Ein Gutes hatte die Krise ja, sagt Michael Lutz. Die SpVgg Giebelstadt, deren mitunter leidgeprüfter Vorsitzender Lutz ist, stand zum Zeitpunkt der Saisonunterbrechung auf einem Abstiegsplatz in der Fußball-Kreisklasse Würzburg 2. Eine der Schlagzeilen im vergangenen Herbst lautete: „Giebelstadts Jugend-forscht-Projekt stockt.“ Der jungen Mannschaft drohte der Sturz in die A-Klasse. „Ich glaube nicht“, sagt Lutz, „dass wir die Klasse gehalten hätten, wenn die Pause nicht dazwischengekommen wäre.“ Mit neuem Trainer und frischem Personal will Giebelstadt jetzt noch einmal angreifen. So könnte es doch noch ein Happy End geben – wenn denn die Runde Anfang September weitergeht.
Fast sechs Monate Lockdown werden dann hinter den Amateurklubs in Bayern liegen, knapp ein halbes Jahr Stillstand werden sie hinter sich haben. Was hat diese Zeit mit den Vereinen gemacht? Mit Spielern und Trainern, mit dem viel zitierten Nachwuchs, aber auch mit altgedienten Funktionären wie Michael Lutz in Giebelstadt, wie Bernd Friedel in Gochsheim, wie Klaus Greier in Hollstadt oder wie Martin Geißler in Eibelstadt? Sie alle sind Bestandteil einer Branche, der es schon vor der aktuellen Krise alles andere als gut ging und die gerade einen weiteren herben Rückschlag erlebt. Wäre der bayerische Amateurfußball ein Mensch, er ginge am Stock, und Michael Lutz, der ein Freund des Fußballs ist, sagt: „Vielleicht denkt mancher, ohne Fußball und mit der Familie war es auch ganz nett. Ich hoffe es nicht.“
Die meisten Klubs leben derzeit von der Substanz
Viel ist in diesen Tagen und Wochen von Hoffnung die Rede – nicht nur, aber auch im Fußball. Hoffnung, dass das Leben verläuft wie zuvor, dass sich alle wieder wie gewohnt am Sportplatz treffen werden, die Alten und die Jungen, und dass Vieles doch nicht so schlimm werden wird wie befürchtet. Die Klubs leben seit Monaten von der Substanz. Fixkosten laufen weiter, Sportplätze wollen gepflegt, Gebäude erhalten werden. In Giebelstadt zahlt man noch die im Jahr 2012 neu gebaute Sportanlage samt Vereinsheim ab.
Auf der anderen Seite fehlen die Einnahmen – nicht nur aus den Umsätzen der Heimspiele, sondern auch aus Veranstaltungen und Festen in der Gemeinde. Und doch sagt Michael Lutz: „Wir knabbern nicht am letzten Strohhalm, weil wir sorgsam gewirtschaftet haben.“ Die Trainer der Fußballer haben auf ihr Gehalt verzichtet, eine Geste der Solidarität. Für Lutz ist klar: „Wir werden mit einem blauen Auge davonkommen.“ Aber nur, wenn es bald weitergeht und demnächst auch wieder vor Zuschauern gespielt werden kann.
Neun Juniorenmannschaften hat Giebelstadt am Start. Die neue Sportanlage habe man auch für sie gebaut, sagt der Vorsitzende. Seit Kurzem trainieren sie wieder am Platz. Von Training im herkömmlichen Sinn kann zwar keine Rede sein, aber darum geht es auch nicht. Wichtiger ist die Perspektive, die ihnen der Verein bietet, die sozialen Kontakte. Das ist derzeit die größte Sorge der Verantwortlichen: dass der in den letzten Jahren mühsam aufgebaute Zusammenhalt binnen weniger Monate verloren gehen könnte, dass der Gemeinschaftsgeist sich verflüchtigt, womöglich auf Nimmerwiedersehen, und der Verein seine Basis verliert. Ist der Aderlass zu groß, blutet er von innen her aus.
In Eibelstadt hat man noch Glück mit der Stadt
„Das Vereinsleben ist gerade tot“, sagt Martin Geißler, der Vorsitzende des FC Eibelstadt. Anders als Giebelstadt mit seinen sieben Sparten im Verein ist Eibelstadt „zu 99 Prozent“ ein Fußballverein. Wenn der Ball nicht rollt, wird es eng. Das große Weinfest, das sonst zuverlässig Geld in die Klubkasse spülte, ist dieses Jahr ausgefallen. Dabei hat der Verein noch Glück, dass die weitläufige Sportanlage am Mainufer der Stadt gehört und die Kommune ihm mit den Pachtzahlungen entgegengekommen ist. „Müssten wir die Pflege der Plätze bezahlen, wäre das der Todesstoß“, sagt Geißler.
Obwohl der Verein das Jahr „definitiv mit Verlusten“ abschließen werde, sei man „im grünen bis hellgelben Bereich“. Das kann und wird sich ändern, sollte sich die Fortsetzung der Saison in der Kreisliga Würzburg weiter verzögern und Zuschauer ausgeschlossen bleiben. „Noch so ein Jahr würde schwierig werden“, sagt der Vorsitzende. „Irgendwann müssten wir uns im Verein Gedanken über eine Spendenaktion machen. Wobei es den Unternehmen ja auch nicht gut geht.“
Gerade als es im März mit der Pandemie richtig losging, hat der TSV Hollstadt den Bau seines neuen Vereinsheims begonnen – ein Millionenprojekt, das mit Geldern des Bayerischen Landes-Sportverbands (BLSV), der staatlichen KfW-Bank, der Gemeinde und reichlich Eigenmitteln finanziert wird. Um den Kredit wie vorgesehen in 20 Jahren abzutragen, sagt Klaus Greier, einer der drei Vorsitzenden des Klubs aus der Rhön, „müssen wir mindestens zehnmal den Bierfrühling ausrichten“. So steht es in der Kalkulation. In diesem Jahr ist das meist um den 1. Mai veranstaltete und von mehreren örtlichen Vereinen getragene Spektakel unterm Zeltdach ausgefallen; dem Verein fehlen damit laut Greier 50 Prozent seiner jährlichen Einnahmen.
Die Verluste reichen von 1000 bis über 50 000 Euro
Der BLSV als Dachverband hat schon kurz nach Ausbruch der Pandemie ein Portal im Internet installiert, auf dem Vereine ihre finanziellen Verluste melden können. Die Daten sollen als Grundlage dienen, um später mit dem Freistaat Bayern über Ausgleichszahlungen zu verhandeln. Da Greier auch BLSV-Kreisvorsitzender Rhön-Grabfeld ist, weiß er, dass bislang 40 von etwa 130 Vereinen in seinem Bereich das Angebot genutzt haben. Die Spanne reicht dabei von 1000 bis weit über 50 000 Euro. Schon das zeigt die höchst unterschiedlichen Befindlichkeiten innerhalb der Klubs.
In Hollstadt können sie zur Not auf Rücklagen zurückgreifen, die der Klub in den vergangenen Jahren gebildet hat. Greier sorgt sich denn auch mehr um das Miteinander seines ganz auf Breitensport ausgelegten Vereins, der auch ohne Fußball überleben könnte. Die erwachsenen Kicker spielen schon seit 2015 in einer Gemeinschaft mit dem benachbarten TSV Heustreu in der Kreisklasse. Dass es in absehbarer Zeit wieder zu einer eigenständigen ersten Mannschaft reichen wird, glaubt Greier nicht. Bei der Jugend sind es sogar vier Klubs, die sich zusammengetan haben, um über die Runden zu kommen. Fußball in der Rhön war schon vor Corona eine sterbende Spezies. Wenn das Klubheim in Hollstadt Ende des Jahres fertig ist, hofft der Vorsitzende, dass auch der Zusammenhalt im Verein neu erblüht.
In Gochsheim zeigen sich die Mitglieder solidarisch
Beim TSV Gochsheim hat der Vorsitzende Bernd Friedel manche Investition erst einmal gestoppt. Zwei Kleinfeld- und zwei Mini-Tore sollten dieses Jahr angeschafft werden, 3500 Euro teuer. „Das Geld muss ja irgendwo herkommen“, sagt Friedel. Der Verein verfügt zwar über ein solides Finanzpolster, aber man weiß ja nicht, was noch alles kommt. Vor Kurzem hat der TSV ein Schreiben an seine rund 1000 Mitglieder verschickt mit der Bitte, solidarisch zu sein und nicht zu kündigen. Dass Austritte während der Krise ausgeblieben sind, wie Friedel sagt, ist das eine. Das andere ist, das vertraute Vereinsleben, wie man es vor der Krise kannte, wieder aufleben zu lassen. „Das wird seine Zeit dauern.“
Die Leute gehen ja nicht nur zum Fußball, um sich ein Spiel anzusehen – in Gochsheim immerhin Bezirksliga. „Da wird auch mal nur gequatscht“, so Friedel, der seit 17 Jahren Vorsitzender und seit drei Jahrzehnten im Verein ist. Wie soll das werden, wenn demnächst wieder Zuschauer zugelassen sind? Der Verein wird Klebebänder und Markierungen zur Orientierung anbringen müssen, wird mehr Personal abstellen müssen, das über die Einhaltung der Auflagen wacht. „Die Leute werden mit Maske am Platz stehen, sie werden sich nach dem Spiel nicht normal hinsetzen können“, sagt der Vorsitzende. Und doch wird das Ganze alternativlos sein, denn die Alternative wäre, den Fußball weiter ruhen zu lassen. „Ich weiß nicht“, so Friedel, „wie lange die Vereine, wie lange wir das noch durchhalten würden.“