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Pferdesport
Pferdesport: Wie Pferd und Reiter mit abkippbaren Gelände-Hindernissen geschützt werden sollen
Im Vielseitigkeitsreiten gibt es immer wieder schwere Unfälle. Bei internationalen Turnieren am Hambacher Lindenhof sind daher Hindernisse mit Klappmechanismen Vorschrift. Sieben Fakten zum neuartigen Schutz für Mensch und Tier.
Gerold Ort beobachtet Xavier Ammon und den 10-jährigen Lutz genau beim Sprung über das Hindernis auf der Geländestrecke am Lindenhof.
Foto: Martina Müller | Gerold Ort beobachtet Xavier Ammon und den 10-jährigen Lutz genau beim Sprung über das Hindernis auf der Geländestrecke am Lindenhof.
Silvia Eidel
 |  aktualisiert: 15.07.2024 08:57 Uhr

Als Königsdisziplin im Pferdesport gilt das Vielseitigkeitsreiten, ein Dreikampf aus Dressur, Springen und vor allem Geländereiten. Immer wieder sorgen allerdings schwere Unfälle für Kritik an diesem Sport. Um ihn sicherer zu machen, greifen mittlerweile eine ganze Reihe von Maßnahmen. So sollen auch sogenannte "deformierbare Hindernisse" für weniger Verletzungen sorgen. Am Lindenhof bei Hambach (Lkr. Schweinfurt) rüstet der Verein "Pferdefreunde Lindenhof" als einziger in Unterfranken für seine internationalen Turniere – wie vom 4. bis 6. Juni beim Nationalen Dressur- und Springturnier bis Klasse M sowie den Stil-Geländeprüfungen bis Klasse A – den Parcours entsprechend um.

Ein spannender Sport, der höchste Ansprüche an Pferd sowie Reiter und Reiterinnen stellt, aber auch ein besonderes Glücksgefühl erzeugt: So beschreibt Gerold Ort, Besitzer des Lindenhofs und Vorsitzender des 140 Mitglieder zählenden Vereins "Pferdefreunde Lindenhof" das Vielseitigkeitsreiten. Seit 20 Jahren besteht der Verein, der bereits 64 nationale und internationale Turniere auf der 2*-Strecke veranstaltete. Viele Olympiasieger, Welt- und Europameister ritten auf der weitläufigen Anlage mit der 3500 Meter langen Strecke rund um den Maibacher Berg.

Wo liegen die Gefahren des Geländereitens?

Der tödliche Unfall des 25-jährigen Vielseitigkeitsreiters Benjamin Winter im Jahr 2014 bei der Europameisterschaft in Luhmühlen schockierte die deutsche Reiterwelt. Zuletzt kamen zwischen Juli 2019 und Februar 2020 auf internationaler Ebene acht Reiter und einige Pferde ums Leben. Meist waren es die gefürchteten Rotationsstürze, bei denen das Pferd am Hindernis hängen bleibt und sich überschlägt. Die Gefahr, dass es auf den Reiter oder die Reiterin fällt und diese schwer verletzt, ist hoch.

Wie lassen sich solche Rotationsstürze vermeiden?

Seit 1. Januar 2021 sind von der internationalen Reitervereinigung FEI bei allen internationalen Vielseitigkeits-Turnieren von 1*- bis 5*-Niveau deformierbare oder abwerfbare Geländehindernisse verpflichtend vorgeschrieben. Das gilt an allen offenen Oxern, offenen Ecken und Steilsprüngen. Bei nationalen Prüfungen können sie freiwillig verwendet werden, erklärt Siggi Adler, internationaler Parcoursbauer und Pferdewirtschaftsmeister aus Marktredwitz, der am Lindenhof neue Turnierstrecken kreiert. Dort wurden mittlerweile alle zwölf vorgeschriebenen Hindernisse neu gebaut oder umgerüstet. Insgesamt gibt es dort 120 Hindernisse.

Wie funktioniert ein deformierbares Hindernis?

Bei einer Anstosskraft von etwa 300 Kilo löst das MIM System an diesem Oxer aus und würde so einen schweren Sturz verhindern.
Foto: Martina Müller | Bei einer Anstosskraft von etwa 300 Kilo löst das MIM System an diesem Oxer aus und würde so einen schweren Sturz verhindern.

Das in den 1990er Jahren entwickelte schwedische MIM-System ist seit 2012 von der FEI anerkannt und wurde auch teilweise schon eingesetzt. Dabei sorgt der MIM-Clip – eine Art Scharnier – dafür, dass der obere Teil des Hindernisses bei einem bestimmten Vorwärts- oder Aufwärtsdruck nachgibt. Sobald ein Pferd also mit einer gewissen Kraft gegen ein Hindernis stößt, bricht der Clip und löst einen Klappmechanismus nach unten aus. Das abkippende Hinderniselement kann dann binnen einer Minute wieder in seine alte Lage zurückgesetzt werden. Das MIM-System gibt es in Rot für kräftigen Anschlag und neuerdings auch in Gelb für eine leichtere Auslösung, etwa bei schrägen Sprüngen.

Was kostet so eine Umrüstung?

Pro Hindernis fallen zwischen 700 und 1200 Euro an, erklärt Siggi Adler. Ab Turnieren mit A-Niveau wird das MIM-System von der Stiftung deutscher Spitzensport gesponsert, ergänzt Gerold Ort. Das Hindernis selbst bauen am Lindenhof die Vereinsmitglieder in Eigenleistung.

Welche Maßnahmen werden außerdem für eine Sicherheit von Pferd und Mensch ergriffen?

Derzeit sind zwölf Geländehindernisse auf dem Hambacher Lindenhof mit dem neuen MIM System ausgestattet
Foto: Martina Müller | Derzeit sind zwölf Geländehindernisse auf dem Hambacher Lindenhof mit dem neuen MIM System ausgestattet

An jedem Hindernis im Gelände steht ein Richter, der per Funk mit der Jury verbunden ist, erklärt Gerold Ort, der auch im Vielseitigkeitsausschuss des Bayerischen Reit- und Fahrverbandes mitarbeitet. Wenn er erhebliche Unsicherheiten oder eine Überforderung bei Tier und Mensch erkennt, wird das Paar aus dem Turnier genommen. Falls sogar gefährliches Reiten vorkommt, wird das registriert und der Reiter beziehungsweise die Reiterin auch bei anderen Turnieren entsprechend beobachtet.

Grundsätzlich vermindert eine sorgfältige Ausbildung mögliche Unfälle. Es kommt darauf an, dass Mensch und Tier als Paar zusammenwachsen, dass die körperliche Fitness beider gut ist, das die reiterlichen Qualitäten stimmen und die Reitenden in ihr Pferd hineinhorchen und seine Leistungsfähigkeit einschätzen kann, sagt der Vereinsvorsitzende.

Es gibt ein strenges Qualifikationssystem, in die nächsthöhere Klasse einsteigen zu dürfen, weiß Siggi Adler. Vor einer Prüfung und auch zwischen den Teilprüfungen der Vielseitigkeit werden die Pferde durch die Jury und einen Tierarzt auf ihre Verfassung kontrolliert und bei Nichtbestehen ausgeschlossen.

Inwieweit beeinflusst der Parcours die Gefahr oder eben die Sicherheit für Pferd und Reiter?

Das MIM System soll für mehr Sicherheit für Pferd und Mensch sorgen. Wird das System ausgelöst, klappt der obere Teil würde herunter.
Foto: Martina Müller | Das MIM System soll für mehr Sicherheit für Pferd und Mensch sorgen. Wird das System ausgelöst, klappt der obere Teil würde herunter.

Die Schwierigkeiten eines Parcours liegen neben dem Profil des Hindernisses auch in der Art des Untergrunds und in der Bodenbearbeitung, in der Streckenlänge, der Topografie und der Kondition von Mensch und Tier, sagt Adler. Das zu reitende Tempo wird vorgegeben. Es kommt zum Schutz der Pferde nicht darauf an, wer am schnellsten ist. Wenn ein Paar viel zu schnell ist, kann es bestraft werden.

Wird auch berücksichtigt, wie das Pferd seine Umgebung wahrnimmt?

Neueste Forschungen darüber werden beim Parcoursbau herangezogen. Etwa dass Pferde Kontrastseher sind, dass also Hindernisse beispielsweise im Schatten viel heller gestrichen sein sollten. Oder dass sie Bewegungen viel schneller aufnehmen als Menschen und ihre Raumübersicht fast ringsum erfolgt, so dass seitliche Erscheinungen das Tier beeinflussen.

Mit einer eigenen App kann neuerdings ein Parcours abgeschritten und mit den Augen des Pferdes erkannt und gegebenenfalls nachgebessert werden, weiß Gerold Ort. Ihm geht es darum, das verbleibende Restrisiko beim Geländeritt zu minimieren, "denn das Wohlergehen der Pferde steht immer im Mittelpunkt".

Nationale und internationale Turniere am Lindenhof

Unter der Schirmherrschaft des neugewählten Präsidenten des Bayerischen Reit- und Fahrverbandes, Landtagsabgeordneten Gerhard Eck, werden an Pfingsten am Hambacher Lindenhof vom 4. bis 6. Juni ein Nationales Dressur- und Springturnier bis Klasse M sowie Stil-Geländeprüfungen bis Klasse A ausgetragen. Vom 19. bis 21. August gibt es ein Nationales und Internationales Vielseitigkeitsturnier mit A**, CCI2*-L (mit der Deutschen Mannschafts-Meisterschaft der Bundesländer) sowie mit einer CCI3*-S-Prüfung. Der Eintritt zu den Veranstaltungen ist frei. Weitere Informationen stellt der Verein unter www.pferdefreunde-lindenhof-hambach.de zur Verfügung.
Quelle: sia
 
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