sagt Meyer. Gesehen von Stadt und Land an der fast 11 000 Kilometer entfernten Pazifikküste hat er nicht viel.

Doch damit konnte der Handelsfachwirt gut leben. Er schaffte es bis ins Finale der Luftpistolenschützen. Sie müssen aus zehn Metern Entfernung zweimal fünf Schüsse abgeben. Nach jedem zweiten Versuch scheidet einer aus. "Als wir nur noch zu fünft oder sechst waren, hörte ich meinen Namen in Verbindung mit den Paralympics." Meyer hatte das Ticket für Tokio gelöst, aber der Wettkampf war noch nicht zu Ende. "Ich musste mich wieder voll konzentrieren, schließlich wollte ich möglichst weit vorne landen."

Am Ende holte er sich mit 237,1 Ringen im Finale die Silbermedaille hinter dem Ukrainer Oleksii Densiuk, der mit einem Wert von 237,7 einen neuen europäischen Rekord aufstellte. Zwei Tage später wurde Meyer mit der Freien Pistole – hier hängen die Scheiben in der Außenanlage etwa 50 Meter entfernt – Dritter.

Vorfreude auf das olympische Dorf

Nach Japan fliegt er am 23. August. "Vor drei Jahren bin ich schon mal bei der WM in Südkorea gestartet. Ansonsten ist es meine erste Reise nach Asien", sagt Meyer. Seine Eltern wollten eigentlich dabei sein, das geht aber wegen Corona nicht, Zuschauer sind ausgeschlossen: "Das ist schade, aber es wird dennoch eine besondere Stimmung herrschen, weil sich Sportler und Betreuer gegenseitig anfeuern. Ich bin auf die Atmosphäre im olympischen Dorf gespannt."

An der Luftpistole darf sich der Rimparer sogar etwas ausrechnen. Und das beste Alter für Sportschützen beginne ja in der Regel erst mit Ende 20. So habe er wohl noch einige Chancen, paralympische Medaillen zu gewinnen – etwa in Paris 2024, Los Angeles 2028 und – das steht seit Kurzem fest – Brisbane 2032. Und in Australien hat Tobias Meyer 2019 seinen bisherigen Rekord geschossen.