Yusuf Emre Kasal hat mit seinen erst 33 Jahren viel zu erzählen. Seine Geschichte ist besetzt mit Kapiteln aus Rückschlägen, Comebacks, Erfolgen, Fleiß und durchaus der einen oder anderen Kuriosität. Von der SG Sennfeld aus gelang ihm der Sprung in den Profi-Fußball. Derzeit spielt er für den türkischen Drittligisten Afjet Afyonspor.
Er ist stolz auf seinen zurückgelegten Weg, aber eigentlich kommt es ihm auf etwas anderes an: "Wenn ich Menschen etwas in deren Leben erleichtern kann, ist das für mich das höchste Glücksgefühl", sagt er bei einem Gespräch in den Schweinfurter Wehranlagen.
Aktuell ist er auf Heimaturlaub bei seinen Eltern in Sennfeld. Er nutze jede längere Pause, um nach Hause zu kommen. "Hier kann ich mich wieder aufladen", sagt er. Weit weg vom Druck und Trubel im Profi-Geschäft. "Du erlebst als Fußballer ziemlich früh sehr viel", erklärt er.
Seine eigene Reise ging bereits mit 14 Jahren los. Nach Stationen in der Jugend in Sennfeld und beim FC 05 Schweinfurt wechselte er in der B-Jugend zum 1. FC Nürnberg. Den erhofften Profi-Vertrag beim Club bekam er aber nicht.
Das Abitur ist in der Hinterhand
Bevor er 2008 erstmals als Fußballer in die Türkei ging, verbrachte er noch ein "Übergangsjahr" als 19-Jähriger beim Würzburger FV. Erst das Abi, dann der Absprung in den türkischen Profi-Fußball. Er ahnte schon damals, dass man sich niemals vollständig auf den Fußball verlassen und immer etwas in der Hinterhand haben sollte. Er unterschrieb bei Körfez SK, einem Klub in der zweithöchsten Spielklasse der Türkei, direkt am Marmarameer.
Auf diesem Abenteuer erfuhr er einen frühen Rückschlag: Kreuzbandriss in der Vorbereitung. Es war das erste Kapitel in einem Buch voller Verletzungen. In den folgenden sieben Jahren musste er sich sieben Mal an den Knien operieren lassen. Ans Aufgeben dachte er dennoch nicht.
Dazu kam damals, dass der Wechsel in die Türkei mit viel Heimweh verbunden war. "Ich kannte ja nur die deutsche Mentalität und Kultur", blickt er zurück: "Es fiel mir schwer, mich dort zu integrieren." Die Sehnsucht nach dem heimischen Umfeld und geordneteren Leben in Deutschland waren groß. Nach zwei Jahren ging er zurück. Erst zum VfR Mannheim und in der Saison 2011/12 zum SSV Jahn Regensburg. Bei den Oberpfälzern, die in jener Saison in die Zweite Bundesliga aufstiegen, war er drauf und dran den Durchbruch zu schaffen.
Kasal erinnert sich an eine kuriose Geschichte: Nach Joker-Einsätzen zum Saisonstart hatte er zur Mitte der Hinrunde die erste Startelf-Nominierung in Aussicht. Sein damaliger Trainer Markus Weinzierl stimmte ihm während der Trainingswoche darauf ein.
Zugleich war Kasals Mutter in Regensburg zu Besuch. Vor dem Abschlusstraining brachte er sie zurück zum Bahnhof und ihre Koffer in den Zug nach Schweinfurt. Während er Platz für das Gepäck suchte, schlossen sich die Türen, und der ICE rollte los. Nächster Halt war Nürnberg, doch in 40 Minuten startete das Training.
Heute lacht Kasal darüber, wenn er diese Geschichte erzählt: "Ich habe unseren Kapitän Tobias Schweinsteiger angerufen und ihm mein Problem erzählt. Der sagte nur, keine Ahnung, was du mir da erzählst, lass' dir für den Trainer eine bessere Geschichte einfallen." Im Büro des Trainers erzählte der damals 23-Jährige trotzdem die wahre Geschichte.
"Emre, geh einfach raus", habe Weinzierl gesagt. Im anstehenden Spiel stand Kasal nicht mal im 18-Mann-Kader. "Das war peinlich und ärgerlich", sagt er heute, denn in der Rückrunde schlug bei ihm auch wieder das Verletzungspech zu.
"Verrückte Sachen" in der Türkei
Mittlerweile spielt der Sennfelder seit 2015 durchgehend in der Türkei. Er hat sich durchgebissen und fühlt sich im Land mittlerweile sehr wohl. Die Anerkennung, die man in der fußballverrückten Türkei mit den bisweilen fanatischen Fans erlebt, sei besonders. Zu den Spielen kämen meist über 10 000 Fans. "Wenn du gewinnt, wirst du gefeiert und auf Händen aus dem Stadion getragen. Wenn du verlierst, interessiert niemanden, wie das zustande gekommen ist, dann wirst du beleidigt."
Vergleiche, was das Niveau angeht, fallen ihm schwer. Der Fußball sei einfach ein anderer, weniger taktisch geprägt als in Deutschland. Yusuf Emre Kasal, der sich als aggressiver Stratege im zentralen Mittelfeld beschreibt, scheint dort gut zurechtzukommen. Der besondere Reiz sei auch, dass die Vereine dort "verrückte Sachen machen", berichtet Kasal.
Soll heißen: Es ist finanziell durchaus lukrativ. "Entweder wir steigen dieses Jahr auf oder wir gehen pleite", sei eine völlig normale Herangehensweise der Vereine. Man müsse halt nur einen gewissen Grad an Unprofessionalität akzeptieren. Das Gehalt trudele manchmal erst Wochen oder Monate später ein. Als "alter Hase" im Geschäft wisse er damit umzugehen: "Irgendwann ist das Geld da."
Auch während Corona lief der Spielbetrieb in den ersten drei Ligen in der Türkei weiter – ohne Fans in den Stadien. Kasal und seine Teamkollegen waren das ganze Jahr über in einem Wellnesshotel in der knapp 250 000 Einwohner zählenden Stadt Afyon untergebracht. Die Zeit nutzte er für Weiterbildung, Fitness, Persönlichkeitsentwicklung.
Kasal hat Weitblick. Eine Fußball-Blase hat er oft genug platzen sehen. "Du lebst in einer Scheinwelt. Es kann plötzlich alles vorbei sein. Wenn du verletzt bist, interessierst du keinen mehr." In den vergangenen Jahren sei er von weiteren Verletzungen verschont geblieben, könne heute schmerzfrei spielen. Eigentlich sei er sogar in der Form seines Lebens. Körperlich habe er sich selbst optimiert, sagt er. 2016 bildete er sich mit einem Fernstudium als Ernährungsberater und Fitnesstrainer weiter.
Das erlernte Wissen wende er dann auch bei sich selbst an. In den obligatorischen Leistungs- und Laktattests sei er seit Jahren immer der Beste in seinen Mannschaften. Fünf Jahre möchte er noch auf dem Platz stehen. Fitness und Gesundheit sind dafür das Wichtigste, das weiß er: "Du darfst keine Angriffsfläche bieten." In seinem Fußballeralter "liegt der Stempel" schließlich schon bereit. Seinen Vertrag bei Afjet Afyonspor habe er jedenfalls in der vergangenen Woche um ein weiteres Jahr verlängert.
Sein Wissen gibt Kasal gerne weiter. Im Fastenmonat Ramadan habe er Mitspieler beraten, wie sie ohne Leistungseinbrüche durch die Fastenzeit kämen. Im Gegenzug wünschte er sich eine kleine Spende, um benachteiligten Familien im Ramadan zu helfen. Die spontane Aktion wurde ein Riesenerfolg. Er versorgte 103 Haushalte in Afyon und Umgebung mit Essen.
Mit glänzenden Augen berichtet er davon, wie er bei diesen Familien vor der Tür stand und ihnen persönlich das Essen brachte: "Das hat mich noch viel stolzer gemacht als der Fußball."