Lars M. Vollmering dürfte der Erste gewesen sein, der die Auswirkungen des Corona-Virus auf den Fußball-Sport in ein Buch verpackt hat: "Wir stellen fest, was wirklich zählt" ist eine Momentaufnahme. Mit der selbst erlebten Nähe zum Geschehen werden Fußballball-Fans die 128 Seiten weniger als aktuelle Analyse wahrnehmen, eine hoch interessante Abhandlung wird das Buch aber sein, wenn man es in einem Jahr in die Hand nimmt. Jenen, die gleich schmökern wollen, dienen zahlreiche Anekdoten.
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Den Titel hat sich Vollmering bei Bundestrainer Joachim Löw gemopst; der hatte auf einer DFB-Pressekonferenz genau diese Worte gesagt. Zunächst sollte der Fußball hierzulande viel zählen. Während in Italien, Spanien, Frankreich, Portugal und England der Ball ruhte, beharrten deutsche Funktionäre auf einer Fortsetzung des Ligabetriebs. Erst Stunden vor dem 26. Bundesliga-Spieltag am 13. März wurde der Betrieb eingestellt.
Vollmering schreibt über das "Spiel null", bei dem im Norden Italiens die rasante Ausbreitung von CV 19 ihren Lauf genommen haben soll - die Champions-League-Partie zwischen Atalanta Bergamo und dem FC Valencia am 19. Februar in Mailand vor 44000 Zuschauern. Kurz darauf habe es acht Corona-Tote im Atalanta-Umfeld gegeben, bis Ende März waren es über 1000 Tote in der Region Bergamo. Klar, dass auch die Bundesliga bald erste Corona-Fäll haben sollte.
2,5 Millionen vom DFB-Team
Mit dem Derby zwischen Mönchengladbach und Köln gab es zwei Tage zuvor das erste Geisterspiel der Bundesliga-Historie, während man in der Europa League noch einen Eiertanz aufführte. In Deutschland forderte DFB-Präsident Fritz Keller ein Umdenken, die Nationalmannschaft spendete 2,5 Millionen Euro in einen Corona-Fond.
Plötzlich schien Vieles möglich: Der DFB relativierte seine Lizenzierungsauflagen, Gladbacher Profis erklärten als erste, auf Teile des Gehalts zu verzichten. Dortmund, München, Leverkusen und Leipzig stellten 20 Millionen Euro zur Verfügung, die für Härtefälle verwendet werden sollten. Ersten Klubs waren die Sponsoren weggebrochen.
Andreas Brehme im Bademantel
Vollmering blickt auch auf die Medien, schildert den Kollaps der Bezahl-Sender und deren kuriose Füllprogramme. So durfte bei DAZN Andreas Brehme über Fußballgott und -welt auf dem heimischen Balkon im weißen Bademantel philosophieren; der Sender verlor trotzdem fast 30 Prozent seiner Kunden.
Auch das Engagement vieler Fans wird gewürdigt. Über 20 Initiativen boten Einkaufshilfen oder Botengänge an, auf Plakaten wurde systemrelevanten Berufen gedankt, Ultras drückten Ihre Ablehnung gegenüber einer Lex Bundesliga aus. Gladbacher Fans fertigten Papp-Bildnisse von sich an, um im Stadion die Optik einer Kulisse zu imitieren.
Kimmich und Goretzka spenden
Stars wie Joshua Kimmich und Leon Goretzka spendeten eine Million für in Not gerate Einrichtungen, Cristiano Ronaldo und Lionel Messi finanzierten Krankenhäuser. Neue Trainingsmethoden entstanden, Online-Portale füllten sich mit aberwitzigen Challenges und einem Transfer-Ranking, in dem St.-Germain-Superstar Mbappe 30000 Klorollen und Neymar 30 Liter Desinfektionsmittel wert waren.
Abseits diese Geschichten stellte sich schnell Alltag ein. Ab 16. Mai wurde die Runde mit Geisterspielen fortgesetzt und mit dem Berliner Salomon Kalou, der in einem Video Hygienevorschriften verhöhnte, gab es jenen Typ Profi, den weniger Fußball-Affine sehen wollten. Die Maschinerie rollt wieder. Ein Eindruck, der sich angesichts des aktuellen Schacherns um maximale Zuschauerzahlen bestätigt.
Lars M. Vollmering: Wir stellen fest, was wirklich zählt. Wie Corona unseren Fußball verändert. Verlag Die Werkstatt, ISBN 978-3-7307-0523-0.