Das hat es in der 85-jährigen Geschichte des DFB-Pokal-Wettbewerbs so noch nicht gegeben: Keine 48 Stunden vor der für Sonntag, 15.30 Uhr, angesetzten Erstrunden-Partie zwischen dem FC Schalke 04 und dem FC 05 Schweinfurt hatte der FV Türkgücü München beim Landgericht München I eine einstweilige Verfügung erwirkt, die letztlich dafür sorgte, dass das Spiel am Freitagabend vom Deutschen Fußballbund (DFB) abgesagt wurde. Nach dem ersten Schock bei den betroffenen Klubs und beim Bayerischen Fußball-Verband (BFV) gibt es inzwischen die Gewissheit, dass die Angelegenheit in die nächste Instanz gehen wird.
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Bereits am Freitagabend um 20.25 Uhr veröffentlichte der BFV eine Stellungnahme. Reinhold Baier, für Rechtsfragen zuständiger Vize-Präsident, erklärte: "Die Überlegungen und Verantwortungen, die sich der BFV seit Monaten fortwährend macht, um allen Vereinen in der Covid-19-Krise gerecht zu werden, wurden vom Gericht nicht verstanden. Dem werden wir im Widerspruchsverfahren entgegentreten."" Eine Reaktion am Freitagnachmittag beim Oberlandesgericht als nächsthöherer Instanz sei nicht mehr möglich gewesen.
Die Ankündigung von Rechtsmitteln demonstriert, wie sehr der BFV als Beklagter von seiner Rechtsposition überzeugt ist - schließlich ist Verbandspräsident Dr. Rainer Koch Richter. Er und sein Präsidium hatten verantwortet, dass der FC 05 als bester bayerischer Amateurverein neben BFV-Pokalsieger TSV 1860 München für den DFB-Pokal gemeldet wurde. Grundlage war eine Satzungsänderung gewesen, nachdem die Regionalliga Bayern wegen der Corona-Krise unterbrochen werden musste. Da Türkgücü zum Zeitpunkt der Unterbrechung neun Punkte vor den Schweinfurtern lag, wurde der Migranten-Verein vom BFV fristgerecht als Aufsteiger in die Dritte Liga gemeldet - und zur Meldefrist für den DFB-Pokal war der FC 05 neuer Spitzenreiter.
Über Nacht gestrichener Absatz?
Türkgücü-Geschäftsführer Max Kothny monierte jedoch einen "über Nacht gestrichenen Absatz" mit dem Wortlaut: "Sollte zum Zeitpunkt der DFB-Pokal-Meldefrist der Spielbetrieb in der Regionalliga Bayern fortgesetzt worden sein, spielt die zu dem Datum beste Amateurmannschaft im DFB-Pokal." Allerdings war Türkgücü zu besagtem Zeitpunkt formal ans Tabellenende gesetzt. Zudem soll es nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" ein Treffen zwischen Koch und Türkgücü-Präsident Hasan Kivran gegeben haben, in dem Letzterer sich einverstanden mit der Regelung gezeigt haben soll.
Unabhängig vom Inhalt der Satzungsänderung meldete sich Prof. Dr. Jan F.Orth, bundesweit vernetzter Professor für Sportrecht an der Universität zu Köln, zum Thema auf Twitter: "Die Leistungsverfügung des Landgerichts München I ohne mündliche Verhandlung an einem Freitagnachmittag über ein Ereignis am kommenden Sonntag ist offensichtlich gegen alle Üblichkeiten ergangen und stellt einen anmaßenden und schwerwiegenden Eingriff in die Verbandsautonomie des BFV dar, der nicht zu rechtfertigen ist. Der Beschluss ist offensichtlich rechtswidrig. Er muss auf den Widerspruch des BFV, spätestens durch das OLG München aufgehoben werden." Auf Nachfrage dieser Redaktion sagte er: "Diese Entscheidung ist beispiellos." Und erklärte das zu erwartende Prozedere: "Der BFV wird Widerspruch einlegen, dann wird in einer mündlichen Verhandlung über die Fortdauer der einstweiligen Verfügung entschieden."
Egal, ob das Münchner Landgericht mögliche Absprachen als sportlich oder unsportlich werte, "darf es nicht bestimmen, welche der beiden Mannschaften im DFB-Pokal startet". Das Gericht hätte die BFV-Satzungsänderung lediglich beispielsweise willkürlich einstufen können und den BFV ermuntern, seine Entscheidung nochmals zu überdenken - denn: "In Artikel 9, Absatz 1, des Grundgesetzes wird die Verbandsautonomie durch die Vermutung der Kompetenz erklärt, die somit grundrechtlich geschützt ist. Das muss auch das Landgericht München anerkennen." Und, so Orth weiter: "Wenn ein Landgericht meint, es wisse besser als der zuständige Fachverband, wer an einem Wettbewerb teilnimmt, weiß man sicher, dass die Entscheidung falsch ist."
Sauer reagierte man beim FC Schalke 04. Sportvorstand Jochen Schneider sagte: „Man kann man nur den Kopf über die Vorgehensweise des Bayerischen Fußballverbandes schütteln, der über Monate hinweg offensichtlich nicht in der Lage war, den rechtmäßigen Vertreter am DFB-Pokal zu bestimmen. Deshalb kann ich auch nicht nachvollziehen, warum er jetzt versucht, den Fehler bei Türkgücü zu suchen.“
Nachholtermin möglicherweise am 15. Oktober
Was wiederum Baier konterte: „Warum Türkgücü München erst jetzt Rechtsmittel eingelegt hat, anstatt dies in den vergangenen vier Monaten zu tun, ist eine Frage, die Herr Schneider Türkgücü stellen sollte.“ Die Schalker stellen sich auf eine Neuansetzung der Partie, ob nun gegen München oder Schweinfurt, ein, möglicherweise am 15. Oktober, wenn auch das noch ausstehende Erstrundenspiel zwischen dem FC Bayern München und dem FC Düren ausgetragen wird.
Der FC 05 trainierte am Samstagvormittag wieder. Am Rande dieser Einheit sagte Geschäftsführer Markus Wolf: "Wir waren am Freitag extrem schockiert. Wir können zum Sachverhalt aber wenig sagen, weil wir nur Drittbetroffener sind. Das ist Angelegenheit des BFV. Wir hoffen aber, dass wir das Spiel auf Schalke noch austragen dürfen." Trainer Tobias Stobl sprach von "einer großen Enttäuschung. Da gab es schon eine Diskussion im Team. Wir haben es den Jungs erklärt, dass wir es selbst nicht beeinflussen können."