Die 1140 Kilometer von Schweinfurt ins russische Kaliningrad legte Nick Schander zusammen mit seinem Trainer Albert Köpplin vor zwei Wochen locker flockig mit dem Auto zurück. Der 23 Jahre alte Kampfsportler war heiß darauf, erstmals seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie endlich wieder kämpfen zu können. Für ein internationales "Hand to Hand"-Turnier erhielt der Schweinfurter eine Einladung aus Russland, um als einer von sieben Ausländern gegen sieben einheimische Kämpfer anzutreten. "Hand to Hand-Fight" ist ebenso wie Schanders Hauptsportart Combat Sambo eine russisch-sowjetische Kampfsportart.
Wie in Kaliningrad, der Hauptstadt der russischen Provinz an der Ostsee zwischen Polen und Litauen, steigt er aber auch in anderen Kampfsportdisziplinen wahlweise in den Ring oder auf die Matte. Und das außergewöhnlich erfolgreich. Im Combat Sambo gehört er zu den besten der Welt, obwohl er anders als viele seiner Kontrahenten insbesondere aus den osteuropäischen Ländern nicht vom Sport leben kann. Neben seiner Arbeit im Werkschutz steckt er aber so viel Training wie möglich in seinen Sport, unter anderem im Fightclub Schonungen, in Würzburg und Bad Kissingen.
Auf der ganzen Welt zuhause
Sechzig bis achtzig internationale Auftritte dürfte er in den letzten Jahren bestritten haben, schätzt er. Ein wenig hat der Weltreisende den Überblick verloren. China, Südkorea, Russland, Rumänien, Litauen, Frankreich, Spanien, Italien – die Liste ist noch länger. Überall, wo sich ein Gegner mit ihm messen will, tritt er an. In Russland hat er gefühlt alle Städte durch, meint er. In der dortigen Kampfsportszene hat sich der Unterfranke, dessen Wurzeln selbst in Russland liegen, längst einen Namen gemacht.
Im Combat Sambo haben ihn die Russen den Spitznamen "der schreckliche Deutsche" verpasst. "Das hat schon was", sagt er und lacht. Verdient hat er sich den martialischen Namen bei einer Weltmeisterschaft in Rumänien, bei der er seine Gegner mit heftigen Kopfnüssen attackierte. "Die waren so hart, ich bin fast selbst davon K.O. gegangen", erklärt Schander, der privat im engsten Kreise gerne rumalbert und eigentlich ein höflicher und fröhlicher Zeitgenosse ist.
Der Schweinfurter hat sich gehörig viel Respekt rund um den Globus erarbeitet. Hierzulande jedoch fristen seine Sportarten ein mitunter völliges Nischendasein. Viele seiner Gegner im Ausland sind in ihren Ländern echte Stars, die mehrmals täglich trainieren und häufig bei ihrer Arbeit im Militär oder Spezialeinheit sportlich gefördert werden. "Ich muss erstmal mein Privatleben und die Arbeit auf die Reihe kriegen, erst danach kommt das Training", skizziert Schander den Kontrast zu seinen Gegnern. Alles Organisatorische, wie die Beschaffung des Visums oder Flüge buchen für die Auslandswettkämpfe, übernimmt er zusammen mit seinem Coach selbst.
Am Ende des Gesprächs in der Schweinfurter Innenstadt erzählt er eine Anekdote von einem Wettkampf am Baikalsee. Dort warteten am Flughafen schon Fans auf ihn und die anderen Kämpfer. "Hier in meiner Stadt kennt mich fast keiner", schließt er die Geschichte.
Einer, der allerdings immer an seiner Seite steht, ist Dennis Bernhardt. Seit die beiden fünf Jahre alt sind, sind sie enge Freunde. "Ich unterstütze ihn überall, wo ich kann", sagt Bernhardt, der sich letztes Jahr mit einer Entrümplungs-Firma selbstständig gemacht hat und mit seinem Unternehmen auch Schanders Sponsor ist. "Was man bisher von Nick gesehen hat, ist hoffentlich noch nicht alles", sagt Bernhardt: "Er kann noch viel Größeres erreichen." Bernhardt muss es wissen. Er hat Schanders komplette Entwicklung zum internationalen Spitzensportler begleitet, war bei jedem Kampf in Deutschland dabei – oft auch in der Ringecke. Seine Motivation und Unterstützung helfen dem kämpfenden Freund enorm, findet dieser.
Auch am 29. April, als Schander nach über einem Jahr endlich wieder kämpfen durfte, saß Bernhardt mit Schanders Familie in Schweinfurt gespannt vor dem Fernseher. "Wir haben geschrien und gejubelt." Schander selbst erlebte in Kaliningrad fast unwirkliche Szenen in Zeiten von Corona. Der Sportpalast "Amber" war krachend voll. Auch außerhalb der Halle sei es gewesen, als gebe es Corona nicht, berichtet Schander. "Ich habe mich dort schnell wieder an das normale Leben gewöhnt." Auf der Matte benötigte er ohnehin keine Eingewöhnungsphase. "Das war der Hammer. Ich habe mich wieder lebendig gefühlt", schwärmt er von seinem persönlichen Re-Start.
Gewinnen war verboten
Trotz der langen Pause ging er topfit in den Kampf und legte in der für ihn neuen Sportart "Hand to Hand" gleich mächtig los. Schander dominierte seinen Gegner über alle drei Runden. Nach dem Kampf im Rahmen des "Champions League H2HFIGHT" hob der Referee allerdings den Arm des Gegners. Schanders Blick ging nach unten. Er ahnte zu diesem Zeitpunkt schon was vor sich geht. "Wir wurden verarscht. Das war eine politische Sache", erklärt er: "Wir wussten schon vorher, dass ich nicht nach Punkten gewinnen werde." Der Plan vorzeitig zu gewinnen, ging nicht auf.
"Dein Kämpfer hat gewonnen, aber wir können dir den Sieg einfach nicht geben", sagten die Schiedsrichter zu Schanders Trainer Köpplin. Den Lokalmatadoren wollten die Ausrichter offenbar nicht vor einer ausverkauften Halle gegen einen deutschen Kämpfer verlieren lassen. "So etwas tut schon weh", findet der Schweinfurter: "Aber das sind Sachen, die muss ich runterschlucken."
Schander zieht das Positive aus der Erfahrung. Am ersten Juni-Wochenende soll es für ihn im "Hand to Hand" nämlich schon bei der Weltmeisterschaft in Usbekistan weitergehen. Dort rechnet er sich gute Chancen aus. Auch in der hierzulande immer populärer werdenden Kampfsportart "Mix Martial Arts" (MMA) will er künftig angreifen. Der 23-Jährige scheint nur den Vorwärtsgang zu kennen. 2024 möchte er, falls Combat Sambo bis dahin olympische Disziplin ist, zu den Spielen nach Paris. Der "schreckliche Deutsche" hat noch Großes vor.