
Shahd Alkawa war acht Jahre alt, als ihre Familie 2014 vor dem Krieg in ihrem Heimatland Syrien nach Deutschland flüchtete. Sie lebten zunächst in einem Flüchtlingscamp, anschließend in einem Heim bei München. Seit 2016 wohnt die mittlerweile 18-Jährige mit ihrer Familie in Schweinfurt und besucht das Olympia-Morata-Gymnasium.
Beim Leichtathletikverein Track & Field Club Mainfranken ist die gläubige Muslima als Sprinterin aktiv und engagiert sich ehrenamtlich. Im Interview spricht Alkawa darüber, warum sie sich auf der Straße inzwischen manchmal unwohl fühlt, welchen Einfluss das Fasten im Ramadan auf ihre sportliche Leistungsfähigkeit hat und wieso sie es sich zur Aufgabe gemacht hat, muslimische Mädchen zum Sport zu animieren.
Frage: Als 14-Jährige haben Sie sich dazu entschieden, Hijab, also Kopftuch zu tragen. Warum?
Shahd Alkawa: Ich hatte mir schon immer vorgenommen, Kopftuch zu tragen. Bei uns im Islam ist es so, dass man mit Hijab als Muslima anerkannt wird. Wenn ich jetzt in den Straßen laufe, weiß jeder, dass ich Muslimin bin. Ich finde das sehr schön, weil ich stolz auf meine Religion bin. Den Zeitpunkt habe ich ganz bewusst gewählt. Er fiel in die Sommerferien zwischen der sechsten und siebten Klasse. In der siebten Jahrgangsstufe wurden die Klassen neu eingeteilt. Ich habe es als coole Gelegenheit gesehen, in der neuen Klasse mit Kopftuch zu beginnen.
Wie fühlt es sich an, mit Hijab durch die Stadt zu laufen?
Alkawa: An sich finde ich es schön, als Muslimin anerkannt zu werden. In der Vergangenheit gab es keinerlei Probleme. Mittlerweile fühle ich mich manchmal sehr unwohl. Viele Leute gucken komisch oder geben unfreundliche Kommentare ab. Wenn irgendwo auf der Welt ein Anschlag verübt wird, fällt es mir umso mehr auf. Und je weiter Deutschland nach rechts rückt, desto schlimmer wird es.

Sie tragen den Hijab auch beim Sport in der Leichtathletik. Ist er da für Sie als Sprinterin nicht hinderlich?
Alkawa: Tatsächlich finde ich das nicht. Vor allem in der Leichtathletik stört er nicht, weil man nicht unbedingt kurze Sachen anziehen muss, wie das beispielsweise beim Schwimmen ist. Der Hijab beeinträchtigt mich beim 100-Meter-Lauf gar nicht. Im Verein war das nie ein Thema. Das hat es für mich leichter gemacht.
Haben Sie sich die Leichtathletik ausgesucht, weil es in der Sportart schon Vorbilder mit Hijab gibt?
Alkawa: Nein, daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich wollte mich einfach nur sportlich betätigen.
Vor einigen Tagen hat der Ramadan begonnen, der islamische Fastenmonat. Welchen Einfluss hat das Fasten tagsüber auf Sie und Ihre sportliche Leistungsfähigkeit?
Alkawa: Ich spüre auf jeden Fall einen Unterschied. Ich versuche, die Trainingszeit ein bisschen anzupassen, damit ich direkt nach dem Training essen kann. Anfangs ist das Fasten meistens schwerer, weil der Körper sich erst einmal daran gewöhnen muss. Da merke ich schon, dass ich schwächer bin. Deshalb trainiere ich weniger. Zum Glück sind alle verständnisvoll. Im Laufe des Monats gewöhnt sich mein Körper an die Umstellung und ich habe fast keine körperlichen Einschränkungen. In den vergangenen drei Jahren ist der Ramadan immer auf unser Trainingslager gefallen. Ich habe schon deutlich weniger trainiert als meine Teamkolleginnen und Teamkollegen, weil so ein hohes Pensum während des Fastens anstrengender ist. Ich habe sogar an zwei Tagen mit dem Training ausgesetzt. Morgens vor Sonnenaufgang esse ich proteinreich, damit ich gut über den Tag komme. Abends nach Sonnenuntergang achte ich darauf, viel Wasser zu trinken.
Als Ihr Trainer in Ihnen dann das Trainertalent entdeckt hat, hat Sie das überrascht?
Alkawa: Es hat mich schon überrascht, dass er mich zum Kindertraining eingeladen hat. Ich war 15 Jahre alt, relativ neu im Verein und habe das als coole Möglichkeit empfunden. Als ich dann das erste Mal da war, hat mein Trainer mich gelobt. Mir war es vorher nicht bewusst gewesen, dass ich Kinder gut trainieren kann. Im Juni 2023 habe ich meinen Übungsleiterschein Breitensport für Kinder und Jugendliche gemacht.
Was gefällt Ihnen an der Trainerinnenrolle?
Alkawa: Am meisten gefällt es mir, die Entwicklung der Kinder zu verfolgen. Anders als bei Erwachsenen ist Leichtathletiktraining für Kinder sehr vielseitig. Wir turnen auch mal oder spielen Basketball. Mit den Kindern kann man sehr kreativ sein. Das finde ich cool.

Sie haben dann ein Integrationsprojekt gestartet, um anderen muslimischen Mädchen den Einstieg in den Sport zu erleichtern und die selbstgemachten Erfahrungen mitzugeben.
Alkawa: Ja, das war im Herbst 2022 und die Idee meines Trainers. Das Projekt hieß "Training für muslimische Mädchen" und hat für vier Wochen einmal wöchentlich stattgefunden. Es war das erste Mal, dass ich Sport mit Integration verbunden habe. Es war ausschließlich für Mädchen, die sich vielleicht unschlüssig waren, ob sie mit Hijab Sport machen können. Diese Frage hatte ich mir selbst gestellt, bevor ich mit der Leichtathletik angefangen habe. Ich war unsicher, ob ich mit einem Kopftuch in einem Sportverein aufgenommen werde. Das ist ja jetzt nicht alltäglich. Wenn man sich beispielsweise die Olympischen Spiele oder deutschen Meisterschaften von egal welcher Sportart anguckt, dann sieht man so gut wie nie Hijabis. Deshalb verstehe ich, dass viele Mädchen verunsichert sind. Unser Ziel war es also, dass sich Mädchen mit Kopftuch mehr trauen. Sport mit Hijab sollte kein Hindernis sein.
Hatten Sie das Gefühl, dass Sie den Mädchen helfen konnten?
Alkawa: Das Feedback von den Mädchen war nur positiv. Ich glaube, dass das Training ihnen auch privat geholfen hat, weil sie dadurch selbstbewusster geworden sind. Sie haben gesagt, ich soll sie kontaktieren, wenn ich so etwas nochmal mache.
Und? Planen Sie eine Wiederholung?
Alkawa: Geplant ist derzeit nichts. Ich bin aber auf jeden Fall offen für etwas Neues und könnte mir eine Wiederholung vorstellen. Vielleicht mache ich es in einer etwas anderen Form, zum Beispiel mit Älteren. Mütter mit Hijab trauen sich wahrscheinlich noch weniger als Kinder.
Der Zonta-Club Bad Kissingen-Schweinfurt, der sich für die Verbesserung der Stellung der Frau in rechtlichen, politischen, wirtschaftlichen und beruflichen Belangen einsetzt, hat Ihnen für Ihr Engagement vergangenen April einen Preis verliehen. Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?
Alkawa: Das fand ich schon sehr cool und ich habe mich riesig gefreut. Zum einen habe ich den Preis für meine ehrenamtliche Arbeit in der Leichtathletik bekommen, also für meine Trainerinnenrolle und für mein Projekt. Aber auch wegen meines Engagements in der Schule, in der Fairtrade-AG oder als Tutorin. Bei einem Integrationsprojekt für die Stadt Schweinfurt habe ich einen Vortrag über die arabischen Länder gehalten. Dieser Preis ist ja wirklich nur für Frauen, die sich ehrenamtlich engagieren. Ich finde, ehrenamtliche Arbeit verdient weit mehr Anerkennung. Sie sollte genauso wertgeschätzt werden wie bezahlte Arbeit. Bei der Preisverleihung waren alle offen und freundlich. Die Anerkennung treibt mich an, weiterhin ehrenamtliche Arbeit zu leisten.